Der Weltkrieg, Deutsche Träume. August Niemann

Der Weltkrieg, Deutsche Träume - August  Niemann


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streifte.

      Fürst Tschadschawadse war von zu heißblütigem Temperament, um solcher Versuchung lange zu widerstehen. In seinen Augen leuchtete es auf, und mit einer raschen Bewegung drehte er sich nach dem Mädchen um, ihren biegsamen Leib mit seinem Arme umschlingend.

      Zu weiteren Zärtlichkeiten aber kam es nicht, denn das kleine Abenteuer, das Heideck unangenehm berührte, erfuhr eine jähe Unterbrechung.

      Ohne von den am Tische Sitzenden bemerkt zu werden, war der schöne, blonde Page des Fürsten aus der Tür des Bungalo getreten, einen Teller mit Bananen und Mangos in der Hand. Ein paar Sekunden lang hatte er mit funkelnden Augen den Vorgang betrachtet. Dann aber war er mit einigen lautlosen Schritten herangeglitten und warf nun, ohne ein Wort zu sprechen, den Teller mit den Früchten so geschickt und kräftig nach der bronzefarbigen Verführerin, daß das Mädchen mit einem lauten Aufschrei nach der getroffenen Schulter griff, während das Geschirr zerbrochen am Boden klirrte.

      In der nächsten Minute schon war sie mit ihrer Begleiterin in eiliger Flucht verschwunden. Das Gesicht des Fürsten aber war rot vor Zorn, und er griff aufspringend nach der neben ihm liegenden Reitpeitsche.

      Schon machte sich Heideck bereit, das verkleidete Mädchen vor einem ähnlichen Strafgericht zu bewahren, wie sein neuer Freund es gestern an seinem indischen Boy vollzogen hatte. Aber er sah, daß es seiner Intervention hier nicht bedurfte.

      Hochaufgerichtet und mit einem beinahe verächtlichen Zucken der schönen Lippen war der junge Page dicht vor den Fürsten hingetreten. Ein halblautes, zischendes Wort, dessen Sinn Heideck nicht verstand, mußte den Zorn des Russen plötzlich beschwichtigt haben. Denn er ließ den schon zum Schlage erhobenen Arm sinken und warf die Peitsche auf den Tisch.

      „Geh und hole uns einen anderen Nachtisch, Georgij!“ sagte er so gleichmütig, als wäre gar nichts geschehen. „Es ist eine wahre Plage, daß man vor diesem indischen Gesindel nicht eine Stunde lang Ruhe hat.“

      Ueber das Gesicht der Cirkassierin huschte es wie ein triumphierendes Lächeln. Sie warf einen freundlichen Blick auf Heideck und wandte sich schweigend dem Bungalo zu. Voll Bewunderung und nicht ohne eine leise Regung des Neides gegen den glücklichen Besitzer von soviel berückender weiblicher Schönheit sah ihr Heideck nach, wie sie anmutig, sich leicht in den Hüften wiegend, dahin ging. Er hatte schon eine Bemerkung auf den Lippen, die dem Fürsten verraten sollte, daß er hinter das allerdings sehr durchsichtige Geheimnis seiner maskierten Reisebegleiterin gekommen sei. Aber er wurde durch einen neuen Zwischenfall daran gehindert.

      Ein englischer Soldat im Ordonnanzanzuge trat an den Tisch und überreichte Heideck, der ihm dem Ansehen nach bekannt sein mußte, mit militärischem Gruße ein Billet.

      „Von dem Herrn Obersten,“ sagte er. „Und ich soll melden, daß es sehr dringlich sei.“

      Mit Verwunderung griff Heideck nach dem Brief. Er enthielt in zwar höflicher, doch immerhin ziemlich bestimmter Form die Bitte um einen möglichst baldigen Besuch des Herrn Hermann Heideck. Das bedeutete bei der Machtstellung, die Oberst Baird hier in Chanidigot inne hatte, einen Befehl, dem er ohne Zögern und Widerspruch gehorchen mußte.

      Baird war der Höchstkommandierende des hier stationierten Detachements, das aus einem Infanterieregiment von etwa sechshundert Mann, einem zweihundertvierzig Pferde starken Ulanenregiment und einer Feldbatterie bestand. Wie in allen anderen Residenzen der großen indischen Fürsten, hatte die britische Regierung auch in Chanidigot eine Streitmacht stationiert, die stark genug war, um den Maharadjah in Respekt zu halten und alle Rebellionsgelüste im Keime zu ersticken. Da Oberst Baird zugleich den Posten eines Residenten am Hofe des Fürsten bekleidete und somit alle diplomatische und militärische Gewalt in seiner Hand vereinigte, war er als der eigentliche Herr und Gebieter in Chanidigot anzusehen.

      Sein Bungalo lag inmitten des auf einer weiten, grünen Ebene aufgeschlagenen Lagers. Es war eine Gruppe von Gebäuden, die einen mit Pflanzen und einem plätschernden Brunnen geschmückten viereckigen Hof umschlossen.

      Wie es schien, hatte er Befehl gegeben, Heideck sofort vorzulassen. Denn der Adjutant, bei dem sich Heideck gemeldet hatte, führte ihn ohne weiteres in das Arbeitszimmer seines Vorgesetzten.

      Höflich, doch mit einer Gemessenheit, die sich merklich von seinem bisherigen Benehmen gegen den beliebten Gast des Offizierkorps unterschied, dankte ihm der stattliche, martialisch aussehende Mann für sein rasches Erscheinen.

      „Bitte nehmen Sie Platz, Mr. Heideck,“ fügte er hinzu, „ich habe mich ungern entschlossen, Sie zu bemühen, aber ich konnte es Ihnen nicht ersparen. Es ist mir gemeldet worden, daß Sie heute Morgen bei dem Maharadjah waren.“

      „Allerdings. Ich hatte in Geschäften mit ihm zu reden. Denn ich stehe im Begriff, für mein Hamburger Haus einen großen Posten Indigo von ihm zu kaufen.“

      „In Ihre Geschäfte habe ich mich selbstverständlich nicht einzumischen. Aber ich muß Ihnen sagen, daß wir einen direkten Verkehr von Europäern mit den eingeborenen Fürsten nicht gern sehen. Sie werden deshalb gut tun, mir in künftigen Fällen vorher Mitteilung davon zu machen, wenn Sie zu dem Maharadjah berufen werden, damit wir uns über das, was Sie ihm sagen oder nicht sagen dürfen, verständigen können. Wir dürfen leider nicht allen indischen Fürsten trauen, und dieser hier ist vielleicht einer der unzuverlässigsten unter ihnen. Sie dürfen das, was ich Ihnen da sage, nicht als einen Ausdruck des Mißtrauens gegen Sie ansehen. Die Verantwortlichkeit meiner Stellung aber gebietet mir die allergrößte Vorsicht.“

      „Ich begreife das vollkommen, Herr Oberst!“

      „Gerade in diesem Augenblick scheint sich die Lage besonders schwierig zu gestalten. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn wir nicht recht unruhigen Zeiten entgegen gingen. Der Generalgouverneur von Turkestan ist auf dem Marsche, und seine Avantgarde ist bereits über die Grenze von Afghanistan vorgedrungen.“

      Heideck hatte Mühe, die Erregung zu verbergen, in welche diese Bestätigung der Mitteilung Tschadschawadses ihn versetzte.

      „Ist das gewiß, Herr Oberst? Was wollen die Russen in Afghanistan?“

      „Was sie da wollen? Nun, mein lieber Mr. Heideck, ich denke, das ist ziemlich klar. Ihr Vorgehen bedeutet den Krieg gegen uns. Rußland will das natürlich vorläufig noch nicht offen zugeben. Man behandelt den Vormarsch als eine Angelegenheit, die nur den Emir anginge und um die wir uns nicht zu kümmern hätten. Aber man müßte sehr befangen sein, um die wahre Absicht nicht zu durchschauen.“

      „Und darf ich fragen, was der Herr Oberst zu tun gedenkt?“

      Oberst Baird mußte den jungen Deutschen in der Tat für eine sehr vertrauenswürdige oder für eine sehr ungefährliche Persönlichkeit halten, da er ihm bereitwillig Antwort gab.

      „Die russische Avantgarde hat den Amu darja überschritten und zieht das Murgabtal herauf nach Herat. Danach werden wir unsere Maßregeln treffen. Die Moskowiter sollen sich in uns getäuscht haben. So geduldig und langmütig sind wir doch nicht, daß wir unsere lieben Nachbarn einfach in offene Tore einziehen lassen. Ich denke, es wird bei den russischen Generalen einige lange Gesichter geben, wenn sie sich in Afghanistan plötzlich unseren Bataillonen, unseren Sikhs und Gurkhas, gegenüber sehen.“

      Der Adjutant erschien mit einer offenbar sehr wichtigen Meldung, und da Heideck wahrnahm, daß der Oberst mit seinem Ordonnanzoffizier unter vier Augen zu sprechen wünsche, hielt er es für ein Gebot der Höflichkeit, sich zu empfehlen.

      Die Worte des Obersten: ‚Das Vorgehen der Russen in Afghanistan bedeutet den Krieg‘, klangen ihm unablässig in den Ohren wieder. Er pries in seinem Herzen den glücklichen Zufall, der ihn zur rechten Zeit auf den Schauplatz großer weltgeschichtlicher Ereignisse geführt hatte. Und alle seine Gedanken waren einzig darauf gerichtet, wie er es anfangen könne, beim Ausbruch der Feindseligkeiten als Zuschauer und Beobachter zugegen zu sein.

      Daß sein russischer Freund von demselben Wunsche erfüllt sein würde, durfte er um so eher voraussetzen, als Fürst Tschadschawadse ja einer der beiden unmittelbar beteiligten Nationen angehörte.


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