Das falsche Paradies. Stefan Bouxsein

Das falsche Paradies - Stefan  Bouxsein


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aus über eine der Mainbrücken in Richtung Frankfurter Innenstadt. Die gläsernen Hochhäuser der Frankfurter Bankenlandschaft spiegelten den Sonnenuntergang, am Mainufer herrschte ein buntes Treiben, die Menschen saßen auf den Bänken, schlenderten am Ufer entlang oder saßen bei einem Caipirinha zusammen. Siebels nahm den Weg über den Cityring, die Straßen in der Frankfurter Innenstadt waren frei um diese Zeit, nach wenigen Minuten erreichten sie die Alte Oper. Auch hier füllten noch viele Menschen den Opernplatz mit Leben. Gegenüber der Alten Oper gähnte eine leere Baugrube. Das neue Hochhaus der Zürich-Versicherung sollte hier entstehen, die wirtschaftliche Schieflage hatte aber auch vor den Banken und Versicherungen nicht haltgemacht, der erste Spatenstich war auf unbestimmte Zeit vertagt. Till folgte weiter dem BMW, die Bockenheimer Landstraße hinunter, links und rechts von ihnen waren die Niederlassungen von Banken aus aller Welt angesiedelt. Auch an der Bockenheimer Warte war noch viel Betrieb. Die Sitzplätze des Cafés an der Bockenheimer Warte, dessen Türmchen die ehemalige Stadtgrenze markierte, waren restlos gefüllt. Till überlegte, ob er Siebels nach dem Besuch bei Tanjas Eltern hier noch zu einem Bier einladen sollte. Siebels nahm den Weg über die Sophienstraße, hier wurde es nun merklich ruhiger. Der BMW bog in die Franz-Rücker-Allee ab und gleich darauf in eine breite dunkle Straße. Beim Abbiegen erkannte Till das Straßenschild. Sie waren schon in der Broßstraße. Hier war es menschenleer, große Häuser und imposante Villen schmückten die Gegend. An der Ecke Broßstraße/Frauenlobstraße parkte Siebels seinen BMW, Till stellte seine Gold Wing direkt dahinter ab.

      4

      Es war bereits 22:00 Uhr, als Siebels an der Tür von Peter und Maria Niehaus den Klingelknopf drückte. Von hier aus erkannte er nur schemenhaft die moderne Villa, die sich hinter einem lang gestreckten Garten befand. Am Eingangstor hing ein großes Messingschild: Niehaus-Consulting.

      Eine bedrückende Stille umhüllte die beiden Kripobeamten. Den Eltern die Nachricht vom Tod ihres Kindes zu überbringen war eine Aufgabe, für die sich weder Till noch Siebels als geeignet ansahen.

      »Wer da?«, fragte eine energiegeladene Männerstimme aus der Sprechanlage.

      Die Videokamera summte leise. Siebels schaute in die Kamera. »Guten Abend Herr Niehaus, wir sind von der Kripo Frankfurt und müssen Sie dringend sprechen. Es handelt sich um Ihre Tochter Tanja.« Siebels hielt seinen Ausweis vor die Kamera, der Türöffner wurde betätigt, schweren Schrittes gingen Siebels und Till zum Eingang der Villa. Dort erwartete sie Peter Niehaus. Siebels schätzte ihn auf Ende vierzig. Schlank, durchtrainiert, hohe Stirn. Ein Mann, der im Leben Erfolge hatte, das sah man ihm an.

      »Was ist mit meiner Tochter? Hat sie Dummheiten gemacht? Ist etwas passiert?«

      Siebels holte eines der Fotos aus der Tasche, das der Polizeifotograf am Morgen im Brentano-Bad aufgenommen hatte. »Ist das Ihre Tochter Tanja?«

      »Ja, das ist sie.« Niehaus wich langsam die Farbe aus dem Gesicht, er starrte sekundenlang auf das Foto. Er stammelte. »Ist sie ... sie sieht so blass aus ... was ist das für ein Foto?«

      »Es tut mir leid Herr Niehaus, ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihre Tochter tot ist.«

      »Tot? Wieso tot? Das kann nicht sein. Sie müssen sich irren.«

      Siebels nahm Niehaus am Arm und führte ihn ins Wohnzimmer. »Ist Ihre Frau da, Herr Niehaus?«

      »Ja, aber sie schläft bereits. Nun sagen Sie mir schon, was passiert ist.« Niehaus ging zur Bar und schenkte sich einen Cognac ein.

      »Ihre Tochter wurde heute früh in Frankfurt im Brentano-Bad tot aufgefunden. Sie wurde letzte Nacht erwürgt.«

      »Im Schwimmbad? Sie wurde umgebracht? Von wem?« Niehaus hatte Mühe zu sprechen, seine Stimme wollte ihm nicht gehorchen, seine Hand zitterte, mit einem Schluck trank er seinen Cognac aus.

      »Wir haben keinen Hinweis auf einen möglichen Täter. Hatte Ihre Tochter einen Freund?«

      »Nein, sie lebte in keiner festen Beziehung. Sie wollte immer ihre Freiheit haben, unabhängig sein. Bis vor einigen Monaten war sie mit einem Kollegen von der Deutschen Bank eng befreundet. Ein sehr netter und integrer Mann. Aber auch das war wohl nicht für die Dauer bestimmt.« Niehaus flüsterte seine Worte vor sich hin, Siebels und Till mussten sich dicht neben ihn setzen, um ihn zu verstehen. Sein Blick ging ins Leere, eine Träne lief ihm über Wange.

      »Wie heißt der ehemalige Freund Ihrer Tochter?«, wollte Till wissen.

      »Olaf. Olaf Kreuzberger. Er ist bei der Deutschen Bank als Abteilungsleiter beschäftigt. Tanja hat in seiner Abteilung gearbeitet. Bitte gehen Sie jetzt. Ich will allein sein.«

      Siebels gab ihm seine Karte. »Bitte rufen Sie mich morgen an. Sie müssen Tanja identifizieren und wir werden noch einige Fragen an Sie haben.«

      Niehaus zeigte keinerlei Reaktion, er schaute ins Zimmer, völlig geistesabwesend.

       Gestern hatte ich ein Erlebnis. Ein wunderbares Erlebnis, das ich nie vergessen werde. War es Schicksal? Ich glaube, es war ein Wegweiser für viele weitere Erlebnisse, die ich noch haben werde. Und der Weg, den ich nun gehen will, den will ich festhalten in meinem Tagebuch. Oder soll ich es besser Erlebnisbuch nennen?

       Mein Tagebuch beginnt am 12. Januar 2000. Ich bin in der Steiermark. Wir verbringen hier mit der Berufsschulklasse unsere Klassenfahrt auf einer Skifreizeit. Wir sind alle angehende Bankkaufleute. Noch ein halbes Jahr haben wir vor uns, dann finden endlich die Abschlussprüfungen statt. Mit mir sind wir nur fünf Jungs in der Klasse. Und dreizehn Mädchen.

       Das Skifahren liegt mir nicht. Aber die schneeweiße Landschaft ist sehr schön. Am Abend des 11. Januar sind meine Klassenkameraden zum Dorf hinuntergegangen. Das Dorf befindet sich circa zwei Kilometer von unserer Jugendherberge entfernt. Im Dorf gibt es diese Disco. Ich hatte keine Lust auf Disco. Ich blieb in der Herberge. Im Keller war die Sauna. Ich las die letzten Seiten von meinem Buch und als ich es ausgelesen hatte, machte ich mich auf den Weg nach unten. Ich freute mich darauf, in der Sauna zu schwitzen. Als ich in den Keller kam, hörte ich Stimmen aus der Sauna. Ich dachte eigentlich, die anderen seien alle im Dorf und wunderte mich. Mit leisen Schritten näherte ich mich der Holzkabine. Als ich nur noch einen Schritt von der Saunatür entfernt war, konnte ich durch die Glasscheibe in der Tür schemenhaft die Gestalten von drei Saunagängern erkennen. Neugierig näherte ich mich der Tür und spähte durch das Glas. Was ich dann sehen durfte, ließ mein Herz wie wild schlagen. Drei meiner Klassenkameradinnen vergnügten sich auf der Holzbank im Inneren der Sauna. Ich erkannte Tanja, Johanna und Jenny. Splitternackt räkelten sie sich auf ihren Handtüchern und genossen sichtlich den Abend in Abwesenheit von Lehrern und Mitschülern. Ich vergaß alles um mich herum und starrte durch die Scheibe. Sie waren so schön, so wunderschön. Sie waren mit Abstand die drei schönsten Mädchen der Schule und ich sah sie, so wie Gott sie erschaffen hatte. Mein Blick wanderte am Körper von Tanja entlang. Ich sah ihr Gesicht von der Seite. Ihr perfektes Gesicht. Wie oft hatte ich sie schon heimlich beobachtet, wenn sie in der Pause über den Schulhof geschlendert war oder im Unterricht wie eine Königin auf ihrem Platz thronte. Schon oft war meine Fantasie dabei mit mir durchgegangen und ich hatte mir versucht vorzustellen, wie Tanja nackt aussehen würde. Was ich in der Sauna sehen durfte, übertraf meine kühnsten Vorstellungen. Mein Blick wanderte gierig über Tanjas feste Brüste, über ihren flachen Bauch, an ihren wunderschönen Beinen herunter. Ich kam mir vor, wie ein Verdurstender in der Wüste. Nur zwei Meter entfernt von mir sprudelte das frische Wasser in einem Brunnen, doch der Brunnen schien trotz seiner Nähe unerreichbar für mich. Ich hätte alles dafür gegeben, in diesem Moment auf der anderen Seite der Saunatür sitzen zu dürfen. Neben Tanja, zwischen Tanja und Jenny. Gegenüber von Johanna. Ich schaute ins Schlaraffenland und wusste, dass ich dort nicht willkommen war. Tanja hatte mich noch nie beachtet und wenn doch, dann nur, um sich über mich lustig zu machen. Das Gleiche kann ich getrost auch über Johanna und Jenny sagen. Ich war schon immer ein Verlierer-Typ, von Frauen wie Tanja oder Jenny werde ich niemals beachtet werden.

      


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