Gesammelte Werke. Henrik Ibsen
Still! Wir sind uns in unsern Plänen begegnet. Wie hast Du es angefangen, mein kluges Kind? Ich sah ihn strahlen vor Liebe. Halt' ihn nun fest! Zieh' das Garn enger und enger um ihn, und dann –. Ah, Eline, wenn wir ihm sein teuflisches Herz in der Brust zerfleischen könnten!
Eline. Weh' mir! Was sagt Ihr da?
Inger. Laß den Mut nicht sinken. Hör' mich. Ich weiß das Wort, das Dich aufrecht erhalten wird. – So wisse denn – Lauschend. Jetzt kämpfen sie draußen vor dem Tor. Besonnenheit! Bald gilt es – Sie wendet sich wieder zu Eline. Wisse denn, Nils Lykke war's, der Deine Schwester unter die Erde gebracht hat.
Eline aufschreiend. Lucia!
Inger. Er war's, so gewiß ein Rächer über uns ist!
Eline. Dann steh' mir der Himmel bei!
Inger entsetzt. Eline –?
Eline. Ich bin die Seine vor Gott.
Inger. Unglückliches Kind, – was hast Du getan!
Eline mit dumpfer Stimme. Verwirkt den Frieden meines Herzens. – Gute Nacht, Mutter!
Sie geht links ab.
Inger. Hahaha! – Es geht bergab mit Inger Gyldenlöves Geschlecht. Sie war die letzte von meinen Töchtern. – Warum könnt' ich nicht schweigen ? Hätte sie nichts gewußt, sie wäre vielleicht glücklich geworden – in einer Weise. – Es mußte so sein. In den Sternen dort oben steht es geschrieben, ich soll einen grünen Zweig nach dem andern brechen, bis der Stamm entlaubt dasteht. – Dahin denn! Dahin! Jetzt kehrt mir der Sohn zurück. An die andern, an meine Töchter will ich nicht denken. – Rechenschaft? Rechenschaft ablegen? – Ah, das kommt erst am großen Tage des Gerichts –. Es währt noch lange, bis der da ist.
Nils Stenssön ruft draußen rechts. Hei, – schlag' das Tor zu!
Inger. Graf Stures Stimme –!
Nils Stenssön waffenlos, mit zerrissenen Kleidern, kommt aus der zweiten Tür rechts hereingestürzt und ruft mit verzweifeltem Lachen: Ein frohes Wiedersehen, das, Inger Gyldenlöve!
Inger. Was habt Ihr verloren?
Nils Stenssön. Mein Reich und mein Leben!
Inger. Und die Bauern? Meine Knechte – wo habt Ihr sie?
Nils Stenssön. Die Äser werdet Ihr längs der Landstraße finden. Wer das übrige genommen hat, das kann ich Euch nicht sagen.
Olaf SKAKTAVL draußen rechts. Graf Sture! Wo seid Ihr?
Nils Stenssön. Hier, hier!
Olaf Skaktavl kommt, die rechte Hand verbunden.
Inger. Ach, Olaf Skaktavl, auch Ihr –!
Olaf. Es war unmöglich, durchzukommen.
Inger. Ihr seid verwundet, wie ich sehe?
Olaf. Ich hab' einen Finger weniger; das ist das ganze.
Nils Stenssön. Wo sind die Schweden?
Olaf. Uns auf den Fersen. Sie stürmen das Tor –
Nils Stenssön. O Jesus! – Aber nein, nein! Ich kann nicht, – ich will nicht sterben!
Olaf. Ein Versteck, Frau Inger! Ist kein Winkel hier, wo wir ihn verbergen können?
Inger. Und wenn sie den Hof durchsuchen –?
Nils Stenssön. Ja, ja, dann werden sie mich finden und fortschleppen in den Kerker oder zum Galgen –! O nein, Inger Gyldenlöve, – ich weiß gewiß, – das würdet Ihr nicht überstehen.
Olaf lauschend. Nun ist das Schloß geborsten.
Inger am Fenster. Viele Menschen stürmen in den Torweg!
Nils Stenssön. Und jetzt mein Leben zu lassen, – jetzt, da es erst beginnen sollte, jetzt, da ich kaum erfahren habe, daß ich für etwas zu leben habe! Nein, nein, nein! Haltet mich nicht für feig, Inger Gyldenlöve! Wenn mir nur noch so viele Lebenstage vergönnt wären, daß ich –
Inger. Ich höre sie schon unten in der Burgstube. Bestimmt zu Olaf Skaktavl. Er muß gerettet werden – was es auch koste!
Nils Stenssön ergreift ihre Hand. O, das wußt' ich wohl; – Ihr seid edel und gut!
Olaf. Aber wie? Wenn wir ihn nicht verbergen können –
Nils Stenssön. Ah, ich hab's! Ich hab's! Das Geheimnis –!
Inger. Das Geheimnis?
Nils Stenssön. Ja gewiß; Eures und das meine!
Inger. Gott im Himmel, – Ihr kennt es?
Nils Stenssön. Von Anfang bis zu Ende. Und nun das Leben auf dem Spiele steht –. Wo ist Herr Nils Lykke?
Inger. Geflohen.
Nils Stenssön. Geflohen? Dann steh' Gott mir bei! Denn nur der Ritter kann meine Zunge lösen. – Aber das Leben ist mehr als ein Gelübde wert. Wenn der schwedische Anführer kommt –
Inger. Was dann? Was wollt Ihr tun?
Nils Stenssön. Leben und Freiheit erkaufen – ihm alles offenbaren.
Inger. Nein, nein! – Seid barmherzig!
Nils Stenssön. Es gibt ja keine andre Rettung. Wenn ich ihm erzählt habe, was ich jetzt weiß –
Inger blickt ihn an, mit unterdrückter Bewegung. So seid Ihr gerettet?
Nils Stenssön. Ja, ja! Nils Lykke wird mein Fürsprecher sein. Ihr seht, es ist das äußerste Mittel.
Inger gefaßt und mit Nachdruck. Das äußerste Mittel? Ihr habt recht. – Das äußerste Mittel darf jeder versuchen. Sie deutet nach links. Seht, dadrin könnt Ihr Euch einstweilen verbergen.
Nils Stenssön mit gedämpfter Stimme. Glaubt mir, – Ihr sollt diese Tat nie zu bereuen haben!
Inger halb für sich. Gott gebe, Ihr sagtet die Wahrheit!
Nils Stenssön geht rasch ab durch die zweite Tür links; Olaf Skaktavl will ihm folgen, wird aber von Inger zurückgehalten.
Inger. Habt Ihr verstanden, was er meinte.
Olaf. Der Bube! Er verrät Euer Geheimnis. Er will Euern Sohn opfern, um sich selbst zu retten.
Inger. Wenn es das Leben gilt, sagte er, darf man das äußerste Mittel wagen. – Wohlan denn, Olaf Skaktavl – es geschehe, wie er gesagt hat!
Olaf. Was meint Ihr?
Inger. Leben gegen Leben! Einer von ihnen muß untergehen.
Olaf. Ah, – Ihr wollt –?
Inger. Wenn er dadrin nicht stumm gemacht wird, bevor er den schwedischen Hauptmann sprechen kann, so ist mein Sohn für mich verloren. Wird er dagegen beiseite geschafft, so will ich mit der Zeit alle seine Ansprüche für mein eignes Kind geltend machen. Da sollt Ihr sehen, daß noch Mark in Otto Römers Tochter ist! Verlaßt Euch drauf, – lange sollt Ihr nicht mehr auf die Rache zu warten haben, nach der Ihr zwanzig Jahre gedürstet habt. – Hört Ihr? Sie kommen die Treppe herauf! Olaf Skaktavl, – von Euch hängt es ab, ob ich morgen eine kinderlose Mutter sein soll oder –
Olaf. Es geschehe! Mir ist noch eine rüstige Faust geblieben. Er reicht ihr die Hand. Inger Gyldenlöve, – durch mich soll Euer Name nicht aussterben.
Er geht in das Zimmer zu Nils Stenssön.
Inger bleich und bebend. Darf ich es auch wagen – ? Man vernimmt Lärm in dem Zimmer; sie eilt mit einem Schrei auf die Tür zu. – Nein, nein, – es soll nicht geschehen! Man hört drinnen einen dumpfen Fall; sie hält sich die Ohren mit beiden Händen zu und eilt mit Blicken der Verzweiflung wieder zurück. Nach einer Pause nimmt sie vorsichtig die Hände weg, lauscht wieder und spricht leise: Nun ist's vorbei. Alles ist still da drinnen. – Du hast es gesehen,