Das falsche Paradies. Stefan Bouxsein

Das falsche Paradies - Stefan  Bouxsein


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später war er in den Bericht vertieft.

      Till wollte sich gerade auf den Weg machen, als sein Telefon klingelte. Ein Angestellter der Telekom teilte ihm mit, dass Sven Fischer zur besagten Zeit von einem Telefonhäuschen vor der Postfiliale am Fischstein aus angerufen wurde. Till bedankte sich und überlegte, ob Fischer damit als Täter entlastet sein könnte. Er konnte sich nicht durchringen, Fischer gefiel ihm nicht. Der Besuch bei ihm würde vielleicht neue Fragen aufwerfen, hoffte Till.

      Fischer wohnte in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung in der Berger Straße in Bornheim. Till war froh, dass er mit dem Motorrad gefahren war, Parkplätze waren hier nämlich Mangelware. Die Berger Straße teilte sich in zwei Straßenzüge, die obere und die untere Berger Straße. Die beiden Straßenteile wurden von der Habsburger Allee getrennt. Fischer wohnte direkt am Merianplatz, im unteren Teil der Straße. Die Berger Straße war eine Ansammlung von alt eingesessenen kleinen gemütlichen Kneipen und neu errichteten Cafés. Sie war eine der bekanntesten Straßen in Frankfurt, im Sommer saßen die Frankfurter an den vielen Tischen, die auf den Bürgersteigen standen oder in einem der Biergärten, die in den Hinterhöfen angesiedelt waren. Getrunken wurde neben Bier bevorzugt der Apfelwein, das hessische Nationalgetränk. Till musste sich erst an den leicht säuerlichen Geschmack des Apfelweins gewöhnen, als er nach dem Abitur seine Heimatstadt Erfurt verließ, um den Polizeidienst in Frankfurt anzutreten. Mittlerweile wusste er besonders an schwülen Sommerabenden den Apfelwein zu schätzen. Inzwischen trank er ihn meistens pur. Er war eben ein echter Frankfurter geworden.

      »Sven Fischer« stand kaum lesbar auf dem Klingelschild. Till drückte bereits zum dritten Mal den Klingelknopf, als ihm von hinten jemand auf die Schulter klopfte.

      »Guten Tag Herr Krüger, ich nehme an, Sie wollen zu mir.« Fischer lächelte Till an und öffnete die Tür.

      »Ich war nur eben am Kiosk und habe mir die Bild-Zeitung geholt. Und ein Päckchen Zigaretten. Eigentlich habe ich ja vor drei Wochen aufgehört mit dem Rauchen. Aber gestern habe ich mir wieder eine angezündet. Die ganze Geschichte ging mir wohl doch ein bisschen unter die Haut.«

      Fischer und Till betraten die Wohnung. Fischer zeigte auf sein Telefon. »Glücklich bin ich ja nicht damit, dass Sie meine Gespräche überwachen. Aber in dem Fall will ich mich nicht quer stellen. Ich wüsste doch zu gern, warum der Typ ausgerechnet mich angerufen hat. Es hat heute erst ein Mal geklingelt. Die Redaktion der Bild. Die wollten wissen, ob es etwas Neues von der Toten gibt. Immerhin rufen sie noch bei mir persönlich an, also weiß auch sonst niemand etwas Neues, oder?«

      »Nein, bisher sind nur mein Kollege und ich auf dem neuesten Stand der Dinge. Es sei denn, Sie verschweigen uns etwas und wissen mehr als Sie sagen.«

      »Sie trauen mir also nicht? Setzen Sie sich doch, kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«

      »Ja, danke. Ein Kaffee wäre nicht schlecht. Ich bin Polizeibeamter und mache meinen Job. Ob ich Ihnen traue oder nicht, das spielt keine Rolle. Mich interessieren nur Fakten.«

      Fischer schenkte Kaffee ein und zündete sich eine Zigarette an. Er schaute Till an und inhalierte einen kräftigen Zug Nikotin in seine Lunge.

      »Hören Sie, dass ich bei dieser Geschichte nicht so ganz lupenrein aussehe, das ist mir auch bewusst. Entweder ich kenne den Täter irgendwoher oder aber ich bin selbst der Täter. Wenn ich es selbst wäre, wäre es nicht sehr dreist von mir, die Polizei zu alarmieren und am Tatort auf Sie zu warten?«

      »Das wäre sogar sehr dreist. Wenn Sie dann auch noch unter der Aufsicht der Polizei einen Artikel in der Bild publizieren, wäre das der Gipfel der Dreistigkeit.«

      »Ich würde auch lieber politische Berichterstattung machen als so was hier.« Fischer zeigte auf die Bild-Zeitung. »Aber leider ist das zurzeit das Einzige, was mir geblieben ist. Es soll schon Journalisten gegeben haben, die ihre Storys selbst inszeniert haben, soweit bin ich aber zum Glück noch nicht gesunken.« In der Stimme von Fischer klang ein Hauch von Selbstmitleid mit.

      Till schaute sich im Zimmer um. Unauffällig suchte er nach einem Hinweis, einem Indiz, mit dem Fischer in ein anderes Licht gerückt werden würde. Aber er fand nichts. Ein Wohnzimmer wie hunderttausend andere auch. Ein schäbiger Schrank, eine ausgesessene Couchgarnitur, bezogen mit hellgelbem Stoff, vergilbte Gardinen, aber alles gepflegt. Kein Staub auf den Möbeln, keine Unordnung. Nicht gerade ein typisches Junggesellenzimmer.

      »Haben Sie eine Freundin?«

      »Nein, ich habe keine Freundin.«

      »Darf ich fragen, wie lange Ihre letzte Beziehung zu einer Frau zurückliegt?«

      Fischer schmunzelte. »Ich hatte noch nie eine intime Beziehung zu einer Frau.«

      Till schaute ihn ungläubig an. »Sie hatten noch nie ...?«

      »Nein, ich pflege hin und wieder Beziehungen zu Männern, ich bin schwul. Zufrieden?«

      »Können Sie das beweisen?« Kaum hatte Till die Frage gestellt, bemerkte er, wie dumm sie war. Dass Fischer schwul sein könnte, wäre ihm nie in den Sinn gekommen.

      Fischer wollte gerade antworten, als Till abwehrend die Hände erhob. »Entschuldigung, vergessen Sie es wieder.«

      »Sie sind auch nicht unbedingt mein Typ«, rettete Fischer ihn aus seinem Fettnäpfchen.

      Till überlegte kurz. Die Geschichte von Fischer schien Hand und Fuß zu haben, er wurde tatsächlich angerufen, von einer öffentlichen Telefonzelle ganz in der Nähe des Tatortes. Das machte Sinn. Aber eine Verbindung zum Täter, die musste es doch geben.

      »Sagt Ihnen der Name Niehaus etwas?«

      »Niehaus? Ich hatte beruflich mal mit einem Peter Niehaus zu tun. Warum fragen Sie?«

      »Peter Niehaus ist der Vater der Toten, Tanja Niehaus.«

      »Das ist ja ein Ding. Während meiner Zeit als Volontär bei der F.A.Z. habe ich für einen Artikel über Niehaus recherchiert. Ihm gehört eine Consulting-Firma, die sehr eng mit der Deutschen Bank zusammenarbeitet. Niehaus hat viele kleinere Firmen aus der Industrie beraten, die kurz vor der Pleite standen. Die meisten hatten faule Kredite bei der Deutschen Bank. Und die Deutsche Bank hat dann Niehaus eingeschaltet, um den Laden zu sanieren. Und das konnte er sehr gut. Er hat viele Firmen wieder auf die Beine gebracht. Wo er ins Spiel kam, gab es zwar immer massenweise Entlassungen, aber am Ende hat er es geschafft, die Unternehmen wieder fit zu machen. Es gab aber mal einen Fall, da ging nicht alles mit rechten Dingen zu. Es ging um die Vereinigte Edelmetall Werke. Niehaus wurde wie üblich von der Deutschen Bank als Sanierer eingesetzt. Doch angeblich gab es gar nichts zu sanieren. Der Betriebsrat jedenfalls war der Meinung, dass die Firma sehr gute Zahlen schreiben würde. Die Geschäftsleitung, die von der Deutschen Bank als Hauptkreditgeber kurz zuvor installiert worden war, hätte angeblich die Bilanz massiv zum Schaden des Unternehmens frisiert. So wurde monatelang zwischen Betriebsrat und Deutscher Bank wegen den von Niehaus geplanten Massenentlassungen verhandelt. Und jetzt kommt das Merkwürdige. Die Betriebsratsmitglieder kündigten nach und nach bei den Vereinigten Edelmetall Werken. Bei der F.A.Z. fanden wir später heraus, dass einem nach dem anderen ein überaus lukratives Angebot aus anderen Unternehmen unterbreitet wurde. Insgesamt waren es sechs Männer, die so abgeworben wurden. Die Vereinigten Edelmetall Werke standen bald ohne Betriebsrat da. Es wurden zwar neue Leute gewählt, die waren aber nicht tief genug in die Materie eingearbeitet, um bei den Verhandlungen mit Niehaus und der Deutschen Bank ein ernsthafter Gegner zu sein. Es wurden bei den Vereinigten Edelmetall Werken schließlich einhundertzwanzig Mitarbeiter entlassen. Kurze Zeit später wurde das Unternehmen unter der Regie von Peter Niehaus in kleinere Geschäftseinheiten zerschlagen, die dann unter verschiedenen Gesellschaftsformen rechtlich selbständig wurden. Insgesamt wurden auf diese Weise sechs neue Unternehmen gegründet. Drei davon firmierten als GmbH und die anderen drei als Aktiengesellschaft. Diese Umfirmierung geschah Anfang 1997. Bis November 1997 hielt die Deutsche Bank 95 Prozent des Aktienvolumens dieser drei Unternehmen, die anderen 5 Prozent gehörten Niehaus. Im Dezember schließlich platzierte die Deutsche Bank diese drei Unternehmen am Börsensegment Neuer Markt. Niehaus Consulting war als Unternehmensberatung für alle drei Börsenneulinge zuständig. Niehaus kümmerte


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