Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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Kapitel

      Bei Ag­nes’ Abrei­se wein­te Rosa doch. Die Trä­nen und Se­gens­wün­sche der al­ten Frau be­weg­ten ihr das Herz. Nun saß sie un­ten im Wohn­zim­mer und fühl­te sich ver­las­sen. Frau Böhk mach­te einen Ge­schäfts­gang. Die Mäd­chen wu­schen ne­ben­an den Fuß­bo­den der Kü­che, ihr La­chen und das Klat­schen der nas­sen Tü­cher tön­ten zu Rosa her­über. Drau­ßen schmolz der hel­le Son­nen­schein den Schnee und hing stark leuch­ten­de Trop­fen an die Dä­cher. Im Hof flim­mer­ten die Was­ser­la­chen. Stroh, Dün­ger, grau ge­wor­de­ner Schnee la­gen dort. Ei­ni­ge Hüh­ner schüt­tel­ten ihre nas­sen Fe­dern und gin­gen lang­sam auf und ab. Durch die of­fe­ne Stall­tü­re sah man die brau­nen Hin­ter­fü­ße und ein Stück des blan­ken Rückens ei­ner Kuh, wäh­rend auf der an­de­ren Sei­te ein Schwein ver­geb­lich sei­nen Rüs­sel durch die Stä­be des Ver­schla­ges zu zwän­gen ver­such­te. Und zwi­schen dem Stall und dem Spei­cher konn­te Rosa auf das Land hin­aus­se­hen. Ein fer­nes Bir­ken­wäld­chen war die ein­zi­ge Un­ter­bre­chung der ein­för­mi­gen Wei­se. Die zar­ten Stäm­me stan­den auf dem Schnee wie dün­ne Stri­che auf ei­nem Bo­gen Pa­pier.

      Plötz­lich ward die Türe auf­ge­ris­sen, und Mar­tha er­schi­en. Sie trug nur ein Hemd und ein kur­z­es Röck­chen. Füße und Bei­ne wa­ren nackt, die Är­mel des Hem­des bis über die El­len­bo­gen auf­ge­streift, das Ge­sicht rot und la­chend. In der rech­ten Hand trug sie einen Was­serei­mer, wäh­rend sie den lin­ken Arm ge­ra­de von sich streck­te, um das Gleich­ge­wicht zu hal­ten. Lus­tig stampf­ten die nack­ten Füße durch die Pfüt­zen. Im Vor­über­ge­hen stieß Mar­tha wie ein über­mü­ti­ger Bube mit dem Fuß ge­gen den Rüs­sel des Schwei­nes und schob die Kuh, die ihr den Weg ver­stell­te, kräf­tig mit den Ar­men zur Sei­te.

      Rosa, die trüb­se­lig vor sich hin­ge­träumt hat­te, fühl­te ihr Herz vor die­sem le­ben­strot­zen­den, halb­nack­ten Mäd­chen warm wer­den. Gern wäre auch sie la­chend und sorg­los in den Tag hin­aus­ge­lau­fen. Sie be­gann Mar­tha mit je­ner nei­di­schen Lie­be zu lie­ben, mit der sich oft ein kran­kes, un­glück­li­ches Kind an ein schö­nes, glück­li­ches zu hän­gen pflegt.

      Rosa ging in die Kü­che hin­aus; sie woll­te mit Mar­tha und Gre­the jung und lus­tig sein. Die Mäd­chen knie­ten in der Kü­che und rie­ben die Flie­sen, Schweiß­trop­fen auf der Stirn, die Haa­re wirr über den Rücken nie­der­fal­lend. Sie blick­ten auf, als Rosa ein­trat, senk­ten aber so­gleich die Köp­fe und ki­cher­ten.

      »Ich woll­te se­hen, was Sie tun«, sag­te Rosa be­fan­gen. »Es muss lus­tig sein, so zu wa­schen, nicht?« Die Mäd­chen lach­ten.

      »Ich wür­de Ih­nen gern hel­fen«, fuhr Rosa fort. Eine wil­de Lust er­griff sie, sich aus­zu­klei­den, auf den Bo­den nie­der­zu­wer­fen und mit den Mäd­chen zu ar­bei­ten. »Das kann das Fräu­lein wohl nicht«, mein­te Mar­tha und zwang sich, ernst aus­zu­se­hen. »Wa­rum?« frag­te Rosa zö­gernd; dann schwieg sie. Eif­rig ar­bei­te­ten die Mäd­chen fort, war­fen sich flüch­ti­ge Bli­cke zu und bis­sen sich auf die Lip­pen. – »Sie ma­chen’s wie wir, wenn Fräu­lein Schank da war«, dach­te Rosa und ging seuf­zend in das Wohn­zim­mer zu­rück. Sie war es nicht ge­wohnt, als stren­ges Fräu­lein be­han­delt zu wer­den, vor dem man sich schämt und über das man hin­ten­nach lacht. Sie hät­te lie­ber mit­ge­scheu­ert und mit­ge­lacht. Nie­der­ge­schla­gen setz­te sie sich an das Fens­ter und fühl­te sich alt. Ja! Mar­tha und Gre­the wa­ren die glück­li­chen Kin­der, die sich in der Däm­mer­stun­de ihre Liebs­ten ans Fens­ter be­stell­ten und vom Le­ben al­les Schö­ne er­war­te­ten. Sie aber war das arme Fräu­lein, das Un­glück ge­habt hat­te. Sie ge­hör­te nicht mehr zur fro­hen Gil­de der Jun­gen, die über die äl­te­ren Leu­te und de­ren Er­fah­run­gen spot­ten. – Sie woll­te in ihr Zim­mer hin­auf­ge­hen und die Hemd­chen und Jäck­chen nä­hen, die Ag­nes ihr zu­ge­schnit­ten hat­te. Das war die ein­zig pas­sen­de Be­schäf­ti­gung für ein ar­mes Fräu­lein, das Un­glück ge­habt hat. Als sie sich der Türe zu­wand­te, sah sie einen Herrn mit­ten im Zim­mer ste­hen. Er rieb sich die Hän­de, die El­len­bo­gen fest an den Leib ge­drückt, und lä­chel­te. In sei­nem kno­chi­gen, brau­nen Ge­sicht sa­ßen zwei blan­ke Au­gen. Der Bart um Lip­pen und Kinn so­wie das stark ge­lock­te, spär­li­che Haupt­haar wa­ren tief­schwarz, und die klei­ne schmäch­ti­ge Ge­stalt im ab­ge­tra­ge­nen brau­nen Som­mer­an­zug ver­kroch sich lin­kisch in sich selbst.

      »Ich woll­te Sie bit­ten, Fräu­lein«, be­gann er mit ei­ner dün­nen, ho­hen Stim­me, »mich zu ent­schul­di­gen, weil ich Sie ges­tern nicht emp­fan­gen konn­te. Ich mach­te ge­ra­de einen Ge­schäfts­gang. Ich bin näm­lich der Haus­herr. Bit­te, neh­men Sie doch Platz, Fräu­lein.« Sei­ne Hand woll­te mit ei­ner edeln Be­we­gung auf einen Stuhl deu­ten, be­sann sich je­doch un­ter­wegs und fuhr un­be­hol­fen in die Ho­sen­ta­sche. »Oder woll­ten Sie fort­ge­hen?«

      »O nein!« er­wi­der­te Rosa. »Ich habe ja nichts zu tun.« Sie setz­te sich und mach­te ein Ge­sicht wie ein sehr jun­ges Mäd­chen, das ernst­haf­te Kon­ver­sa­ti­on ma­chen soll. Herr Böhk rück­te einen Stuhl her­an, lä­chel­te, leck­te sich die Lip­pen. »Das kann ich mir den­ken«, sag­te er, »solch ein Fräu­lein braucht nichts zu ar­bei­ten, das weiß ich auch. Ja – wie ge­sagt, es ist mir sehr un­an­ge­nehm, dass ich ges­tern nicht hier war – sehr un­an­ge­nehm.«

      »Aber da Sie Ge­schäf­te hat­ten«, wand­te Rosa ein.

      »Ach was! Ich hät­te es sein las­sen sol­len. Es war un­höf­lich von mir. Ge­wiss! Ich weiß auch, was sich schickt. Hat die Al… mei­ne Frau Sie we­nigs­tens gut auf­ge­nom­men?«

      »Ja – sehr gut.«

      »So – so.« Herr Böhk zwir­bel­te be­däch­tig sei­nen Bart. »Ja, auf die Wirt­schaft ver­steht sie sich recht gut. Ich über­las­se ihr auch ganz die Wirt­schaft. Wir Män­ner ha­ben kei­ne Zeit dazu, wis­sen Sie, Fräu­lein.«

      »Na­tür­lich.«

      »Ja! – Na – aber doch schwe­re Zei­ten!«

      »Wirk­lich?« frag­te Rosa er­staunt.

      »Ja«, mein­te Herr Böhk, »we­nig zu tun! Ich bit­te Sie, Fräu­lein, in ei­nem Nest wie Ti­glau, was soll da ein Uhr­ma­cher zu tun ha­ben? Lä­cher­lich! Ich habe das an­ders ge­kannt.«

      »Sie wa­ren frü­her in ei­ner grö­ße­ren Stadt?«

      »Ei­ner?« – Er lach­te: »In vie­len – in al­len Städ­ten fast. Gott, wo bin ich nicht al­les ge­we­sen! Dort über­all her­um.« Er wies mit dem Dau­men über Stall und Spei­cher hin­aus. »Stu­die­ren woll­te ich auch – auf der Uni­ver­si­tät, wis­sen Sie.«

      »So?«

      »Ja, ja; das Ku­rie­ren woll­te ich ler­nen.«

      »Arzt woll­ten Sie wer­den?«

      »Ja – für das Vieh – wis­sen Sie. Wie das nun heißt. Aber es wur­de nichts dar­aus; und bei mir, se­hen Sie, Fräu­lein, war auch die Lie­be an al­lem schuld. Mei­ner Seel! Ich hat­te da eine Flam­me – nicht mei­ne jet­zi­ge Frau, nein – das war ein schö­nes und fei­nes Mäd­chen; Pe­tro­nel­la hieß sie. Da sieht man schon; gleich­viel, was für eine heißt nicht Pe­tro­nel­la, nicht wahr? Sie zog fort und ich ihr nach, wie das schon so geht. Mit dem Vieh­dok­tor wur­de es aber nichts. Üb­ri­gens, mei­ne jet­zi­ge Alte ist auch brav. Ein we­nig vor­schnell, aber tüch­tig. Sie wer­den ja se­hen. Wenn Sie ein­mal mit der Ver­pfle­gung


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