Der Weltkrieg, Deutsche Träume. August Niemann
Weiber, wenn sie ihrer überdrüssig geworden waren, mit einem Strick um den Hals auf den Marktplatz führten, um sie an den Meistbietenden zu verkaufen. Es soll noch nicht gar zu lange her sein, daß sich diese schöne Sitte verloren hat.“
„Nicht weiter, Mrs. Irwin!“ fiel ihr Heideck ins Wort. „Ich kann es nicht ertragen, Sie so sprechen zu hören. Und noch immer bin ich der Meinung, daß der Kapitän unzurechnungsfähig gewesen sein muß, als er Ihnen das zumuten konnte.“
Die junge Frau schüttelte mit einem herben Zucken der Lippen den Kopf.
„O nein, er war weder betrunken, noch sonderlich aufgeregt, als er mich um diese ‚kleine‘ Gefälligkeit ersuchte. Am Ende sollte ich mich seiner Meinung nach noch dadurch geschmeichelt fühlen, daß Seine indische Hoheit meiner unbedeutenden Person einen so großen Wert beimißt. Daß ich ohne mein Zutun das Wohlgefallen des Maharadjah erregt habe, war mir allerdings schon seit einiger Zeit zum Bewußtsein gekommen. Nach der ersten Begegnung schon hat er angefangen, mich mit seinen Aufmerksamkeiten zu belästigen. Ich habe davon keine Notiz genommen und nicht einen Augenblick an die Möglichkeit gedacht, daß sich seine — nun, nennen wir es: seine Zuneigung — bis zu verbrecherischen Wünschen versteigen könnte. Nach allem, was ich heute erfahren, muß ich es indes wohl glauben.“
„Aber diese Abscheulichkeit, Mrs. Irwin, war doch für Sie in demselben Augenblick erledigt, wo Sie das Ansinnen Ihres ehrvergessenen Gatten zurückwiesen?“
„Zwischen ihm und mir — ja. Aber ich bin nicht ganz sicher, ob damit die Wünsche des Maharadjah wirklich schon ganz vergessen sind. Meine indische Zofe ist von einem ihrer Landsleute aufgefordert worden, mich vor einer Gefahr zu warnen, die mich bedroht. Der Mann hat ihr nicht gesagt, worin diese Gefahr besteht; aber ich wüßte nicht, woher sie kommen sollte, wenn nicht von dem Maharadjah.“
Ungläubig schüttelte Heideck den Kopf.
„Von ihm haben Sie sicherlich nichts zu fürchten. Er weiß sehr wohl, daß er die ganze britische Macht gegen sich herausfordern würde, wenn er die Gattin eines englischen Offiziers auch nur mit einem Wort zu verletzen wagte. Er müßte geradezu wahnwitzig sein, wenn er es darauf ankommen ließe.“
„Nun, etwas Despotenwahnsinn mag schon noch in ihm stecken. Wir dürfen doch nicht vergessen, daß die Zeit nicht allzuweit zurückliegt, wo alle diese Tyrannen unumschränkt über Leben und Tod, über Leib und Seele ihrer Untertanen geboten. Und wer weiß, was mein Gatte — — — Aber Sie mögen ja recht haben. Es ist vielleicht eine ganz törichte Vermutung, von der ich mich da beunruhigen lasse. Und eben deshalb wollte ich auch zu keinem von meines Mannes Kameraden davon sprechen. Ihnen allein habe ich mich offenbart. Ich weiß, daß Sie ein Ehrenmann sind und daß niemand aus Ihrem Munde erfahren wird, was in dieser Stunde zwischen uns gesprochen wurde.“
„Ich danke Ihnen noch einmal für Ihr Vertrauen, Mrs. Irwin, aber ich möchte so gerne etwas tun, Sie aus Ihrer Unruhe zu befreien. Sie fürchten sich vor einer unbekannten Gefahr, und Sie sind in dieser Nacht bei der Abwesenheit Ihres Gatten ohne einen anderen Schutz als den Ihrer indischen Dienerschaft. Wollen Sie mir gestatten, bis zum Tagesanbruch in Ihrer Nähe zu bleiben?“
Mit einem Erröten, das sein Herz schneller schlagen machte, schüttelte Edith Irwin den Kopf.
„Nein — nein! — Das ist unmöglich. Und ich glaube ja auch nicht, daß mir hier im Schutze meines Hauses und inmitten meiner Leute ein Leid geschehen könnte. Nur für den Fall, daß mir zu einer anderen Zeit und an einem anderen Orte etwas zustoßen sollte, würde ich Sie bitten, den Obersten Baird von dem Inhalt unserer heutigen Unterredung in Kenntnis zu setzen. Man wird den Zusammenhang der Dinge dann vielleicht besser begreifen.“
Wohl verstand Heideck jetzt, weshalb sie gerade ihn, den Fremden, zu ihrem Vertrauten gemacht hatte. Und er glaubte auch zu erraten, daß es viel weniger die Besorgnis vor einem Anschlage des Maharadjah, als vor einer Schurkerei ihres eigenen Gatten sei, von der die unglückliche junge Frau geängstigt wurde. Aber sein Zartgefühl hielt ihn ab, mit dürren Worten auszusprechen, daß er sie begriffen habe. Es war ja auch genug, wenn sie wußte, daß sie unbedingt auf ihn zählen dürfe. Und davon mußte sie hinlänglich überzeugt sein, obgleich es nur der Blick seiner Augen war, der sie dessen versicherte, und der lange, heiße Kuß, den seine Lippen auf die zum Abschied gereichte eiskalte, kleine Hand des armen jungen Weibes drückten.
„Sie werden mir erlauben, Ihnen morgen noch einmal meine Aufwartung zu machen, nicht wahr?“
„Ich werde Ihnen Nachricht geben, wann ich Sie erwarte; ich möchte nicht, daß Sie meinem Mann begegnen. Vielleicht ahnt er, daß Sie mir freundlich gesinnt sind. Und das genügt, um ihn mit Mißtrauen und Abneigung gegen Sie zu erfüllen.“
Sie klatschte in die Hände, und da jetzt die indische Zofe eintrat, um den Besucher hinaus zu geleiten, mußte Heideck ihre letzte Bemerkung unbeantwortet lassen. Als er sich auf der Schwelle aber noch einmal zu einer letzten Verbeugung umwandte, suchten seine Augen die ihrigen, und wenn auch ihre Lippen stumm blieben, hatten sie einander doch vielleicht in dieser einzigen Sekunde mehr gesagt, als während ihres ganzen, langen Beisammenseins.
VI.
Als Heideck in den Garten hinaustrat, vermochte er sich zunächst kaum zu orientieren, aber nach einigen Schritten hatten seine Augen sich hinlänglich an die nächtliche Dunkelheit gewöhnt, und das schwache Licht der Sterne zeigte ihm den Weg.
Eine undurchdringliche Hecke von Kaktuspflanzen, die indessen niedrig genug war, um einen hochgewachsenen Mann darüber hinwegsehen zu lassen, bildete die Umfassung des Gartens. Als er die hölzerne Pforte hinter sich geschlossen, blieb Heideck jenseits dieser Hecke stehen und blickte nach den hell erleuchteten Fenstern des Hauses zurück. Solange er der schönen Frau gegenübergestanden, hatte er sich mannhaft beherrscht. Kein rasches Wort hatte ihr den Sturm von Gefühlen verraten, den diese nächtliche Unterredung in seiner Brust entfesselt hatte. Nicht eine Sekunde lang hatte er vergessen, daß sie das Weib eines anderen sei und daß er eine Ehrlosigkeit beging, sie zu seinem Weibe zu begehren, solange sie an diesen anderen gefesselt war. Darüber aber, daß sein Blut mit ungestümer Leidenschaft nach ihr verlangte, konnte er sich selbst nicht länger täuschen. Heute zum ersten Male war ihm mit fast erschreckender Deutlichkeit zum Bewußtsein gekommen, daß er diese Frau liebte, wie er noch nie ein weibliches Wesen geliebt hatte. Doch es war für ihn nichts berauschendes oder beglückendes in dieser Erkenntnis. Viel eher erfüllte sie ihn mit einer Empfindung der Furcht vor den Wirren und Kämpfen, in die seine Liebe zu dieser schönen Frau ihn verwickeln konnte. Wäre sie nicht seines Schutzes bedürftig gewesen und hätte er nicht sein Wort gegeben, zu ihrem Beistande hier zu bleiben, er würde sich dem schweren Herzenskonflikt durch eine rasche Flucht entzogen haben. Aber davon konnte unter diesen Umständen nicht mehr die Rede sein. Er selbst hatte ihr heute ein Recht gegeben, auf seine Freundschaft zu zählen; und es war ein Gebot der Ritterlichkeit, ihr Vertrauen auch zu verdienen.
Unfähig, sich von der Stelle loszureißen, wo er das geliebte Weib wußte, verharrte Heideck wohl schon eine Viertelstunde lang auf seinem Platze, und als er endlich — das törichte seines Beginnens erkennend — den Entschluß gefaßt hatte, sich zur Heimkehr zu wenden, machte er eine Wahrnehmung, die befremdlich genug war, um ihn zu längerem Weilen zu veranlassen.
Er sah, daß die Haustür, die vorhin die indische Zofe hinter ihm geschlossen hatte, sich öffnete, und bei dem Lichtschein, der aus dem erhellten Flur in die Dunkelheit hinausfiel, bemerkte er, wie mehrere in helle Gewänder gekleidete Männer dicht hintereinander die Stufen hinaufeilten.
Er erinnerte sich an Mrs. Irwins rätselhafte Aeußerungen von einem Unglück, das ihr möglicherweise bevorstände, und von einer beängstigenden Ahnung erfaßt, stieß er die Gartenpforte wieder auf und eilte dem Hause zu.
Noch hatte er es nicht erreicht, als