Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme
in Prenzlau und in Gardelegen. An anderen Orten dagegen hat man sie gut erhalten; dieß ist z.B. der Fall in Brandenburg, Burg und in Stendal. In der letzteren Stadt steht der Roland vor dem Rathhause, so daß er den ganzen Markt übersieht. Er ist ungeheuer groß, und verhältnißmäßig stark; seine Waden sind so dick, wie der Leib des stärksten Mannes in der Stadt. Er hat einen rothen Federbusch auf dem Helme, und trägt ein Schwert in der Hand, das zwölf Ellen lang ist und einen vergoldeten Knopf und Bügel hat. Das Schwert hält er drohend gezückt, so wie er überhaupt ein sehr ernstes, beinahe grießgramiges Gesicht hat. Die linke Hand hat er auf dem märkischen Adler ruhen; hinter ihm befindet sich das Stendaler Stadtwappen, und an dem Untertheile seines Rückens sieht man ein lachendes Narrenbild, oder, wie die Leute sagen, den Eulenspiegel. Zu der Zeit, als der alte Dessauer, damals aber noch ein junger Offizier und ein übermüthiger Prinz, zu Stendal in Garnison lag, soll derselbe öfters sich das Vergnügen gemacht haben, aus einem gegenüber liegenden Weinhause, wo er zu zechen gepflegt, nach dem ernsten alten Ritter, wie nach einer Scheibe, zu schießen, und es ist gewiß, daß dem Roland sein Kinn lange Zeit gefehlt hat. Im Jahre 1837 aber hat ein Verein, der sich in Stendal zur Verschönerung der Stadt und ihrer Umgebungen bildete, das Kinn geschickt wieder herstellen, auch sonstige Gebrechen, welche der Lauf der Zeiten an der Säule hervorgebracht, ausbessern, so wie ihm ein neues Schwert geben lassen, da das alte, von Holz, ganz von der Luft und vom Wetter zerstört war. Der alte ritterliche Vetter des großen Kaisers sieht jetzt wieder ganz frisch und wie neugeboren aus.
Von diesem Roland gehen manche artige Sagen im Munde des Volkes.
Einst kam des Abends spät ein Bürger der Stadt Stendal aus einem Weinhause zurück, und wollte sich in seine Wohnung verfügen. Sein Weg führte ihn über den Markt. Er hatte des Guten ziemlich viel gethan, so daß er zwar nicht betrunken war, aber doch, wie man zu sagen pflegt, einen Spitz hatte. Er war deshalb auch in einer recht fröhlichen Laune, und als er beim Roland angekommen war, stieg ihm auf einmal der Uebermuth. Er stellte sich vor ihn hin und höhnte ihn und sprach: He, du alter trockner Mann da! Du steinerner Narr! Du tränkest auch wohl gern ein Gläschen Wein auf deinem kalten hohen Gerüste! Also sprach er viel, und dabei machte er Bockssprünge und schnitt dem Roland Gesichter zu, in seiner Weinlaune bei sich denkend: Der Alte ist ja von Stein, der sieht das nicht; und wenn er auch überhaupt sehen könnte, so ist es doch jetzt stockdunkle Nacht.
Der alte Roland hatte die Narrheiten lange mit seinem ernsten, strengen Gesichte angesehen. Aber auf einmal drehete der steinerne Riese sich auf seinem Gerüste rund herum, dem Narren den Rücken zu, als wenn er die Thorheiten nun nicht mehr ansehen könne. Da wurde der arme Bürgersmann vor Schreck urplötzlich nüchtern, und es überkam ihn eine solche Angst, daß er nicht von der Stelle weichen konnte. Er rief laut um Hülfe: »He dheit mi wat! he dheit mi wat!« (Er thut mir was! er thut mir was!), und man mußte ihn fast krank nach Hause tragen. Der Roland stand am anderen Morgen wieder wie früher, sein großes steinernes Gesicht überschaute wieder den Marktplatz, als wenn nichts passirt wäre. Der Mann aber betrank sich in seinem Leben nicht mehr, und es besteht seitdem in Stendal ein Sprichwort, womit man den Uebermuth des Trunkes warnt:
»He dheit mi wat, he dheit mi wat!
Is doch, as hätt’ ich dat Drinken satt!«
4. Der verschwundene Tambour.
Der Dom zu Stendal hat zwei hohe, schöne Thürme. Aber nur in einem derselben hängen Glocken. In dem andern ist nichts; darum heißt er auch der wüste Thürm. Eben so hat die Marienkirche zu Stendal zwei Thürme, von denen der eine gleichfalls, weil keine Glocken in ihm hängen, der wüste Thurm genannt wird. Von jedem dieser beiden wüsten Thürme geht tief in die Erde hinein ein unterirdischer Gang. Der Sage nach soll es nur ein und derselbe Gang sein, der unter dem Domhof, der Hallstraße und dem Markte hergeht, und so beide Thürme mit einander in Verbindung setzt. Unter der Hallstraße hallt es auch wirklich dumpf, als wenn es hohl darunter wäre. Daher soll sie auch ihren Namen haben. Vor vielen Jahren wollte man näher untersuchen, ob der Gang wirklich von dem einen Thurme zu dem anderen führe. Man hatte damals einen armen Sünder sitzen, der zum Tode verurtheilt war. Diesem, ein Tambour seines Zeichens, ließ man die Wahl, ob er den Gang untersuchen oder gehangen sein wolle. Er wählte gern das Erste. Man ließ ihn von dem wüsten Thurme des Domes aus in den Gang hineinsteigen, und befahl ihm zu trommeln, damit man, wenn er auch nicht wieder komme, oben auf der Erde immer hören könne, wie weit er gekommen sei. Der Tambour trommelte munter und lustig unter dem ganzen Domhofe weg bis mitten unter die Hallstraße. Da verstummte aber auf einmal die Trommel, und man hat von dem Tambour nie wieder etwas gesehen oder gehört.
5. Die gottesschänderischen Juden.
In den Jahren 1509 und 1510 trieben die Juden in der ganzen Mark Brandenburg viele Abscheulichkeiten, besonders auch in der Altmark. Unter anderen waren am Mittwoch nach Lichtmessen im Jahre 1509 aus der Kirche des Dorfes Knoblauch im Havellande, mittelst Erbrechung des Sacramenthäusleins, eine vergüldete Monstranz und darinnen zwei geweihete Hostien gestohlen. Der Dieb hieß Paul Frohm, ein Kesselflicker aus Bernau. Er hatte, wie er nachher bei seiner Verhaftung bekannte, eine der Hostien selbst genossen, die andere aber für einen märkischen Groschen an den Juden Salomon in Spandau verkauft. Der Jude hatte ihm das Geld in eitel neuen Berlinischen Pfennigen bezahlt. Auf dieses Bekenntniß des Diebes wurde der Jude Salomon von Spandau gefänglich eingezogen und gen Berlin gebracht, wo er den Handel eingestand, auch bekannte, daß er die Hostie vor sich auf einen Tisch gelegt, mit Messern darein gehauen und gestochen, und sie mit lästerlichen Worten verfluchet und geschmähet habe, worauf sie, obgleich er sie nicht zerbrechen oder zerreißen können, zuletzt auf einmal in viele Stücklein von einander gesprungen sei. Als er solches gesehen, sei er sehr erschrocken worden, und habe sich unterstanden, eins von den Stücklein zu verschlucken, was ihm aber unmöglich gewesen. Er habe darauf zwei der Stückchen genommen, und jedes in ein blechernes Büchslein, einen Daumen lang, gelegt, solches wohl petschiret, und also eins davon seinem Sohne gen Brandenburg, das andere dem Juden Marx gen Stendal in der alten Mark geschicket. Durch dieses Bekenntniß des Juden Salomon ist der Churfürst verursachet worden, alle Juden in seinen Landen und Städten festzunehmen, uns bis zur ferneren Erkundigung der Schuldigen gefänglich zu verwahren. Die Juden in Brandenburg hatten mit dem ihnen zugeschickten Stücklein von der Hostie allerlei gotteslästerliche Gräuel getrieben; nicht minder die Juden in Stendal. Diese hatten dasselbe auf ein Mittagsmahl getragen, bei dem viele Juden anwesend gewesen; sie hatten zwei Hiebe und mehrere Schnitte hineingethan, worauf so viel Blut, als in eine Nußschaale gehen mag, herausgekommen war und auf den Tisch geflossen. Das Blut aber haben sie, soviel sie auch gewaschen, nicht von dem Tische bringen können, weshalb sie von diesem das Ende, woran das Blut gesessen, abgehauen. Zuletzt haben sie die Hostie, die durch alles Schneiden und Hauen doch nicht verletzet worden, wiederum in die blecherne Büchse hineingethan, und den Juden gen Osterburg zugeschicket. Allda hat am Freitage nach Pfingsten ein Jude, Namens Isak, seine Hochzeit und Beilager gehalten, wobei viele Juden aus allen Gegenden der Mark zugegen gewesen. Bei dem Mittagsmahle nun haben sie die Hostie wieder auf den Tisch gelegt, und mit Messern und Pfriemen hineingestochen, worauf dann abermals Blut herausgeflossen. Von da haben sie die Hostie den Juden in Braunschweig zugesendet. Das Alles haben die gefangenen Juden zu Berlin bekannt. Nicht minder haben sie zugestanden, daß Mehrere von ihnen, nämlich Meier von Osterburg, Elias von Tangermünde, David von Gardelegen, und viele Andere, als sie zu Martini in Werben beisammen gewesen, daselbst ein Christenkind von vier Jahren um zehn Gulden gekauft, das sie in einen Keller gebracht, und allda mit Nadeln und Pfriemen gestochen, ihm auch die Medianader geschlagen und ihm zuletzt den Hals abgeschnitten. Von dem also jämmerlich zum Tode gebrachten Kinde haben sie ein ganzes Nößel Blut bekommen. Ein anderes Christenkind, fünf Jahre alt, hatten sie vier oder fünf Tage nach Ostern gekauft, und in die Synagoge zu Osterburg gebracht, wo sie ihm zur Ader gelassen, es jämmerlich mit Nadeln gestochen und ihm zuletzt den Hals abgeschnitten.