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Der Weltkrieg, Deutsche Träume. August Niemann
es erwartet hatte.
„Also wirklich! Die Avantgarde ist schon über den Amu darja! Und es wird also an der rechten Stelle der Krieg ausbrechen!“ rief der Russe in hellem Jubel aus. „In unserer Armee herrschte die Befürchtung, daß der Zar sich vielleicht niemals zu dem Entschlusse aufraffen würde, einen Krieg zu führen. Es müssen mächtige und unwiderstehliche Einflüsse gewesen sein, die zuletzt doch über seine Friedensliebe gesiegt haben.“
„Sie wollen natürlich so schnell als möglich zur Armee?“ fragte Heideck. Und da der Fürst bejahte, fügte er hinzu:
„Ich würde Ihnen dankbar sein, wenn Sie mir erlauben wollten, mich Ihnen anzuschließen. Wie aber kommen wir über die Grenze? Hoffentlich läßt man uns als unverdächtige Kaufleute unbehelligt passieren.“
„Das ist nicht so ganz sicher. Wahrscheinlich werden wir nicht so leicht aus Indien hinauskommen, wie wir hereingekommen sind. Immerhin aber müssen wir’s versuchen. Wir können mit der Bahn in zwölf Stunden in Peschawar und in fünfzehn in Quetta sein. Beide Bahnlinien dürften augenblicklich noch nicht durch Truppensendungen beansprucht sein. Aber wir werden gut tun, unsern Aufbruch zu beschleunigen. Vermutlich würden wir sowohl von Peschawar wie von Quetta aus bald auf russische Truppen stoßen. Denn ich zweifle nicht, daß auch gegen Kabul hin ein russisches Korps im Vormarsch ist, obwohl der Oberst, wie Sie sagen, nur von einer Avantgarde sprach, die auf Herat marschiere.“
„Ich würde vorschlagen, über Peschawar und durch den Kaiberpaß zu gehen, weil wir so am schnellsten und sichersten nach Kabul gelangen.“
„Wir werden das nachher noch des näheren besprechen, Herr Kamerad! Jedenfalls ist es ausgemacht, daß wir zusammen bleiben. Hoffe ich doch, daß auch auf der großen Weltbühne in diesem Augenblick Ihre Nation Schulter an Schulter mit der meinigen gegen England steht.“
V.
Als verheirateter Offizier bewohnte Kapitän Irwin nicht eine der hölzernen Baracken im englischen Camp, sondern ein Bungalo in der Vorstadt.
Es war ein einstöckiges, von einem großen, gut gehaltenen Garten umgebenes Haus mit breiten Veranden, das früher einem hohen Hofbeamten des Maharadjah als Wohnung gedient hatte. Abseits lagen zwei kleinere, für die Dienerschaft bestimmte Gebäude, von denen gegenwärtig nur eines benutzt wurde.
Die Sonne desselben Tages, der ihm so wichtige und für die Gestaltung seiner nächsten Zukunft entscheidende Entschlüsse nahe gelegt hatte, neigte sich bereits dem Untergange zu, als Hermann Heideck die Kaktushecke und das Bambusgebüsch des zum Irwinschen Bungalo gehörenden Gartens durchschritt.
Er war in einen Gesellschaftsanzug aus leichtestem schwarzen Tuch gekleidet, wie es englische Sitte für einen um die abendliche Dinerzeit abgestatteten Besuch unter jenem Himmelsstrich vorschreibt.
Er kam heute nicht aus eigenem Antrieb, und der Morgengruß Irwins hatte nichts Einladendes gehabt. Ein Billet von Mrs. Irwin hatte ihn zu seiner Ueberraschung um sein Erscheinen zu dieser Stunde gebeten. Er hatte der Fassung des Briefes entnommen, daß es sich um etwas Dringliches handeln müsse, und es lag nicht fern, zu vermuten, daß die unglückliche Pokerpartie des Kapitäns die Ursache wäre. Was Mrs. Edith veranlaßt haben konnte, sich gerade an ihn zu wenden, war ihm allerdings vorläufig ein Rätsel. Denn seine Beziehungen zu der schönen jungen Frau hatten bis zu diesem Augenblick ganz und gar nichts Vertrauliches gehabt. Er war ihr einigemal in größerer Gesellschaft, beim Polospiel der Offiziere und ähnlichen Anlässen begegnet. Und wenn er, durch ihre Anmut und ihren Geist gefesselt, sich der Gattin des Kapitäns vielleicht auch lebhafter gewidmet hatte, als irgend einer der anderen anwesenden Damen, so hatte sich ihr Verkehr doch durchaus in den konventionellen Grenzen bewegt. Und niemals würde es ihm eingefallen sein, sich einer besonderen Bevorzugung durch Mrs. Irwin zu rühmen.
Die zierliche indische Zofe der Hausfrau empfing den Besucher und führte ihn zu der Veranda. Mrs. Irwin, die in einem Kleide von roher Seide auf einem Schaukelstuhl gesessen hatte, ging ihm einige Schritte entgegen. Aufs neue fühlte sich Heideck entzückt durch den Liebreiz ihrer Erscheinung. Sie war eine echt englische Schönheit von hoher, wundervoll ebenmäßiger Gestalt, feinen Zügen und jener weißen, durchsichtigen Haut, die den Töchtern Albions einen ihrer eigenartigsten Reize verleiht. Reiches, dunkelblondes Haar schmiegte sich in dichten, natürlichen Wellen um die breite Stirn, und ihre blauen Augen hatten den klaren, ruhigen Blick einer ebenso intelligenten wie willensstarken Persönlichkeit.
In diesem Moment allerdings schien die junge Frau, die Heideck bisher nur als die gelassene und beherrschte Dame der großen Welt kennen gelernt hatte, sich in einer Erregung zu befinden, die sie nur unvollkommen zu verbergen vermochte. Etwas eigentümlich Befangenes war in der Art, wie sie den Besucher begrüßte.
„Ich danke Ihnen für Ihr Erscheinen, Mr. Heideck! Meine Einladung wird Sie befremdet haben, aber ich wußte mir nicht anders zu helfen. Bitte, lassen Sie uns in das Parlour gehen, es wird hier draußen empfindlich kühl.“
Von solcher Kühle konnte Heideck zwar noch nichts bemerken, aber er glaubte zu verstehen, daß es nur die Furcht vor einem Lauscher sei, die den Wunsch der jungen Frau bestimmte. In der Tat schloß sie hinter ihm die Glastür und lud ihn ein, ihr gegenüber auf einem der breiten Rohrstühle Platz zu nehmen.
„Kapitän Irwin ist nicht anwesend,“ eröffnete sie, noch immer ersichtlich mit einer starken Verlegenheit kämpfend, das Gespräch. „Er ist fortgeritten, um seine Schwadron zu inspizieren und wird, wie er mir sagte, nicht vor Tagesanbruch zurückkehren.“
Heideck begriff nicht recht, weshalb sie ihm diese Mitteilung machte. Wäre er ein von seiner Unwiderstehlichkeit überzeugter Frauenjäger gewesen, so würde er darin vielleicht eine sehr durchsichtige Ermutigung erblickt haben. Aber er war weit entfernt, Ediths Worten eine derartige Deutung zu geben. Die Verehrung, die er dieser schönen Frau seit dem ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft entgegengebracht hatte, schützte sie hinlänglich vor jedem unlauteren Verdacht. Wenn sie ihn zu einer Zeit hierher beschieden hatte, wo sie sicher sein konnte, daß ihr Gespräch nicht durch das Erscheinen ihres Gatten gestört werden konnte, so hatte sie dafür sicherlich andere Gründe gehabt, als den Wunsch nach einem Abenteuer.
Und wie er sie da vor sich sitzen sah, mit einem Zug herben Kummers, regte sich in seinem Herzen kein anderes Verlangen als der lautere Wunsch, diesem ohne Zweifel tief unglücklichen Wesen irgend einen ritterlichen Dienst erweisen zu dürfen.
Aber er hatte nicht den Mut, ihr etwas derartiges zu sagen, bevor sie ihm nicht in unzweideutiger Weise ein Recht dazu gegeben hätte. Darum wartete er schweigend auf das, was sie ihm weiter mitzuteilen wünsche. Und es gab eine ziemlich lange, etwas peinliche Pause, bevor Mrs. Irwin, ersichtlich all ihren Mut zusammennehmend, fortfuhr:
„Sie waren ein Zeuge des Auftritts, der sich gestern abend in der Offiziersmesse zwischen meinem Mann und dem Kapitän Mc. Gregor abgespielt hat. Wenn ich recht unterrichtet bin, habe ich es sogar lediglich Ihnen zu verdanken, daß mein Mann nicht in der ersten Erregung Hand an sich gelegt hat.“
Bescheiden wehrte Heideck ab.
„Ich habe durchaus nichts getan, was mir einen Anspruch auf Ihre Dankbarkeit gäbe, Mrs. Irwin, und ich glaube auch nicht, daß Ihr Gatte sich wirklich zu einer solchen unsinnigen Verzweiflungstat hätte hinreißen lassen. Im entscheidenden Augenblick würde der Gedanke an Sie ihn sicherlich vor dem Aeußersten bewahrt haben.“
Er war überrascht von dem Ausdruck der Verachtung, den das schöne Gesicht der jungen Frau bei seinen letzten Worten angenommen hatte, und von dem harten Klang ihrer Stimme, da sie erwiderte:
„Der Gedanke an mich? Ah, wie wenig Sie meinen Mann kennen! Er ist nicht gewöhnt, um meinetwillen irgend welche Opfer zu bringen. Und vielleicht wäre sein freiwilliger Tod nicht einmal das Schlimmste, was er mir hätte