Das falsche Paradies. Stefan Bouxsein

Das falsche Paradies - Stefan  Bouxsein


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dynamische Firmen mit ungeahntem Wachstumspotential. Es handelt sich hierbei um die NMT, New Material Technology, die angeblich in naher Zukunft neue Technologien auf dem Gebiet der Oberflächenbeschichtung von Metallen zur Marktreife bringen sollte, außerdem um die MicroTec. Diese Firma entwickelte neue Verfahren zur Erzeugung von hochreinem Siliciumoxid, das unter anderem zur Herstellung von Glasfasern und Mikrochips benötigt wird, und schließlich die global Trading and Scientific, ein Unternehmen, das sich auf den weltweiten Handel mit Edelmetallen spezialisiert hatte.

      Die Börsenkurse entwickelten sich mit dem Boom an den Börsen in den folgenden zwei Jahren rasant nach oben, bis März 2000 haben sich die Kurse aller drei Unternehmen mehr als verzehnfacht. Zu dieser Zeit hat Niehaus seinen Aktienbesitz an den drei Firmen über die Deutsche Bank am Markt verkauft. Schätzungsweise hat er über zehn Millionen Euro an Kursgewinnen verbuchen können. Bis zu diesem Zeitpunkt war er wohl mitverantwortlich für die Euphorie am Neuen Markt. Er veranlasste eine Flut von Ad-hoc-Meldungen, die immer größere Wachstumsprognosen zur Folge hatten. Er gab Partys auf Ibiza, bei denen sich die einflussreichen Fondsmanager in ausgelassener Stimmung unter der Wirkung von reichlich Alkohol und im Beisein schöner Frauen von den Strategien der am Neuen Markt notierten Unternehmen überzeugen ließen. Niehaus steigerte sich immer weiter in die Rolle des Showmasters. Das Börsenparkett wurde seine Bühne, die drei von ihm beratenen Unternehmen waren die Hauptattraktionen und die Aktionäre waren das begeisterte Publikum. Er veranstaltete eine perfekte Show und wusste auch genau, wann die Show vorbei war. Nachdem er sich von seinen Anteilen getrennt hatte, dauerte es nicht mehr lange, bis die Kurse an den Börsen absackten.

      Mittlerweile ist der gesamte Neue Markt nur noch ein Trümmerhaufen. Die New Material Technology und die MicroTec haben Insolvenz angemeldet, der Vorstandsvorsitzende der Global Trading and Scientific steht wegen Kursbetrug und Insidergeschäften vor Gericht. Peter Niehaus hat das Geld, das den Kleinaktionären nun fehlt, und saniert wieder Firmen im Auftrag der Deutschen Bank.«

      Till hatte den Ausführungen seines Gegenübers aufmerksam zugehört. Er hatte zwar nicht viel Ahnung von der Börse, hatte aber mit seinem Aktiengeschäft am Neuen Markt sehr gut verdient. Des einen Leid ist des anderen Freud, dachte er bei sich. »Konnte man Niehaus denn auch illegale Machenschaften nachweisen?«

      »Nein. Jedenfalls nicht, um ihm strafrechtlich etwas anhängen zu können. Dafür gibt es in Deutschland keine ausreichenden Gesetze.«

      »Aus welchem Grund kam es dann bei Ihrer Redaktion zu den Recherchen über Peter Niehaus?«

      »Zum einen gab es generell ein großes Interesse der Medien am Aufstieg und Fall des Neuen Marktes, nachdem sich herausstellte, auf welch dünnem Eis sich die deutsche Wirtschaft hier bewegte, zum anderen meldete sich in unserer Redaktion einer der ehemaligen Betriebsräte der Vereinigten Edelmetall Werke. Wie sich herausstellte, wurde keiner der ehemaligen Betriebsräte in seiner neuen Anstellung glücklich. Zweien wurde noch in der Probezeit wieder gekündigt, die vier übrigen wurden schließlich mit völlig anderen Funktionen betraut, als ursprünglich zugesagt. Alle Abwerbungen waren von Niehaus inszeniert. Leider ist ihm das nicht nachzuweisen.«

      »Können Sie mir die Namen dieser Betriebsräte sagen?«

      »Ich kann Ihnen den Namen und die Adresse von dem geben, der uns in der Redaktion aufgesucht hat. Er heißt Joachim Schäfer und wohnt in Griesheim, in der Lärchenstraße.«

      Fischer schrieb Till die Adresse und die Telefonnummer von Joachim Schäfer auf einen Zettel. Die Männer verabschiedeten sich. Beim Hinausgehen deutete Till auf das Telefon.

      »Vergessen Sie nicht, ihn so lange wie möglich in der Leitung zu halten, falls er sich meldet.«

      »Ja, ich weiß Bescheid. Ist diese Abhöraktion eigentlich legal?«

      »Wenn Sie einverstanden sind, wer sollte dann etwas dagegen haben? Es ist ja Ihr Telefon, das wir anzapfen.«

      Till hatte noch etwa eine halbe Stunde Zeit, bis er wieder mit Siebels verabredet war. Bis zum Präsidium brauchte er nur zwei bis drei Minuten von hier aus. Die Sonne schien angenehm warm, es sollten heute 28 °C werden. Till entschloss sich, noch einen Kaffee zu trinken, unter dem Schatten eines Sonnenschirms in einem der vielen kleinen Cafés auf der Berger Straße. Nicht weit von Fischers Wohnung fand er ein gemütliches Straßencafé, bestellte einen Milchkaffee und beobachtete die Leute, die an ihm vorüberliefen. Er dachte noch einmal über Niehaus nach, über das, was Fischer ihm eben erzählt hatte. Er schien ein Machtmensch zu sein, einer, dem nichts daneben ging. Einer, der auch mal über Leichen ging. Siebels hatte sich auch das schnelle Geld versprochen, als die Anlage in Aktien in aller Munde war. Er investierte aber mehr, als ihm eigentlich möglich gewesen wäre. Aber was sollte bei Aktien der Deutschen Telekom schon schief gehen, viele seiner Kollegen griffen zu, als die Telekom ihre Anteilscheine auf den Markt warf. Siebels wollte die Raten für sein Häuschen etwas schneller zurückzahlen, als ursprünglich geplant. Doch mittlerweile hatte er über achtzig Prozent seiner Einlage eingebüßt. Vor einem halben Jahr verließ ihn schließlich seine Frau. Zusammen mit der zwölf Jahre alten Tochter drehte sie Siebels und Frankfurt den Rücken zu und zog Hals über Kopf in ihre alte Heimat nach Berlin. Die ewigen Geldsorgen hatten die Familie am Ende kaputt gemacht. Siebels hatte sein Haus verkaufen müssen, seine Aktien besaß er aber noch, die Hoffnung auf eine Erholung des Aktienkurses wollte er jedenfalls nicht aufgeben. Es wäre ja nur eine Frage der Zeit, bis er sein eingesetztes Kapital wieder zur Verfügung hätte. Das war Siebels Standpunkt. Und bis dahin arbeitete er wie ein Besessener. Seine Erfolgsquote war schon immer gut, aber im letzten Jahr hat er noch einen draufgesetzt. Kaum kam ein neuer Fall auf den Tisch, setzte Siebels alle nur erdenklichen Hebel in Bewegung. Manchmal arbeitete er bis spät in die Nacht hinein. Tagsüber befragte er Zeugen, vernahm Verdächtige, recherchierte bei Ämtern und Behörden, befragte sämtliche Freunde und Kollegen von Opfern über deren Leben und sehr schnell hatte er so die eine oder andere heiße Spur. Abends schrieb er seine Berichte, legte Akten an, studierte Obduktionsberichte, verglich seine Informationen immer wieder, grübelte über Zusammenhänge nach, bis er an seinem Schreibtisch einschlief und von Till am nächsten Morgen geweckt wurde. Oft hatte Till ein schlechtes Gewissen, weil er nicht annähernd so viel Zeit mit der Arbeit verbrachte wie Siebels. Doch Siebels verstand es, Till nicht unnötig unter Druck zu setzen, er ließ ihm alle Freiheiten, das war wohl der Grund, warum die beiden so gut harmonierten. Till bezahlte, er musste sich beeilen, wenn er die Kollegin vom K65 nicht verpassen wollte.

      6

      Till öffnete gerade die Tür zu seinem Büro, als ihm im Flur die junge Polizistin entgegenkam. »Herr Krüger?«

      »Ja, der bin ich.«

      »Wir sind verabredet, ich bin Sabine Karlson, drüben vom K65. Herr Siebels hat mich gebeten, Ihnen beiden über meine Erfahrungen mit 0190er-Rufnummern im Sexgeschäft einige Auskünfte zu geben.«

      Till und Sabine Karlson betraten das Büro, wo Siebels sie begrüßte. Till war sichtlich beeindruckt von der jungen Polizistin. Jedenfalls von ihrer äußeren Erscheinung. Sie hatte die Größe von Till, 175 Zentimeter. Kurze hellblonde Haare und eine sonnengebräunte Haut. In ihrer engen Jeans und dem knappen weißen T-Shirt waren ihre fraulichen Kurven nicht zu verbergen. Sie wirkte fröhlich und sehr selbstbewusst.

      »Sind Sie Schwedin oder sehen Sie nur so aus?« Die Frage stellte Till mehr im Unterbewusstsein, für einen Moment war er wie weggetreten. Diese Frau hatte etwas. Etwas, das Männer magisch anzog.

      »Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater ist Schwede. Also bin ich eine Halbschwedin, wenn das Ihre Neugier befriedigt.«

      Siebels goss den beiden Kaffee ein und war sichtlich amüsiert über die großen Augen von Till, mit denen er die junge Kollegin vom K65 anstarrte.

      Die Polizisten setzten sich im Nebenbüro an einen Besprechungstisch. Siebels berichtete in knappen Worten über den aktuellen Fall und über den Anrufbeantworter von Tanja Niehaus. Die blonde Halbschwedin hörte aufmerksam zu, blickte zwischendurch des Öfteren zu Till herüber, der es nicht unterlassen konnte, sie anzustarren.

      Till erfuhr nun von Siebels, dass die Kollegen von


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