Dr. Laurin Staffel 3 – Arztroman. Patricia Vandenberg
»Ich habe keine Zeit«, entgegnete sie kühl.
»Das wird doch nicht publik werden?« ächzte er, aber sie nahm keine Notiz mehr davon.
Dr. Laurin war schon in der Klinik. Man hatte ihn angerufen. Er hatte auch schon mit Dr. Sternberg gesprochen.
Schwester Marie erklärte Mirja, daß Dr. Laurin sie zu sprechen wünsche.
»Wie geht es Frau Hanke?« fragte Mirja.
»Den Umständen entsprechend gut. Weiß ihr Mann Bescheid?«
»Ich habe es ihm gerade gesagt.«
Mirja beeilte sich, zu Dr. Laurin zu kommen. Er zwang sich zu einem leichten Ton, was ihm aber nicht gelingen wollte.
»Ich konnte nicht ahnen, daß der Konzertbesuch so dramatische Folgen haben würde«, sagte er. »Wie fühlen Sie sich, Mirja?«
»Es geht.«
»Es liegt heute nichts Besonderes vor. Sie können den Vormittag frei haben.«
»Danke, aber ich möchte gern hierbleiben«, erwiderte sie verhalten. »Das heißt, wenn ich vielleicht…« Sie unterbrach sich und schüttelte dann den Kopf.
»Dr. Sternberg hält uns auf dem laufenden«, sagte Dr. Laurin. »Sie können später gern hinübergehen, Mirja. Die Operation wird wohl ein paar Stunden dauern. Vielleicht betrachten Sie es einmal so, daß Sie sozusagen als Schutzengel zu Herrn Arnold geschickt wurden.«
Ihre Augen brannten von ungeweinten Tränen. Er umschloß ihre Hände mit festem, beruhigendem Griff.
Es klopfte, und Hanna Bluhme erschien. »Herr Hanke möchte Sie sprechen, Chef.«
*
Es war neun Uhr geworden. Die Visite begann. Mirja faßte einen Entschluß und fragte Dr. Laurin, ob er sie doch für etwa zwei Stunden beurlauben würde.
Nach Geiselgasteig war es ziemlich weit.
Der Taxifahrer glaubte wohl, sie unterhalten zu müssen. Er redete ununterbrochen, Mirja hörte gar nicht zu. Ihr Herzklopfen wurde immer stärker, je näher sie dem Ziel kamen. Das Taxi hielt vor einem luxuriösen Doppelbungalow. Eigentlich waren es zwei Häuser, verbunden durch einen Innenhof.
Eine weißgetünchte Mauer schirmte das Grundstück zur Straße ab. Eine kunstvoll geschmiedete Tür öffnete sich lautlos, als Mirja auf die Klingel drückte.
Eine ältere Frau in schwarzem Kleid und weißer Schürze öffnete die Haustür.
»Unsere Sprechanlage streikt«, sagte sie. »Was wünschen Sie, bitte?«
»Ich möchte Frau Arnold-Mattis sprechen.«
»Die Gnädigste ist noch nicht zu sprechen«, kam die abweisende Erwiderung.
»Es ist aber sehr dringend. Ich möchte Frau Arnold-Mattis eine Nachricht von Herrn Arnold bringen.«
»Da muß ich erst fragen, ob die gnädige Frau Sie empfangen will«, wurde ihr erwidert.
Mirja rechnete schon damit, daß ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen würde, aber mit einer Handbewegung forderte die Frau sie zum Eintreten auf.
Noch niemals hatte Mirja ein so phantastisches Haus von innen gesehen. Ihre Füße versanken in weichen Teppichen. Kostbare Stilmöbel gaben dieser Halle das Flair eines Wohnraumes. Ein riesiges Blumenfenster öffnete den Blick zu einem parkähnlichen Garten.
»Nun, was wünschen Sie?« tönte urplötzlich eine helle Stimme an ihr Ohr. Mirja fuhr herum. Eine sehr schlanke, exotisch wirkende Frau stand auf der Stufe, die den Übergang von der Halle zu den anderen Räumen bildete. Tiefschwarzes Haar umgab ein ovales blasses Gesicht, das von seegrünen, schräggestellten Augen beherrscht wurde.
Mirja suchte nach Worten. Ein ironisches Lächeln, das man fast frivol nennen konnte, legte sich um Irene Arnolds Mund.
»Sie sollten mir etwas von meinem Schwager ausrichten«, sagte sie.
Mirja kam wieder zu sich. Benedikt war ihr Schwager. Sie fühlte sich befreit.
»Mein Name ist Mirja Rickmann. Ich bin Röntgenassistentin in der Prof.-Kayser-Klinik«, erklärte sie monoton. »Herr Arnold befindet sich zur Zeit in der Prof.-Kayser-Klinik.«
Die sorgfältig gezupften Augenbrauen ruckten leicht empor. »Und um mir das zu sagen, kommen Sie persönlich?«
»Wir dachten, daß die Nachricht Sie erschrecken könnte«, sagte Mirja leise. »Wir wußten nicht, in welchem Verhältnis Sie zu Herrn Arnold stehen. Er ist sehr krank. Wir fanden Ihre Visitenkarte in seiner Brieftasche.«
Irenes Augen verengten sich. »Man hätte mich anrufen können, wenngleich es kaum von Interesse für mich ist«, sagte sie kalt. Dann aber veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Lauernd sah sie Mirja an. »Er ist sehr krank, sagten Sie? Besteht Lebensgefahr?«
»Er wird heute operiert.«
Mirja dachte daran, daß er jetzt schon auf dem Operationstisch lag.
Irene betrachtete sie mit einem eigentümlichen Ausdruck. Es konnte ihr nicht entgehen, wie erschöpft und niedergeschlagen Mirja aussah.
»In welchem Verhältnis stehen Sie zu Benedikt?« fragte sie anzüglich.
Ein Zittern durchlief Mirjas Körper. Konnte sie sich so wenig beherrschen, daß man ihr die Gefühle vom Gesicht ablesen konnte?
»Ich sagte Ihnen, warum ich gekommen bin«, flüsterte sie. »Ich muß jetzt wieder zurück zur Klinik.«
»Ich möchte, da Sie nun einmal hier sind, daß Sie meine Fragen beantworten«, erklärte Irene herrisch. »Seit wann ist mein Schwager in der Klinik?«
»Seit heute nacht. Dr. Sternberg wird Ihnen nähere Auskünfte geben.«
»Aber Sie kennen Benedikt schon länger.«
»Nein.«
Irene lachte schrill auf. »Dann betört er wohl noch als Halbtoter die kleinen Mädchen«, höhnte sie.
Das war zuviel für Mirja. Sie wandte sich um und lief wie gejagt aus dem Haus.
*
Abgehetzt, zitternd am ganzen Körper, war sie wieder in der Klinik angelangt. Schwester Marie nahm sie mitfühlend in den Arm. Plötzlich waren die Hemmnisse weg, die solche Vertraulichkeit verhindert hatten, ohne daß man sagen konnte, warum es so gewesen war.
Schwester Maries mütterliches Herz öffnete sich der Verzweiflung, die in den schönen Augen des Mädchens zu lesen war.
»So geht es doch nicht, Kindchen«, sagte sie herzlich. »Sie machen sich ja ganz kaputt.«
»Haben Sie schon etwas erfahren?« fragte sie ängstlich.
Schwester Marie schüttelte verneinend den Kopf.
Das Telefon läutete nun. Sie nahm den Hörer ab und meldete sich.
»Ja, es ist gut. Ich sage es ihr.« Sie wandte sich wieder zu Mirja. »Sie möchten bitte zu Dr. Sternberg kommen, wenn Sie Zeit haben. Die Operation ist beendet.«
»Was ist? Hat er nichts gesagt?« stammelte Mirja.
»Die Operation ist beendet, der Patient lebt. Nun gehen Sie schon. Dr. Sternberg muß noch seine Visite machen.«
Mirja wußte nicht, wie sie den Weg zur Chirurgischen Station zurücklegte. Dr. Sternberg kam gerade erst aus dem Waschraum.
»Es war nicht mal so schlimm, wie ich dachte«, sagte er beruhigend.
»Wird er leben?« fragte sie tonlos.
»Der Arzt sagt ja«, erwiderte er. »Er muß auch ja sagen zum Leben, aber dazu können Sie das Ihre beitragen, Mirja. Alle Aufregungen müssen von ihm ferngehalten werden.«
Sie dachte jetzt wieder an Irene und nahm allen Mut zusammen, um