Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band. Hugo Friedländer

Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band - Hugo Friedländer


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sein. In Berücksichtigung aller dieser Umstände hat der Gerichtshof auf eine Geldstrafe von 300 Mark, eventuell 30 Tage Gefängnis, sowie auf Unbrauchbarmachung des inkriminierten Artikels und auf Publikationsbefugnis für den Privatkläger auf Kosten des Angeklagten im »Tag«, der »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« und in der in Wien erscheinenden »Zeit« erkannt. Dem Angeklagten sind außerdem die Kosten des Verfahrens auferlegt worden.

      Eine Gerichtsverhandlung in Berlin.

      Im Sommer 1903 herrschte auf dem Gebiete der auswärtigen Politik vollkommene Ruhe. Nicht ein Wölkchen drohte den Weltfrieden zu trüben. Um so lebhafter war das Getriebe auf dem Gebiete der inneren Politik, zumal bei der Reichstagswahl im Juni 1903 die Sozialdemokratie, wenn auch nicht die meisten Mandate, wohl aber die meisten Stimmen zu verzeichnen hatte. Im August 1903 erregte nun ein Artikel des Zentralorgans der sozialdemokratischen Partei Deutschlands, des »Vorwärts«, allgemeines Aufsehen. Der Artikel trug die Überschrift: »Die Kaiserinsel«. In dem Artikel wurde ein »höchst sonderbarer Plan« verraten, der angeblich »in Hofkreisen«, »bei Hofe« usw. eifrigst ventiliert werde und darin bestehe, daß zum Schutze des Kaisers und der kaiserlichen Familie, nötigenfalls unter Mißachtung der Gesetze, die Havelinsel Pichelswerder in eine Feste umgewandelt werden solle, um welche beim Ausbruch einer Revolution und mit Hilfe der Döberitzer Heeresstraße in kürzester Zeit Truppen konzentriert werden könnten. In der heftigen Zeitungspolemik, die ob dieses Artikels entbrannte, verblieb der »Vorwärts« allen Zweifeln gegenüber bei seiner Behauptung, daß in Hofkreisen ein solches Projekt tatsächlich aufgetaucht sei, und verwies die Zweifler an den Hofmarschall v. Trotha und den Restaurator der Hohkönigsburg, Architekt Bodo Ebhardt. Die Anklage erblickte in dem ersten Artikel eine Majestätsbeleidigung, indem sie davon ausging, daß, wenn auch immer von »Hofkreisen«, von »bei Hofe tätigen Geistern«, von »hohen Projekten« usw. gesprochen werde, der Artikel doch ganz deutlich auf den Kaiser selbst gemünzt sei. Dem Kaiser selbst werde angedichtet, daß er aus wahrhafter Angst vor dem Aufruhr den Plan der Umwandlung der Insel Pichelswerder billige und dabei vor einer Mißachtung der Gesetze nicht zurückschrecke. In den weiteren unter Anklage gestellten polemischen Artikeln wurde eine Beleidigung des Herrn v. Trotha gefunden, da diesem wissentliche Unwahrheit vorgeworfen werde. Aus diesem Anlaß hatten sich die damaligen verantwortlichen Redakteure des »Vorwärts«, Karl Leid und Julius Kaliski, ersterer wegen Majestätsbeleidigung und groben Unfugs, letzterer wegen Beleidigung des Hofmarschalls v. Trotha am 16. Oktober 1903 vor der dritten Strafkammer des Landgerichts Berlin I zu verantworten. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Leuschner. Die Anklage vertrat Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel. Verteidiger waren die Rechtsanwälte Dr. Karl Liebknecht und Max Levy (Berlin) und Hugo Haase (Königsberg i. Pr.).

      Angekl. Leid bestritt, daß in dem Artikel eine Majestätsbeleidigung enthalten sei. Die Tendenz des Artikels »Die Kaiserinsel« sei dahin gegangen, zu zeigen, mit welchen sonderbaren Plänen sich die Hofkamarilla trage, um den Kaiser in die falsche Vorstellung hineinzubringen, daß er von allerlei Gefahren für Leib und Leben umlauert werde. Die Interpretation des Oberstaatsanwalts, wonach der Artikel auf den Kaiser selbst gemünzt sei, treffe durchaus nicht zu.

      Angekl. Kaliski bestritt ebenfalls, daß in den von ihm gezeichneten Artikeln eine Beleidigung des Hofmarschalls v. Trotha enthalten sei.

      Hofmarschall v. Trotha bekundete als Zeuge: Es sei ihm von dem in den Vorwärtsartikeln behaupteten Schloßbauprojekt absolut nichts bekannt. Es sei ferner gänzlich ausgeschlossen, daß auf einem zum Hofmarschallamt des Kronprinzen gehörigen Kanzleipapier ein solches Projekt hinausgegangen sei.

      R.-A. Dr. Liebknecht: Ist es möglich, daß Papier des Hofmarschallamts gelegentlich vom Deutschen Kronprinzen zu privaten Mitteilungen benutzt sein könnte?

      Zeuge: Ich halte es für ausgeschlossen.

      Zeuge Architekt Bodo Ebhardt: Mir ist nicht das geringste von einem Schloßbauprojekt auf Pichelswerder bekannt.

      R.-A. Liebknecht: Haben Sie in der hier fraglichen Zeit mit dem Hofmarschallamt korrespondiert?

      Zeuge: Gewiß habe ich korrespondiert, aber keineswegs in dieser Angelegenheit.

      Chef des Militärkabinetts Graf Dietrich v. Hülsen-Haeseler: Mir ist nicht das geringste von einem solchen Schloßprojekt bekannt.

      Vors.: Ihnen ist auch nicht bekannt, daß etwa aus dem Hofmarschallamt des Kronprinzen ein solcher Plan hinausgegangen ist?

      Zeuge: Nichts ist mir davon bekannt.

      R.-A. Liebknecht: Ist dem Herrn Zeugen bekannt, daß es geplant war, die Aushebungsart in bezug auf die Gardetruppen zu ändern?

      Zeuge: Auf solche Fragen verweigere ich die Auskunft.

      R.-A. Liebknecht: Ich möchte nur wissen, ob dem Zeugen außeramtlich bekannt geworden, daß in Hofkreisen über eine Änderung der Aushebungsart gesprochen worden ist?

      Zeuge: Ich habe nur amtliche Sachen zu bearbeiten. Das Ressort, dem ich vorstehe, führt den Titel: »Geheimes Kabinett für Militärangelegenheiten«. Alles, was in Militärangelegenheiten zu meiner Kenntnis kommt, ist geheim. Ich habe also auf solche Anfragen und Anzapfungen nicht zu antworten.

      R.-A. Liebknecht machte darauf aufmerksam, daß der Zeuge nur zur Zeugnisverweigerung berechtigt sei, wenn eine Gefahr für den Staat obwaltet.

      Zeuge: Bitte, dem muß ich widersprechen. Ich kann doch nicht über alles mögliche hier gefragt werden und muß auf solche Fragen die Antwort verweigern.

      Vors.: Es steht nur zur Frage, ob Ew. Exzellenz etwas davon bekannt ist, daß auch nur außeramtlich über eine andere Aushebung der Gardetruppen gesprochen worden ist?

      Zeuge: Nein.

      Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Diese Frage ist zu beanstanden. Der Herr Zeuge hat bereits verneint, daß ihm irgend etwas von dem Projekt bekannt sei. Die Aushebung der Gardetruppen wird mit dem Bau des Schlosses auf Pichelswerder in Verbindung gebracht, und darauf bezieht sich also auch die Auskunft des Zeugen, daß ihm von der ganzen Sache nichts bekannt sei.

      Graf v. Hülsen-Haeseler: Als Chef des Militärkabinetts bin ich nicht in der Lage, auf alle möglichen Fragen, die an mich gerichtet werden, zu antworten. Ich habe bereits gesagt, daß mir von der ganzen Geschichte absolut nichts bekannt ist, die ganze Sache existiert eben nicht. Ich weiß von einer derartigen Absicht, daß für Seine Majestät so etwas ausgebaut werden soll, nicht einen Ton, ich habe nicht ein Atom davon erfahren. Ich kann doch hier nicht nach allem möglichen, was es auf der Welt gibt, befragt werden.

      R.-A. Liebknecht beantragte einen Gerichtsbeschluß, daß dem Zeugen die Frage vorgelegt werde, ob ihm etwas von dem Projekt im ganzen oder auch von einzelnen Teilen, beispielsweise von dem Plane und veränderter Aushebung der Gardetruppen bekannt sei.

      Der Gerichtshof beschloß, diese Frage, als nicht zur Sache gehörig, abzulehnen.

      Es kam hierüber zu einigen Erörterungen zwischen dem Verteidiger und dem Vorsitzenden. Auf wiederholte Anregung des letzteren erklärte Zeuge Graf v. Hülsen-Haeseler: Ich kann nur nochmals sagen, daß mir von dem ganzen Projekt nichts, auch von keinem Teile bekannt ist.

      R.-A. Liebknecht: In Anknüpfung an eine frühere Bemerkung des Oberstaatsanwalts möchte ich den Zeugen gefragt wissen, ob Se. Majestät bisweilen Veranlassung nimmt, die Erteilung einer Auskunft selbst zu befehlen?

      Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Ich will dies gleich erläutern. Als der »Vorwärts« –Artikel erschienen war, erklärte die »Nordd. Allg. Ztg.«: sie sei auf eine Erkundigung an maßgebender Stelle dahin beschieden worden, daß die ganze Nachricht des »Vorwärts« ins Fabelreich gehöre. Da habe ich gesagt, daß Se. Majestät wohl gelegentlich selbst zu solcher Frage Stellung nimmt und sich dahin äußert: »Das muß dementiert werden.«

      R.-A. Liebknecht: Der Herr Oberstaatsanwalt


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