Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch). Christian Morgenstern
ich beiß' in die Balken der Decke –
die dicken, langen, braunen Balken –
und steig' in den Dachstuhl –
und vom einen Dachstuhl
zum andern Dachstuhl –
und irgendwo
werd' ich wohl Stroh finden,
und Öl finden,
und Pulver finden –
das wird eine Lust werden!
Das wird ein Fest werden!
Und wenn ich die Häuser alle zernichtet –
dann wollen wir mit Wäldern
die Fische in den Flüssen kochen –
und ich will euch hinauftreiben
auf die kältesten Berge –
und da droben
sollt auch ihr meine Opfer werden,
sollt ihr meine Todesfackeln werden –
und dann wird alles still sein –
und dann –
Gedichte vermischten Inhalts
Kleine Geschichte
Litt einst ein Fähnlein große Not,
halb war es gelb, halb war es rot,
und wollte gern zusammen
zu einer lichten Flammen.
Es zog sich, wand sich, wellte sich,
es knitterte, es schnellte sich, –
umsonst! es mocht nicht glücken
die Naht zu überbrücken.
Da kam ein Wolkenbruch daher
und wusch das Fähnlein kreuz und quer,
daß Rot und Gelb, zerflossen,
voll Inbrunst sich genossen.
Des Fähnleins Herren freilich war
des Vorgangs Freudigkeit nicht klar, –
indes, die sich besaßen,
nun alle Welt vergaßen.
Der vergeßene Donner
Ein Gewitter, im Vergehn,
ließ einst einen Donner stehn.
Schwarz in einer Felsenscharte
stand der Donner da und harrte –
scharrte dumpf mit Hals und Hufe,
daß man ihn nach Hause rufe.
Doch das dunkle Donnerfohlen –
niemand kams nach Hause holen.
Sein Gewölk, im Arm des Windes,
dachte nimmer seines Kindes –
flog dahin zum Erdensaum
und verschwand dort wie ein Traum.
Grollend und ins Herz getroffen
läßt der Donner Wunsch und Hoffen,
richtet sich im Felsgestein,
wie ein Bergzentaure ein.
Als die nächste Frühe blaut,
ist sein pechschwarz Fell ergraut.
Traurig sieht er sich im See
fahl, wie alten Gletscherschnee.
Stumm verkriecht er sich, verhärmt;
nur wenn Menschheit kommt und lärmt,
äfft er schaurig ihren Schall,
bringt Geröll und Schutt zu Fall ...
Mancher Hirt und mancher Hund
schläft zu Füßen ihm im Schrund.
Das Häuschen an der Bahn
Steht ein Häuschen an der Bahn,
hoch auf grünem Hügelplan.
Tag und Nacht, in schnellem Flug,
braust vorüber Zug um Zug.
Jedesmal bei dem Gebraus
zittert leis das kleine Haus –:
»Wen verläßt, wen sucht auf
euer nimmermüder Lauf?«
»Oh nehmt mit, oh bestellt
Grüße an die weite Welt!«
Rauch, Gestampf, Geroll, Geschrill ...
Alles wieder totenstill.
Tag und Nacht dröhnt das Gleis.
Einsam Häuschen zittert leis.
Amor der Zweite
(Sommerabend im Park des Fürsten. Um eine Marmorbank zu Füßen der Medicëischen Venus versammelt sich eine kleine Gesellschaft, den Dichter in ihrer Mitte bittend, sie mit neuen Versen zu erfreuen. Er beginnt unter einigen galanten Entschuldigungen, während die Schönen und ihre Kavaliere sich auf und um die Bank erwartend gruppieren. Verstecktes Lachen, Flüstern und Fächerschlagen begleitet den leichten Vortrag, nach dessen Beendigung man sich lebhaft plaudernd und scherzend wieder in den hohen dämmrigen Laubgängen des Parks zerstreut, nicht ohne den Poeten mit zweien seiner liebenswürdigsten Verehrerinnen einer anmutigen Einsamkeit zu überlassen.)
Das Schloß liegt unbewohnt seit Jahr und Tag,
der Park verwildert, pfadlos, unzugänglich,
dicht eingestrüppt von wirrem Weißdornhag.
Wo Grotten, Treppen, Hügel uranfänglich:
Verfall nun: Stämme, Schutt, gesunkner Grund ...
des Friedens Stätte einst, nun wüst und bänglich.
In dieses Parkes Tiefe birgt ein Rund
von Birken zweier Götter Steingebilde,
den Alten hochberühmt durch ihren Bund –:
Den Gott des Krieges, mit zerbrochnem Schilde,
und sie, der Liebe hohe Königin,
in wohl gewahrter Lieblichkeit und Milde.
Sie blicken zärtlich gen einander hin,
und bunte Falter tragen ihre Grüße, –
doch kennt ihr auch des Spiels geheimen Sinn? ...
In einer Sommermondnacht Wundersüße,
in einer Nacht, da eine Nachtigall
tot niederstürzte vor der Göttin Füße,
so