Gesammelte Werke. Henrik Ibsen
Ich hab' ihn von klein auf getragen. Darüber wird sie schon Bescheid wissen.
Nils Lykke. Versteckt den Ring, Mensch! Versteckt ihn, sag' ich! – Ihr versteht mich nicht. Frau Inger zweifelt keineswegs, daß Ihr ihr Kind seid; aber – ja, seht Euch um – seht diesen Reichtum; seht die mächtigen Ahnen und Gesippen, deren Bilder prangend alle Wände bedecken von oben bis unten; seht endlich sie selbst, dieses stolze Weib, das gewohnt ist, als erste Edelfrau im Reiche zu gebieten. Meint Ihr, es könnte ihr lieb sein, einen armen, dummen Burschen den Leuten vor die Augen zu führen und zu sagen: »Seht her, das ist mein Sohn!«
Nils Stenssön. Ja, Ihr habt gewißlich recht. Ich bin arm und dumm; ich habe ihr nichts zu bieten im Vergleich zu dem, was ich begehre. O, niemals hab' ich mich von meiner Armut bedrückt gefühlt bis zu dieser Stunde! Aber, sagt mir! Was glaubt Ihr, muß ich tun, um ihr Herz zu gewinnen? Sagt es mir, lieber Herr; Ihr müßt es doch wissen!
Nils Lykke. Ihr sollt Land und Krone erwerben. Aber ehe Euch dies geglückt ist, hütet Euch wohl, ihre Ohren durch die leiseste Hindeutung auf Eure Abkunft oder Ähnliches zu verletzen! Frau Inger wird tun, als hielte sie Euch für den wirklichen Grafen Sture, bis Ihr Euch einst würdig macht, ihr Sohn zu heißen.
Nils Stenssön. O, so sagt mir aber –!
Nils Lykke. Still! Still!
Inger erhebt sich und reicht Nils Lykke das Papier. Hier, Herr Ritter, – habt Ihr meine Zusage.
Nils Lykke. Ich danke Euch.
Inger indem sie Nils Stenssön bemerkt. Ah, – dieser junge Mann ist –
Nils Lykke. Ja, Frau Inger, das ist Graf Sture.
Inger beiseite, indem sie Nils Stenssön verstohlen betrachtet. Zug für Zug – ja, bei Gott! Das ist Sten Stures Sohn! Sie tritt näher und sagt mit kalter Höflichkeit: Seid willkommen unter meinem Dach, Herr Graf! In Eurer Hand liegt es, ob wir in Jahresfrist diese Begegnung segnen sollen oder nicht.
Nils Stenssön. In meiner Hand? O, gebietet mir, was ich tun soll! Glaubt mir, ich habe Mut und guten Willen –
Nils Lykke horcht unruhig. Was ist das für ein wilder Lärm, Frau Inger? Da will wer herein. Was hat das zu bedeuten?
Inger mit erhobener Stimme. Das sind die Geister, die erwachen.
Olaf Skaktavl, Ejnar Huk, Björn, Finn mit vielen Bauern und Knechten durch den Hintergrund rechts.
Bauern und Knechte. Heil Euch, Frau Inger Gyldenlöve!
Inger zu Olaf Skaktavl. Habt Ihr ihnen gesagt, was im Werke ist?
Olaf. Alles, was sie zu wissen brauchen, habe ich ihnen gesagt.
Inger zu der Menge. Ja, meine treuen Knechte und Bauern, jetzt sollt Ihr Euch waffnen, so gut Ihr nur könnt! Was ich vorhin Euch versagt habe, das sei Euch jetzt in vollstem Maße gewährt. Und hier stelle ich Euch den jungen Grafen Sture vor, den künftigen Herrscher Schwedens, – und Norwegens, wenn Gott es haben will.
Die Menge. Heil ihm! Heil Graf Sture!
Allgemeine Bewegung. Bauern und Knechte suchen sich Waffen aus und rüsten sich mit Brustpanzern und Stahlhelmen, alles unter großem Lärm.
Nils Lykke leise und unruhig. »Die Geister erwachen«, sagte sie? Zum Schein nur hab' ich den Dämon des Aufruhrs heraufbeschworen. Verdammt, wenn er mir über den Kopf wachsen sollte!
Inger zu Nils Stenssön. Von mir empfangt Ihr die erste Hilfeleistung, – dreißig berittene Bauern, die Euch folgen und Euch beschirmen sollen. Glaubt mir, – noch ehe Ihr die Grenze erreicht, werden sich viele Hunderte unter mein und Euer Banner geschart haben. Und so zieht denn mit Gott!
Nils Stenssön. Dank, – Inger Gyldenlöve! Dank! Und seid versichert, Ihr sollt Euch niemals – des Grafen Sture zu schämen haben. Wenn Ihr mich wiederseht, dann habe ich Land und Krone errungen.
Nils Lykke für sich. Ja, wenn sie Dich wiedersieht!
Olaf zu den Bauern. Die Pferde warten, ihr guten Bauern. Seid Ihr bereit –?
Die Bauern. Ja, ja, ja!
Nils Lykke unruhig zu Inger. Wie denn? Es ist doch nicht etwa Eure Absicht, schon in dieser Nacht –?
Inger. Noch in dieser Stunde, Herr Ritter!
Nils Lykke. Nein, nein, unmöglich!
Inger. Es ist, wie ich sage!
Nils Lykke leise zu Nils Stenssön. Gehorcht ihr nicht!
Nils Stenssön. Wie kann ich anders ? Ich will; ich muß!
Nils Lykke. Es ist aber Euer sicheres Verderben –
Nils Stenssön. Gleichviel! Sie hat alle Macht über mich –
Nils Lykke befehlend. Und ich?
Nils Stenssön. Mein Wort halt' ich; verlaßt Euch drauf! Das Geheimnis soll nicht über meine Lippen kommen, bis Ihr selbst mir die Zunge löst. Aber sie ist meine Mutter!
Nils Lykke beiseite. Und Jens Bjelke, der an dem Wege lauert. Verdammt, er schnappt mir die Beute unter den Händen weg – Zu Inger. Wartet bis morgen!
Inger zu Nils Stenssön. Graf Sture, – gehorcht Ihr mir oder nicht?
Nils Stenssön. Zu Pferde!
Er geht in den Hintergrund.
Nils Lykke beiseite. Der Unglückliche! Er weiß nicht, was er tut. Zu Inger. Nun, wenn es denn sein soll – lebt wohl!
Er verbeugt sich rasch und will gehen.
Inger hält ihn zurück. Nein, halt! Nicht so, Herr Ritter, – nicht so!
Nils Lykke. Was meint Ihr?
Inger mit gedämpfter Stimme. Nils Lykke, – Ihr seid ein Verräter! Still! Laßt niemand merken, daß Unruhe im Lager der Häuptlinge herrscht. Mit einer teuflischen List, die zu durchschauen ich nicht imstande bin, habt Ihr das Vertrauen des Kanzlers Peter gewonnen, habt Ihr mich zu offener Empörung gezwungen – nicht um unsre Sache zu stützen, nein, um Eure eignen Pläne zu fördern, was für welche das nun auch sein mögen. Ich kann nicht mehr zurück. Aber glaubt deshalb nicht, Ihr hättet gesiegt! Ich werde Euch unschädlich zu machen wissen –
Nils Lykke legt unwillkürlich die Hand ans Schwert. Frau Inger!
Inger. Seid ruhig, Herr Reichsrat! Es geht Euch nicht ans Leben. Aber Ihr kommt nicht aus Oestrots Toren, ehe der Sieg unser ist.
Nils Lykke. Tod und Verderben!
Inger. Jeder Widerstand ist unnütz. Ihr entkommt nicht von hier. Verhaltet Euch darum ruhig; das ist das Klügste, was Ihr tun könnt.
Nils Lykke für sich. Ah, – ich bin überlistet! Sie ist schlauer gewesen als ich. Ein Gedanke schießt ihm durch den Kopf. Ob ich aber wohl –?
Inger leise zu Olaf Skaktavl. Folgt Graf Stures Trupp bis zur Grenze. Dann begebt Euch unverweilt zum Kanzler Peter und bringt mir mein Kind. Jetzt hat er keinen Grund mehr, mir vorzuenthalten, was mein eigen ist. Da Olaf Skaktavl gehen will, fügt sie hinzu: Halt! Ein Erkennungszeichen –. Wer den Ring Sten Stures trägt, der ist der Rechte!
Olaf. Bei allen Heiligen! Ihr sollt ihn haben!
Inger. Dank, Dank, mein treuer Freund!
Nils Lykke zu Finn, den er unbemerkt zu sich herangerufen, und mit dem er im Flüsterton gesprochen hat. Also, – versuche Dich hinauszuschleichen. Laß Dich von keinem erwischen. Eine Viertelmeile von hier liegen die Schweden im Hinterhalt. Melde ihrem Anführer, daß Graf Sture tot ist. Jener junge Mensch darf nicht angetastet werden. Sag' das dem Befehlshaber. Sag' ihm, daß das Leben des Junkers mir Tausende wert ist.
Finn. Es soll geschehen.
Inger, die Nils Lykke unterdessen beobachtet hat. Fahrt denn alle mit Gott! Auf Nils Lykke deutend. Dieser edle Ritter da kann sich nicht entschließen, seine Freunde auf Oestrot so rasch