Das falsche Paradies. Stefan Bouxsein

Das falsche Paradies - Stefan  Bouxsein


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Ich habe was läuten hören, dass wir vielleicht noch Unterstützung bekommen.«

      »Wenn das kein Scherz ist, meiner Meinung nach könnten wir unsere Frauenquote noch verbessern.« Till grinste über beide Backen und Steffen verließ ebenfalls lachend das Büro.

      Sven Fischer saß vor seinem PC und bearbeitete die Fotos, die er am frühen Morgen von der Leiche im Brentano-Bad geschossen hatte. Er retuschierte geschickt ein Foto, auf dem die unbekannte Tote auf dem Bauch liegend zu sehen war. Deutlich konnte man die in leuchtend rot geschriebenen Worte auf ihrem Rücken lesen. Sven Fischer hielt sich an seine Abmachung mit Kommissar Siebels. Mit dem Bildbearbeitungsprogramm entfernte er die roten Buchstaben, klickte mit der Maus einen Punkt auf der Haut der Toten an und übertrug den Hautton über die Schrift. Nach einigen Minuten war das Foto bearbeitet, keine Spur mehr von roten Buchstaben auf dem Rücken der Frau. Auch in seinem Bericht erwähnte Sven Fischer kein Wort von dem Spruch, den er mit Schaudern gelesen hatte, als er die Leiche heute Morgen gefunden hatte.

      Sven Fischer war zufrieden mit seinem Text, er rief die Redaktion der BILD an. Die Boulevardpresse dürfte das größte Interesse an dieser Story haben, dachte er sich. Er ließ sich mit dem Chefredakteur verbinden und handelte eine Summe aus. Sie waren sich schnell einig und per E-Mail ging das Foto inklusive seines Textes an die Redaktion der Zeitung. Es war 12:00 Uhr. Noch zwei Stunden bis zu seinem Termin bei Kommissar Siebels vom K11 im Polizeipräsidium. Sven Fischer hatte nun die ersten ruhigen Minuten nach diesem mysteriösen Anruf in der Nacht. Warum er? Kannte er den Anrufer und somit auch den Mörder dieser jungen hübschen Frau? Oder kannte der Mörder ihn, aber er den Mörder nicht? Sven Fischer dachte nach. Dachte an seine Zeit bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Aber da war nichts, was ihn mit solch einer Geschichte in Verbindung bringen würde. Er überlegte weiter, rief sich die Stimme in Erinnerung, die ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Nichts. Fischer ging systematisch die letzten Jahre seines Lebens durch, die Stationen, auf denen er die verschiedensten Menschen kennen gelernt hatte. Sein Abitur auf der Max-Beckmann-Schule in Frankfurt, Zivildienst bei der evangelischen Kirche, Studium am Institut für Publizistik und Kommunikation an der Uni Göttingen, Aufbaustudiengang Journalistik an der Universität in Mainz, Volontariat bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der F.A.Z. Und seit fast einem Jahr nun freier Journalist, nachdem ihm die F.A.Z. mitgeteilt hatte, dass er zwar ein hervorragender Journalist sei, aufgrund der wirtschaftlichen Situation eine feste Anstellung aber nicht möglich wäre.

      An all diesen Stationen in seinem Leben hatte er viele Menschen kennen gelernt. Aber einen Mörder, der ihm nun mit seinem Mord zu einer Story verhelfen wollte? Nein, Sven Fischer konnte sich keinen Reim darauf machen. Und je länger er darüber nachdachte, desto tiefer drang in sein Bewusstsein, dass er für die Polizei zu dem Kreis der Verdächtigen gehören würde. Bei diesem Gedanken wurde ihm etwas mulmig zumute und er war heilfroh, dass er sich an die Abmachung mit Kommissar Siebels gehalten und in seinem Artikel nichts von dem Spruch erwähnt hatte.

      Ja, schön war sie. Sehr schön sogar. Wenn sie es darauf angelegt hätte, hätte sie bestimmt jeden Mann verrückt machen können. Gehörte sie zu der Sorte Frau, die Männer in den Wahnsinn treiben konnte? Eine lebensfrohe Frau, die mit ihren Reizen nicht geizte? Aber einen hatte sie wohl zu sehr gereizt. Und der wollte der Welt zeigen, wer diese Frau wirklich war. Nichts als eine kleine geile Schlampe, die ihr Leben verwirkt hatte. Oder war sie in illegale Machenschaften verwickelt gewesen? Hatte sie sich als Prostituierte angeboten? Die Neugier des Journalisten erwachte in Sven Fischer.

      Um 13:00 Uhr erschien Siebels wieder im Büro.

      »Und, wird sich die Frauenquote in unserer Abteilung jetzt sprungartig erhöhen?« Till kaute auf seinem Kugelschreiber, sah Siebels erwartungsvoll an.

      »Du wirst es nicht glauben, aber ab nächsten Monat bekommen wir Verstärkung. Es gibt zwei Kandidaten, die Jensen und ich in die engere Wahl gezogen haben. Einen jungen Mann und eine junge Frau.«

      »Wir nehmen die Frau!« Till tat so, als wäre sein Wort das letzte und die Entscheidung somit gefallen. Aber auch Steffen Siebels gefiel der Gedanke, noch eine Frau im Team zu haben.

      »Was war eigentlich am Freitag am Schießstand los? Jensen war ziemlich ungehalten.«

      Till konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Die neue Schießanlage ist echt super. Der Unterschied zwischen den Guten und den Bösen war aber ziemlich eindeutig, da dachte ich mir, das wäre eine Falle, weißt du ...«

      »Ja, Jensen war auch sehr beeindruckt von deiner Leistung. Ein tollwütiges Reh, ständig hat er etwas von einem tollwütigen Reh gefaselt und ist dabei aufgeregt durch sein Büro gestiefelt. Plötzlich fauchte er mich an, die Geisel hätte wohl auch Tollwut gehabt. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wovon er überhaupt redet. Erst als er Schneider erwähnte, kam mir der Schießstand in den Sinn.«

      Till hatte Mühe, den Kaffee nicht wieder auszuspucken, so sehr amüsierte er sich über den Bericht von Siebels. Er konnte sich richtig vorstellen, wie sich der kleine wieselflinke Staatsanwalt künstlich aufregte.

      »So lustig ist das gar nicht, Kollege. Das steht jetzt in deiner Akte. Und wenn du irgendwann mal draußen auf der Straße einen Schuss abgibst, der den falschen trifft, dann möchte ich nicht in deiner Haut stecken.«

      »Hast ja Recht«, wiegelte Till mit einer Handbewegung ab. »Aber das konnte ich mir einfach nicht verkneifen.«

      »Gibt es schon etwas Neues von unserer Unbekannten aus dem Brentano-Bad?«

      »Einen ersten Kurzbericht habe ich schon bekommen. Die Spurensicherung hat im Bad keine verwertbaren Spuren mehr gefunden. Auch keine Gegenstände, die dem Opfer zugeordnet werden könnten. Wenn sie nicht schon im Bikini über das Eingangstor geklettert ist, muss der Täter ihre Kleider mitgenommen haben. Doktor Petri hat seine ersten Erkenntnisse telefonisch durchgegeben. Todeszeitpunkt gegen 3:00 Uhr in der Frühe. Sie wurde von hinten erwürgt. Kurz vor ihrem Tod hatte sie vaginalen und analen Geschlechtsverkehr. Darauf deuten frische Risswunden in besagten Bereichen hin. Schwimmen war sie auch, ihr Bikini war noch feucht. Übrigens ein exklusives Teil. Oder besser gesagt: Zwei Teile. Ein Push-up Top und ein String-Höschen. Beides von Aubade, einer exklusiven Marke für Bademode. Die zwei Stofflappen sind für knappe 170 Euro zu haben. Aus der neuesten Kollektion, die ist erst vor drei Wochen auf den Markt gekommen. Vielleicht können wir über eine Boutique die Dame identifizieren, eine Vermisstenmeldung gibt es jedenfalls bisher noch nicht. Außer einem dreiundachtzigjährigen Opa, der gestern Abend aus einem Altersheim in Rödelheim ausgebüxt ist, gab es keine Vermisstenmeldungen. Könnte jetzt höchstens sein, dass der Opa unser Mann ist.« Till grinste über beide Backen. »Jedenfalls habe ich im Computer keinen Fall gefunden, bei dem jemand eine weibliche nackte Leiche zurückgelassen hat, mit dem Hinweis, es sei eine kleine geile Schlampe gewesen. Anhaltspunkte gleich Null. Auf der Leiche wurden auch keine Fingerabdrücke gefunden, nicht einmal ihre eigenen. Nur ein paar Stofffasern. Wahrscheinlich von einem feuchten Handtuch. Er hat sie also noch fein säuberlich gewaschen, bevor er sich aus dem Staub gemacht hat. Das lässt den Schluss zu, dass er die Tat geplant hat. Mehr konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen und auch das ist nur unverbindlich, bis uns der schriftliche Bericht vorliegt. Bei der Telekom habe ich auch Druck gemacht. Ich erwarte einen Rückruf.«

      Siebels zuckte nur mit den Schultern und sah auf seine Uhr. »Kommst du mit zum Imbiss runter? In einer Stunde kommt der Journalist, vielleicht hilft der uns ja weiter. Vorher brauche ich aber noch einen Bissen.«

      »Mein Magen knurrt auch, gehen wir.«

      Steffen Siebels und Till Krüger verließen das Präsidium, an der nächsten Kreuzung war der Imbiss. Hier diskutierten sie ihre Fälle, wenn ihnen im Büro nichts mehr einfallen wollte.

      3

      Pünktlich um 14:00 Uhr traf Sven Fischer im Büro der beiden Kommissare ein.

      »Nehmen Sie Platz.« Siebels bot dem jungen Mann einen Stuhl an, Fischer setzte sich Siebels gegenüber. Till hockte auf der Schreibtischkante.

      Fischer versicherte zunächst, dass er sich an die Vereinbarung gehalten habe. Über den Spruch auf dem Rücken


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