Gesammelte Werke. Henrik Ibsen
Glaubt mir, – Ihr sollt nicht lange zu warten haben.
Nils Lykke. Es ist gut; es ist gut. Beiseite. Noch ist nichts verloren, wenn meine Botschaft nur Jens Bjelke zeitig erreicht –
Inger zu Ejnar Huk, indem sie auf Finn deutet. Und der da wird unter sicherer Bewachung ins Burgverließ gesteckt.
Finn. Ich?
Ejner und die Knechte. Finn?!
Nils Lykke leise. Nun ist mein letzter Anker geborsten.
Inger gebieterisch. Ins Burgverließ!
Ejnar Huk, Björn und zwei Knechte führen Finn links ab.
Alle Anderen, Nils Lykke ausgenommen, stürmen rechts hinaus. Auf, zu Pferd, – zu Pferd! Heil Inger Gyldenlöve!
Inger tritt, indem sie den Hinauseilenden folgt, dicht an Nils Lykke heran. Wer ist der Sieger?
Nils Lykke allein. Wer? Ja, wehe Dir! Der Sieg ist teuer erkauft. Ich wasche meine Hände. Nicht ich bin's, der ihn mordet. – Aber bei alledem entschlüpft mir meine Beute. Und der Aufruhr wächst und breitet sich aus! – Ah, es war ein verwegenes, ein wahnwitziges Spiel, auf das ich mich hier eingelassen habe! Er lauscht am Fenster. Da reiten sie rasselnd zum Tor hinaus. Nun wird es hinter ihnen zugemacht; – und ich stehe hier als Gefangener. – Keine Möglichkeit zu entkommen! In der nächsten halben Stunde fallen die Schweden über ihn her. Er hat dreißig gutbewaffnete Reiter mit sich. Es wird auf Tod und Leben gehen.– – Wenn er dennoch lebend in ihre Hände fiele? – Wäre ich nur frei, ich könnte die Schweden einholen, noch eh' sie die Grenze erreichen, und sie müßten ihn mir ausliefern. Er geht ans Fenster im Hintergrund und sieht hinaus. Verdammt. Wachen überall. Sollte es gar keinen Ausweg geben? – Er geht rasch auf und ab; plötzlich bleibt er stehen und lauscht. Was ist das? Gesang und Saitenspiel. Ja, sie ist's, die singt. Es scheint aus Jungfrau Elines Kammer zu kommen. Also noch auf – – Ein Gedanke durchzuckt ihn. Eline! Ach, wenn das ginge! Wenn das sich machen ließe –. Und warum sollte es sich nicht machen lassen? Bin ich nicht mehr ich selbst? Im Liede heißt es:
»Da seufzt jede Jungfrau in Herzensglut:
O wäre Nils Lykke mir hold und gut!«
Und sie –? – – Eline Gyldenlöve soll mich retten!
Er geht rasch, doch behutsam, durch die erste Tür links ab.
Fünfter Akt
Der Rittersaal. Es ist noch immer Nacht. Der Raum ist nur schwach durch einen Armleuchter erhellt, der auf einem Tische rechts im Vordergrund steht.
Inger sitzt, in Gedanken vertieft, am Tisch.
Ingernach einer Pause. Die Klügste im Lande nennen sie mich, und ich glaube, ich bin es auch. Die Klügste –. Aber niemand weiß, warum ich die Klügste bin. Mehr als zehn Jahre hab' ich gekämpft für meines Kindes Heil. Das ist der Schlüssel zum Rätsel, – das gibt dem Schädel Witz! – Witz ? – Wo ist heut meine Klugheit hin? Wo nur hab' ich meine Umsicht? Es klingt und rauscht mir vor den Ohren. Ich sehe Gestalten vor mir, so leibhaftig, daß ich sie greifen könnte. – Sie springt auf. – Mein Herr Jesus, – was ist das? Bin ich nicht mehr meiner Sinne Herr? Sollte es dahin kommen, daß ich – ? Sie preßt die Hände um das Haupt zusammen; dann setzt sie sich wieder und sagt ruhiger: O, es ist nichts. Es geht vorüber. Es hat keine Not, – es geht vorüber.– – Wie friedlich es im Saal ist diese Nacht! Ahnen und Gesippen sehen mich nicht drohend an; ich brauche ihre Bilder nicht mehr gegen die Wand zu hängen. Sie steht wieder auf. Ja, gut war es, daß ich mich endlich ermannt habe. Wir werden siegen, – und dann stehe ich am Ziel. Ich werde mein Kind wieder bekommen. Sie nimmt das Licht, um zu gehen, hält aber inne und sagt vor sich hin: Am Ziel? Am Ziel? Ihn wieder zu bekommen! Nur das, – und sonst nichts? – Sie stellt den Leuchter auf den Tisch zurück. – Jenes flüchtige Wort, das Nils Lykke so von ungefähr hingeworfen hat. – Wie konnte er meinen ungeborenen Gedanken erraten? – Leiser. – Königsmutter ... Königsmutter, sagte er. – Und warum nicht? Haben nicht meine Vorfahren als Könige gewaltet, wenn sie auch nicht den Königsnamen trugen? Hat nicht mein Sohn dieselben Ansprüche auf die Vorrechte der Sture wie jener andre? In Gottes Augen hat er sie, – wenn noch Gerechtigkeit im Himmel ist. – Und diese Rechte hab' ich in der Stunde der Not ihm verwirkt! Mit verschwenderischer Hand habe ich sie weggeschenkt als Lösegeld für meines Kindes Freiheit. – Ob man sie nicht jetzt zurückgewinnen könnte? – Würde der Himmel zürnen, wenn ich –? Werde ich neue Bedrängnis über mich heraufbeschwören, falls ich –? – Wer weiß, – wer weiß! Es ist wohl das Sicherste, zu verzichten. Sie ergreift den Leuchter wieder. Ich werde ja mein Kind wieder haben. Das muß mir genug sein. Jetzt will ich die Ruhe suchen. All die verwegenen Gedanken, – die will ich verschlafen, verschlafen. Sie geht nach dem Hintergrund, bleibt aber noch einmal stehen und sagt grübelnd: Königsmutter!
Langsam ab links durch den Hintergrund.
Nach einer kurzen Pause kommen Nils Lykke und Eline lautlos durch die erste Tür links. Nils Lykke hat eine kleine Laterne in der Hand.
Nils Lykkeleuchtet spähend umher und flüstert. Alles ist still. Ich muß fort.
Eline. O, so laß mich noch ein einzig Mal Dir in die Augen sehen, ehe Du mich verläßt,
Nils Lykkeumarmt sie. Eline!
Elinenach kurzer Pause. Kommst Du nie mehr nach Oestrot?
Nils Lykke. Wie kannst Du daran zweifeln ? Bist Du nicht jetzt meine treulich Verlobte? – Doch wirst auch Du mir treu sein, Eline? Wirst Du mich nicht vergessen, bis wir uns wiedersehen?
Eline. Ob ich Dir treu sein will? Habe ich denn noch einen Willen? Könnte ich Dir untreu werden, selbst wenn ich wollte? – Du kamst zur Nachtzeit. Du pochtest an meine Tür – und ich ließ Dich ein. Du sprachst zu mir. Was hast Du gesprochen? Du blicktest mir fest ins Auge. Was für eine geheimnisvolle Macht war es, die mich betörte und einfing wie in einem Zaubernetz? Sie birgt rasch ihr Gesicht an seine Schulter. Sieh mich nicht an, Nils Lykke! Du darfst mich nicht ansehen nach – – Treu, sagst Du? Du hast mich ja. Ich bin ja Dein; – muß es sein – in alle Ewigkeit.
Nils Lykke. Nun, bei meiner Ritterehre, so sollst Du auch, eh' dies Jahr zu Ende geht, als Hausfrau schalten auf der Burg meiner Väter!
Eline. Keine Gelübde, Nils Lykke! Schwör mir nichts.
Nils Lykke. Was ist Dir? Weshalb schüttelst Du so wehmütig das Haupt?
Eline. Weil ich weiß, daß Du die süßen Worte, die meinen Sinn betörten, vor mir schon gar vielen zugeflüstert hast. Nein, nein, sei nicht böse, Du Geliebter! Ich mache Dir nicht Vorwürfe, wie ich damals getan habe, als ich Dich noch nicht kannte. Nun weiß ich ja, wie hoch Du über allen andern stehst. Wie kann Liebe Dir anderes sein als ein Spiel, und das Weib anderes als ein Spielzeug?
Nils Lykke. Eline – hör' mich an!
Eline. Unter dem Klange Deines Namens bin ich aufgewachsen. Ich haßte diesen Namen, weil mich dünkte, alle Frauen würden gekränkt durch Dein Betragen. Und doch – wie wunderlich, – wenn ich im Traume mein eignes künftiges Leben mir aufbaute, da warst immer Du mein Held, ohne daß ich selbst es wußte. Jetzt versteh' ich, was ich damals nicht verstanden habe, – jenes ahnungssüße, geheimnisvolle Sehnen nach Dir, Du Einziger, – nach Dir, der einst kommen sollte, um mir des Lebens ganze Herrlichkeit zu deuten.
Nils Lykke beiseite, indem er die Laterne auf den Tisch hinstellt. Was ist denn mit mir geschehen? Diese berückende, unwiderstehliche Macht –. Ist das Liebesgefühl, so habe ich es nicht gekannt vor dieser Stunde. – Vielleicht ist es noch nicht zu spät für mich. – Ah, mit Lucia – das Entsetzliche! Er sinkt auf einen Stuhl.
Eline. Was ist das? Dieser schwere Seufzer –
Nils Lykke. O, nichts, nichts! – – Eline,