Bettina Fahrenbach Staffel 5 – Liebesroman. Michaela Dornberg
»Nein, ich will nur im Haus sein, wenn sie wieder wach wird.«
Leni blickte sie prüfend an.
»Du hast Angst, dass sie so unvermittelt verschwindet wie sie gekommen ist, ohne mit dir geredet zu haben, stimmt’s?«
Bettina wurde rot, denn Leni hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. »Ja«, gab sie zu, »davor habe ich Angst.«
Das konnte Leni sogar verstehen, denn sie kannte Bettina und ihr gutes Herz, ihr Verantwortungsgefühl, ihre Hilfsbereitschaft und vor allem, was auch immer sie ihr angetan hatten, ihre Liebe zu ihren Geschwistern.
»Also gut, ich hole meinen ganzen Püngel hierher und werde hier kochen. Dein Tisch ist schließlich groß genug, an dem haben alle Platz. Und du kannst entspannt mit Arno und Klaus die Baupläne durchgehen. Klaus wird jeden Moment hier sein, und danach fahr auf ein Stündchen zu Linde, dann ist die auch beruhigt. Und ich werde ein Auge auf Grit haben …, und keine Sorge, mein Kind, mir entwischt sie nicht, und wenn ich sie an einen Stuhl fesseln muss. Aber eine solche Sorge ist auch absolut unbegründet, die steht noch immer unter Strom, und es wird Stunden dauern, ehe sie wieder klar ist.«
Das, was Leni sagte, klang verlockend. Das Gespräch mit dem Architekten war wichtig, und sie wäre nur mit halbem Ohr dabei gewesen, und Linde …, die würde auch zufrieden sein.
»Das willst du wirklich für Grit tun?«
»Nein, Bettina, nicht für Grit, für dich«, antwortete Leni. »Aber …, na ja, in der Haut deiner Schwester möchte ich nicht stecken, die scheint wirklich ganz unten angekommen zu sein, denn normalerweise trinkt sie doch nicht, nippt allenfalls an einem Champagner …, um in einen derartigen Zustand zu geraten, muss man schon Mengen an Hochprozentigem in sich hineinkippen. Was hat sie sich bloß dabei gedacht? Dass, wenn sie sich nur ordentlich zudröhnt, all ihre Probleme verschwinden? Wir können ja bloß froh sein, dass nichts passiert ist. Das geringste Übel wäre gewesen, den Führerschein zu verlieren, wenn sie in eine Polizeikontrolle geraten wäre. Aber sie hätte tot sein können und sie hätte andere, unschuldige Menschen, mit in den Tod reißen können. Ich bekomme eine eiskalte Wut, wenn ich daran denke, was alles hätte passieren können.«
»Das ist richtig, Leni, und ich mag es mir auch nicht ausmalen. Zum Glück hatte sie viele Schutzengel, und es ist nichts passiert. Bitte, Leni, lass es sie nicht spüren, wenn sie wieder wach wird und du die erste bist, die sie bewusst wahrnimmt … Wir können später mit ihr darüber reden, aber nicht sofort.«
Leni klopfte Bettina auf die Schulter.
»Nun mach dir mal keine Sorgen, ich bin schließlich kein Unmensch und werde nicht sofort mit der Tür ins Haus fallen, dadurch wird sie nur verstockt. Aber sagen werde ich es ihr schon, darauf kannst du Gift nehmen.«
»Ja, das ist auch in Ordnung … Ich lauf rasch hinauf in die Destille und hole meine Unterlagen, und dann sage ich Arno Bescheid, dass ich hier im Haus auf ihn und Klaus warten werde.«
»Lass es uns ein bisschen anders machen. Ich werde Arno bitten, alles mit hierher zu transportieren, und solange wartest du. Und dann kannst du deine Unterlagen holen, okay?«
Bettina nickte. Sie merkte, wie durcheinander sie war, aber das mit Grit hatte sie einfach zu sehr mitgenommen. Leni hatte recht, man konnte ein Pferd nicht von hinten aufzäumen, und das hätte sie jetzt gemacht.
*
Bettina hatte mit dem Architekten und Arno ausführlich die Pläne für den Umbau der Remise besprochen, sie war mehr als eine Stunde bei Linde gewesen, die erstaunlich vernünftig gewesen war. Sie hatten alle zusammen zu Mittag gegessen, einen Kaffee getrunken, sich noch eine Weile unterhalten, zwischendurch immer wieder nach Grit gesehen, doch die lag reglos wie ein Stein im Bett und schlief.
Inzwischen war Klaus wieder nach Hause gefahren, Leni und Arno waren auch gegangen, und Bettina versuchte, sich auf den Inhalt eines Buches zu konzentrieren, das eigentlich sehr spannend war, ihr gelang es aber nicht, den Sinn zu erfassen, weil ihre Gedanken immer wieder zu ihrer Schwester glitten.
Vielleicht wäre es besser gewesen, einen Arzt zu rufen? Bei einem Vollrausch starben Millionen von Gehirnzellen ab. Was passierte eigentlich bei einer Alkoholvergiftung, die ihre Schwester ganz bestimmt hatte.
Bettina legte ihr Buch beiseite. Sie musste ganz einfach noch einmal nach Grit sehen. Vielleicht war sie ja jetzt wach und traute sich nicht, den Raum zu verlassen, weil sie sich schämte.
Leise betrat sie das Zimmer, ging vorsichtig an das Bett. Grit hatte die Augen noch immer geschlossen. Schlief sie? Oder tat sie nur so?
Bettina blickte auf ihre Schwester, die jetzt auf dem Rücken lag, sie war sehr blass, hatte tiefe Augenringe, ihre Lider begannen zu zucken, dann öffnete sie die Augen, entdeckte ihre Schwester, schloss sie sofort wieder.
Bettina zog sich einen Stuhl ans Bett, ergriff Grits linke Hand, die wie leblos auf dem Deckbett lag. Die Hand war eiskalt.
»Hallo, Grit, es ist schön, dass du endlich wach bist«, sagte sie leise.
Es kam keine Antwort, aber davon ließ Bettina sich nicht beirren.
»Möchtest du aufstehen?«, erkundigte sie sich. »Vielleicht etwas trinken? Oder essen? Du musst doch Hunger haben …«
Grit öffnete die Augen.
Sie richtete sich ein wenig auf.
»Hör bitte auf damit, ich kann an Essen nicht denken, aber ich habe Durst.«
»Warte, ich geb dir etwas Wasser, Leni hat ein Glas und eine Flasche für dich hergestellt.«
Grit schien sich zu erinnern, sie schlug, während Bettina das Wasser einschenkte, die Hände vors Gesicht.
»Du lieber Himmel … Leni hat das auch mitgekriegt, mein Gott, ist mir das peinlich … Bettina, du musst es mir glauben, ich weiß wirklich nicht, wie und warum ich ausgerechnet hierhergekommen bin.«
»Zerbrich dir doch jetzt bloß nicht den Kopf darüber, Grit. Zu gegebener Zeit wird es dir schon wieder einfallen. Du bist hier, und ich freue mich sehr darüber, dass du den Weg hierhergefunden hast.«
Bettina reichte ihrer Schwester das Glas, das diese fast in einem Zug leer trank. Sie musste wirklich einen mörderischen Nachdurst haben.«
»Möchtest du noch mehr trinken, Grit?«
Die schüttelte den Kopf.
»Nein, danke … Ich möchte mich gern duschen und dann wieder nach Hause fahren.«
»Du willst nicht bleiben? Wenigstens für ein paar Tage?« Enttäuschung klang aus Bettinas Stimme.
»Und was soll ich hier?«
»Dich ausruhen, vielleicht mit mir reden, Grit.«
Ihre Schwester begann zu schluchzen, und Bettina nahm sie spontan in die Arme.
Sanft streichelte sie Grits Rücken. Es dauerte eine ganze Weile, bis Grit sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Sie befreite sich aus Bettinas Armen.
»Was sollte das bringen«, sagte sie schließlich.
»Mir kann niemand helfen. Es ist alles so verfahren.«
»Es gibt immer einen Ausweg«, widersprach Bettina. »Unsere Leni würde jetzt sagen – und wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.«
Grit winkte ab.
»Sprüche …, nichts als Worthülsen. Für mich gibt es keinen Ausweg. Es ist alles nur noch dunkel, und ich befinde mich inmitten eines gewaltigen Scherbenhaufens.«
Bekümmert blickte Bettina auf ihre Schwester, die wirklich wie ein Häufchen Elend im Bett saß.
»Grit, ich möchte dir wirklich helfen, und ich bitte dich, ich bitte dich von ganzem Herzen, wenigstens für ein paar Tage hierzubleiben. Ich weiß, dass du etwas gegen den Fahrenbach-Hof hast, aus welchem Grund auch immer. Aber es ist wunderschön