Gesammelte Werke. Henrik Ibsen
–, weil ich Dich zur Welt gebracht habe. Ich war ja dazu bestimmt, Gottes des Herrn Wahrzeichen durch das Reich zu tragen. Aber ich bin meinen eigenen Weg gegangen; darum mußte ich so viel und so lange leiden.
Björn kommt aus dem Zimmer links. Gnädige Frau, ich habe zu vermelden – –. Gott stehe mir bei, – was ist das?
Inger, die die Stufen des Hochsitzes hinangestiegen ist, der an der Wand rechts steht. Still, still! Ich bin Königsmutter. Sie haben meinen Sohn zum König erkoren! Es hat schwer gehalten, bis das erreicht war – denn mit den höheren Mächten selbst hatte ich zu streiten.
Nils Lykke kommt atemlos durch die zweite Tür rechts. Er ist frei! Ich habe Jens Bjelkes Zusage. Frau Inger, – so wisset denn –
Inger. Still, sag' ich! Seht, wie es von Menschen wimmelt: Vom Zimmer her ertönt ein Leichenpsalm. Jetzt kommt der Krönungszug. Welche Scharen! Alle neigen sich vor der Königsmutter. Ja, ja, sie hat auch um ihren Sohn gekämpft – bis ihre Hände rot wurden davon. – Wo sind meine Töchter? Ich sehe sie nicht.
Nils Lykke. Bei Christi Blut, – was ist hier geschehn ?
Inger. Meine Töchter; – meine holden Töchter! Ich habe keine mehr. Eine war mir noch geblieben, und sie habe ich verloren, wie sie ins Brautbett steigen wollte. Flüsternd. Lucia lag als Leiche darin. Da war nicht Platz für zwei.
Nils Lykke. Ah, – dahin ist es gekommen! – Die Rache des Herrn hat mich ereilt.
Inger. Könnt Ihr ihn sehen? Seht, seht! Das ist der König! Das ist Inger Gyldenlöves Sohn! Ich kenn' ihn an der Krone und an Sten Stures Ring, den er um den Hals trägt. – Horch! Wie lustig das klingt! Er naht! Bald werden meine Arme ihn umfangen. – Haha, – wer siegt, Gott oder ich?
Die Kriegsknechte kommen mit dem Sarg.
Inger greift sich an die Stirn und ruft: Die Leiche! – Flüsternd. Pfui, das ist ein häßlicher Traum! Sie sinkt in den Hochsitz zurück.
Jens Bjleke der von rechts eingetreten ist, bleibt stehen und ruft überrascht: Tot! Also doch –
Ein Kriegsknecht. Er selbst hat –
Jens Bjleke mit einem Blick auf Nils Lykke. Er selbst –?
Nils Lykke. Still!
Inger matt, kommt wieder zu sich. Ja, richtig, – jetzt besinn' ich mich auf alles.
Jens Bjleke zu den Kriegsknechten. Setzt die Leiche nieder! Es ist nicht Graf Sture.
Ein Kriegsknecht. Vergebt, Herr Ritter, – aber dieser Ring, den er um den Hals trug –
Nils Lykke faßt ihn am Arm. Schweig, schweig!
Inger fährt empor. Der Ring? Der Ring? Sie eilt hinzu und reißt den Ring an sich. Sten Stures Ring! Mit einem Aufschrei. Jesus Christus, – mein Sohn! Sie wirft sich über die Bahre.
Die Kriegsknechte. Ihr Sohn?
Jens Bjleke zu gleicher Zeit. Inger Gyldenlöves Sohn?
Nils Lykke. So ist es.
Jens Bjleke. Doch warum habt Ihr mir nicht gesagt – –?
Björn versucht sie aufzuheben. Zu Hilfe, ZU Hilfe! – Herrin, – was fehlt Euch?
Inger mit matter Stimme, indem sie sich halb aufrichtet. Was mir fehlt –? Noch ein Sarg. Ein Grab bei meinem Kinde – –
Sie sinkt abermals kraftlos über die Bahre hin. Nils Lykke geht rasch rechts ab. Tiefe Bewegung unter den übrigen.
Die Helden auf Helgeland
Vorwort zur ersten deutschen Ausgabe 1876
Vorwort zur ersten deutschen Ausgabe 1876
Indem ich von einer meiner älteren dramatischen Arbeiten hier eine deutsche Ausgabe erscheinen lasse, dürfte es vielleicht nicht überflüssig sein, darauf aufmerksam zu machen, daß ich den Stoff zu diesem Schauspiele nicht dem Nibelungenliede, sondern der damit verwandten nordischen Wölsungasage entnommen habe. Doch auch dies nur zum Teil. Die hauptsächliche Grundlage meiner Dichtung beruht vielmehr auf den verschiedenen, noch vorhandenen isländischen Familiensagen, in denen die aus dem Nibelungenliede und der Wölsungasage bekannten riesenhaften Verhältnisse und Vorgänge sehr oft nur auf menschliche Dimensionen zurückgeführt erscheinen. Ich glaube daraus schließen zu dürfen, daß die in den zwei eben erwähnten Dichtungen geschilderten Situationen und Begebenheiten für unser gesamtgermanisches Leben in den ältesten historischen Zeiten typisch gewesen sind. Hält man an dieser Annahme fest, so fällt wohl auch der Vorwurf weg, durch das vorliegende Schauspiel sei unsere nationale Sagenwelt in eine Sphäre herabgezogen, in die sie nicht gehört. Für die Darstellung auf der Bühne eignen sich die idealisierten und gewissermaßen unpersönlichen Sagengestalten heutzutage weniger als je; doch hiervon ganz abgesehen, hatte ich überhaupt nur die Absicht, unser Leben in der alten Zeit, nicht unsere Sagenwelt darzustellen.
Was diese deutsche Ausgabe betrifft, so sei es mir erlaubt, der hochgeehrten Übersetzerin meinen verbindlichsten Dank abzustatten für den Eifer und die Liebe zur Sache, womit sie die keineswegs leichte Aufgabe unternommen und gelöst hat. Ebenso bezeuge ich meinem hochgeschätzten Freunde, dem hiesigen königl. Opernregisseur Herrn Dr. Grandaur, meinen Dank. Es ist dies nicht das erste Mal, daß er skandinavischen Schriftstellern bereitwillig seine Hand gereicht hat, und ohne seinen einsichtsvollen Beistand hätte auch diese Unternehmung schwerlich so schnell bewerkstelligt werden noch so gut gelingen können.
München, im März 1876
Henrik Ibsen
Personen
Oernulf von den Fjorden, Landsasse auf Island
Sigurd der Starke, Seekönig
Gunnar Herse, ein reicher Lehnsmann auf Helgeland
Thorolf, Oernulfs jüngster Sohn
Dagny, Oernulfs Tochter
Hjördis, Oernulfs Pflegetochter
Kåre, ein helgeländer Bauer
Egil, Gunnars Sohn, vier Jahre alt
Die sechs älteren Söhne Oernulfs
Oernulfs und Sigurds Mannen,
Gäste, Knechte, Mägde, Geächtete usw.
Das Stück spielt in des Erik Blutaxt Tagen zu Helgeland im nördlichen Norwegen, auf Gunnars Hof und nahe dabei.
Erster Akt