Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
Musik nicht mag. Aber sie will, dass, wenn sie heimkommt, das Feuer im Ofen angemacht ist. Dazu kam ich herein; es hat jedoch keine Eile.« Seine spitzen Backenknochen wurden rot, und in der hastigen Beweglichkeit, mit der er einen Violinkasten unter dem Sofa hervorzog, lag eine knabenhafte Ausgelassenheit, die Rosa lachen machte. »Sie verstehen nicht die Geige zu streichen?« fragte er, während er das Instrument auspackte.
»Es ist auch nicht so leicht, wie es aussieht.« Er setzte sich auf seinem Stuhl zurecht, streckte das rechte Bein von sich, stemmte die Geige unter das Kinn und stimmte sie. »Sehen Sie, ich habe mit der Musik schon als Kind angefangen, da geht es schon. Was wünschen Sie? Etwas Süßes, das lieben die Fräuleins.« Er wurde ernst, drückte die Augenlider zusammen und spitzte den Mund; ab und zu nur warf er blanke, verhimmelte Blicke auf Rosa. Er spielte eine verschollene zärtliche Melodie; ein gleichmäßiges Auf- und Niedersteigen der Töne, ein regelmäßig wiederkehrender langgezogener Aufschrei als Refrain, bei dem Herr Böhk jedesmal leidenschaftlich die Schultern hob. Draußen in der Küche begannen die Mädchen zu singen, vereinigten ihre herben Stimmen mit dem abgestandenen näselnden Ton der alten Geige. Die Worte des Liedes verstand Rosa nicht, nur bei dem gefühlvollen Aufschluchzen der Schlusstakte klang es herüber wie: »Sie hat sich verliebt in ein’ andern – ein’ andern – ein’ andern.« – – –
Rosa hörte zu und wiegte sachte ihren Kopf. Auf ihr Herz war so viel eingestürmt, dass es seltsam reizbar und empfindsam geworden war. Ein zärtliches Wort, ein klagender Ton beregten es schon fast schmerzhaft. Auch jetzt standen ihre Augen voller Tränen. Herr Böhk sah das und ließ die Geige sinken: »Sie dürfen nicht weinen, Fräulein!«
»Ich weine nicht«, antwortete Rosa, wandte ihr Gesicht ab und lächelte: »Bitte – spielen Sie weiter.«
»Doch – Sie haben geweint«, behauptete Herr Böhk und drohte mit dem Violinbogen. »Aber wissen Sie, Fräulein, mir geht es oft auch so. Bei diesem Liede kommen mir die Tränen, das macht eben die Musik. Dieses Lied sang früher eine Minna, die ich kannte; ach, eine seltene Minna. Jetzt spiel ich Ihnen etwas Lustigeres vor. Nicht wahr?« Er spielte nun eine hüpfende, kreischende Weise; Martha und Grethe fielen jubelnd ein, und Herr Böhk konnte sich nicht enthalten, mitzusingen:
»Was hilft mir das Grasen,
Wenn die Sichel nicht schneidt;
Was hilft mir mein Schätzchen,
Wenn’s bei mir nicht bleibt.«
Frau Böhk war unbemerkt in das Zimmer getreten, stand, in ihr graues Umschlagtuch gehüllt, weiße Pakete unter den Armen, da und schöpfte tief Atem. »Was ist denn heute für ein Feiertag?« brach sie plötzlich los. In der Küche wurde es mäuschenstill. Herr Böhk errötete, stellte die Geige an die Wand und schob sich, ein gezwungenes Lächeln auf den Lippen, zum Ofen hin. Ohne ihren Mann anzusehen, warf die Hebamme ihre Pakete auf einen Stuhl und wandte Rosa ihr erhitztes, glänzendes Gesicht zu – den Mund ein wenig in die Breite ziehend, um freundlich auszusehen: »Was machen denn Sie, liebes Fräulein? Die da haben Ihnen einen Heidenlärm vorgemacht. Nein – nein, sagen Sie nichts, unten auf der Gasse hab ich’s gehört. Gott, bin ich müde!«
Herr Böhk kauerte vor dem Ofen und füllte ihn mit Holzscheiten, den Kopf fast in das Ofenloch steckend. »So«, begann Frau Böhk wieder, nachdem sie eine Weile still zugesehen hatte, »also nicht einmal einheizen konntest du? Du musstest Konzerte geben. Und wenn das fremde Fräulein sich verkühlt, wessen Schuld wird es dann sein? Wirst du die Vorwürfe zu hören bekommen? Was? Nicht eine Minute kann man fort sein, ohne dass die Kinder was angeben!«
»Wilhelmine«, versetzte Herr Böhk und steckte ein sehr stolzes, hochmütiges Gesicht in das Ofenloch. Frau Böhk ärgerte das. »Ach was, Wilhelmine! Wenn du nur tun würdest, was man von dir will. Ich sage ja nicht mehr, du sollst ordentlich arbeiten; aber einheizen wirst du doch noch können; das ist doch nicht so schwer wie eine Uhr machen?«
»Wenn du nur die Uhr gesehen hättest, die ich gemacht habe!« Herr Böhk war nun auch beleidigt; vor dem Ofen kniend, stemmte er die Arme in die Seite und schob die Unterlippe vor; seine Frau aber lachte: »Ja – ja, wenn ich die gesehen hätte, würde ich vielleicht an sie glauben. Ach, geh mir mit deiner ewigen Uhr! Das wird auch so eine gewesen sein, die von zwölf bis Mittag geht. Gott, was dieser Mann mich mit seiner Uhr quält!« redete Frau Böhk die Zimmerdecke an. »Seit wir verheiratet sind, spricht er von dieser Uhr. Wer hat sie gesehn? Wo ist sie? Wie ein Gespenst ist dieses Ding. Wollte ich von einem Kinde sprechen, das keiner gesehn hat, von dem nichts im Kirchenbuch steht, da würden die Leute mich kurios ansehen. Der aber immer mit seiner Uhr!«
»Wilhelmine!« sagte Herr Böhk sanft, »das Fräulein wünschte Musik.«
»Was der nur immer mit seiner Wilhelmine hat!«
»Du heißt ja doch so.«
»Ja, ich heiße so; ich sage auch nichts. Du tätest besser, nachzusehen, ob die Mädchen die Kuh beschickt haben, statt uns deine Faxen vorzumachen.«
»Wilhelmine«, entgegnete Herr Böhk, »du bist heute giftig, Wilhelmine. Du hast unrecht, so zu sein, Wilhelmine.«
»Lass mich mit deiner Wilhelmine zufrieden!« schrie die Hebamme und wandte sich ab; sie mochte das Lachen, das sie übermannte, nicht zeigen; ihr Mann bemerkte es jedoch, blinzelte verschmitzt mit den Augen und entfernte sich, indem er triumphierend die Absätze aneinanderschlug.
»Gott, was ich mit dem Jungen für ein Kreuz habe!« rief Frau Böhk mit zuckenden Mundwinkeln.
»Mit seinem Spiel hat er mir wirklich Freude gemacht«, entschuldigte Rosa.
»Ja – ja, so unnützes Zeug versteht er«, meinte die Hebamme mit der verhaltnen Zufriedenheit einer Mutter, die ihren ungezogenen Buben nicht offen loben mag und sich dennoch der Anerkennung freut, die ihm andere zollen, »das Spielen hat er heraus; das ist auch das einzige.« Der Zorn hatte sich gelegt, sie lachte wieder ihr fettes, herzliches Lachen: »Was der tolle Junge nur heute mit der Wilhelmine hatte? Er glaubt, das ärgert mich.«
»Heißen Sie nicht so, Frau Böhk?« fragte Rosa.
»Doch! Ich bin auf den Namen Wilhelmine getauft. Gleichviel! Sonst sagt er: Frau Böhk, oder, wenn er ungezogen ist: Alte. Die Wilhelmine war nur, um vor Ihnen Staat zu machen und mich zu ärgern. So ein unnützer Schlingel! Haben Sie aber meinen Hans gesehen? – Nein? – Dacht ich mir’s doch! Der Vater ist zu frech; und der Sohn, wenn er weiß, dass ein Fremder im Hause ist, so sitzt er in seiner Kammer und ist nicht herauszubringen. Beim Mittagessen werden Sie ihn sehen. Ein hübsches, gutes Kind; nur sein Kopf ist etwas schwach.«
Zum Mittagmahl