Pieter Maritz, der Buernsohn von Transvaal. August Niemann
dieses Land mühsam erobern müssen,« setzte er nach einer Pause hinzu, als der Knabe ihn mit dem Ausdruck des Entsetzens anblickte. »Entweder unser Blut mußte fließen oder das unserer Feinde. Doch laß mich noch einmal trinken, ich fühle ein Brennen in meinem Blute, und ich fürchte, der Pfeil, der meine Hand traf, ist vergiftet gewesen.«
Der Knabe reichte ihm von neuem die Trinkflasche, er leerte sie vollständig und schloß dann die Augen, um zu schlafen. Der Knabe aber stand auf und ging zu dem Pferde. Er nahm ihm den Sattel ab und streifte ihm den Zaum über den Kopf, legte beides zur Seite nieder und ließ dem Tiere völlige Freiheit. Es rieb, ihm gleichsam dankend, seinen Kopf an des Knaben Schulter, schüttelte sich und ging dann, nach Futter suchend, zur Höhle hinaus.
Als der Knabe wieder zu seinem Vater zurückkehrte, fand er ihn noch mit geschlossenen Augen daliegend, aber sein Atem war unregelmäßig und seine Hände und Arme zuckten unruhig. Der Knabe sah diese Anzeichen des Fiebers mit tiefer Besorgnis. Er preßte die Hände auf die Brust und murmelte leise eine Bitte zu Gott, dem Vater in dieser Not beizustehen. Der Mann mußte die Nähe seines Sohnes spüren, er öffnete die Augen, dann bewegte er den Kopf, richtete sich auf und blickte den Sohn an.
»Es geht schnell zu Ende,« sagte er. »Grüße deine Mutter und Geschwister, ich werde sie nicht wiedersehen. Bleibe ein frommer Junge und behalte dein Vaterland lieb. Sei immer treu und wahrhaft und tapfer, Pieter Maritz, und bedenke, daß deine Väter dieses Land mit ihrem Leben erkauft haben.«
Er schwieg, da ihm die Kraft zum ferneren Sprechen ausging, und trank noch einmal aus der Flasche, die Pieter Maritz von neuem mit Wasser gefüllt hatte.
»Wir haben nur einen Feind,« sagte er dann, während in seinen Augen ein zorniges Licht aufblitzte. »Dieser Feind ist England. Hätten die treulosen Engländer nicht die elenden Kaffern ermutigt, so hätten diese nie gewagt, sich gegen uns aufzulehnen. Es ist die Hand der Engländer, die deinen Vater getötet hat, Pieter Maritz, das vergiß nicht.«
»Ich werde es nicht vergessen,« sagte der Sohn, dem Vater mit festem Blick ins Gesicht sehend.
Der sterbende Mann heftete seine Augen lange auf des Knaben offenes und ehrliches Gesicht, und der tröstliche Gedanke, daß er einen Sohn von männlichem Sinne zurücklasse, goß Balsam in seine Seele. Er legte von neuem den Kopf auf das Lager zurück und sprach mit flüsternden Lippen ein Gebet.
Der Knabe, welcher neben ihm kniete, faltete die Hände, und ein Gefühl des tiefsten Schmerzes durchdrang seine Brust. Er sah, daß das Ende des geliebten Vaters schnell herannahte. Noch eine halbe Stunde wohl bewegte die Brust des tödlich Verwundeten sich auf und nieder und verkündigte, daß das Leben noch nicht entflohen war. Diese Zeit erschien dem Sohne wie eine unermeßliche Reihe voll trauriger Bilder. Er sah sich noch als Kind, umgeben von der Sorgfalt des nun Dahinscheidenden, er sah sich heranwachsend und von dem Vater den Gebrauch des Gewehrs und der Zügel lernend. Diese kraftvollen Hände sollten nun erlahmen, diese starke Gestalt, zu der er sein Lebenlang voll Ehrfurcht aufgeblickt, sollte dahinschwinden. Jetzt richtete sich der Blick des Vaters noch einmal voll Liebe auf den Sohn, ein Schauer durchlief den Körper, ein Zucken bewegte alle Glieder, und es war alles vorbei.
Pieter Maritz brach in ein stilles Weinen aus, welches seine Brust krampfhaft erschütterte. Er drückte dem Vater die Augen zu und blieb noch lange auf den Knieen neben ihm.
»O Vater, Vater!« rief er einmal über das andere. »O lieber Vater, bist du dahingeschieden und hast mich zurückgelassen? Hätte mich doch die Wunde getroffen! Hätte ich doch für dich sterben dürfen! Nun ist die Mutter verlassen, nun sind wir Kinder verwaist!« Er warf sich über die Brust des Toten, als könnte seine Umarmung das entflohene Leben zurückrufen, er preßte seinen Mund auf die bleichen Lippen und schluchzte voll Jammer.
Endlich, als der Körper des Toten erkaltete und als der Gedanke, daß der geliebte Vater wirklich aus dem Leben geschieden sei, ihm völlig klar geworden war, stand er auf und dachte an sein eigenes Schicksal. Doch nur zögernd vermochte er sich von dem toten Körper loszureißen. Der Gedanke, ihn zu verlassen, ihm kein christliches Begräbnis geben zu können, war ihm furchtbar. Noch einmal warf er sich in inbrünstigem Gebet neben der Leiche auf die Kniee, dann erhob er sich und ging mit schwerem Herzen. Er beschloß, zu den Seinigen zurückzukehren. Aber wie sollte er sie finden? Die Gemeinde der Buern, zu welcher er gehörte, war von ihrem Standorte aufgebrochen, weil ein benachbarter Betschuanenstamm sich in feindlicher Absicht in ihrer Nähe gezeigt hatte. Es war zu Kämpfen gekommen, die sich in Angriff und Verfolgung über weite Strecken Landes hingezogen hatten. Wo mochte jetzt die Gemeinde sein?
Der Knabe ging bis zum Ausgang der Höhle, und da er das Pferd nicht sah, setzte er die Hand an den Mund und ließ einen gellenden Pfiff von besonderer Art ertönen. Es währte nicht lange, da hörte er den Schritt des treuen Tieres, welches sich gehorsam näherte. Er streichelte es, umarmte seinen schlanken Hals und benetzte die seidenweiche Mähne mit Thränen. Es war ihm, als umarme er einen Freund, der seine einzige Stütze in großer Not sei. »Du und ich, alter Jager, wir sind jetzt allein,« sagte er, ihm die Nüstern liebkosend. Dann legte er ihm den Zaum an und schnallte ihm den Sattel auf den Rücken, verkürzte die Steigbügelriemen, so daß sie für ihn passend wurden, hing die schwere Büchse und den breiten Patronenriemen über die Schultern und stieg auf das Tier. Er war breitschulterig und stark gebaut, nach der Art seines Vaters, und wenn ihn auch dessen Ausrüstung belastete, so war ihm doch der Druck nicht zu schwer. Er warf noch einen Blick zurück, einen Blick, dessen Erinnerung sich für immer seinem Gemüte einprägte, und ritt dann den Weg zurück, den er gekommen war.
Als er den letzten Ausgang der Höhle erreicht hatte und aus der Spalte hervorkam, welche ein schmales Eingangsthor in dem moosüberkleideten Felsen bildete, sah er, daß die Sonne schon tief am Horizonte stand und daß der Einbruch der Nacht in etwa einer Stunde zu erwarten war. Es galt also, die Zeit zu benutzen, um noch vor der Dunkelheit ein tüchtiges Stück Weges zurückzulegen. Er lenkte sein Pferd nach rechts, um denselben Pfad durch das Dickicht zurückzureiten, welcher ihn hierher geführt hatte, aber das Tier widersetzte sich und zeigte eine beharrliche Neigung, nach links zu gehen. Weder Zurufe noch Zügeldruck wirkten, es stemmte zuerst seine Vorderfüße fest in den Boden und fing dann an, auf den Hinterbeinen in die Höhe zu steigen.
»Nun gut,« sagte sich Pieter Maritz, »vielleicht weißt du besser als ich, welches der richtige Weg ist.«
Er legte dem Tier die Zügel auf den Hals, und alsbald wandte es sich links und ging in schnellem, munterem Schritt vorwärts. Ruhe, Wasser und Futter hatten es neu gekräftigt. Zufrieden sah der Knabe, daß Jager mit großem Geschick, als sei er in dieser Wildnis zu Hause, die stachlichten Büsche der Kaktus und der Giraffen-Akazie umging und seinen Weg durch die an manchen Stellen undurchdringliche Waldung fand. So ging es eine Strecke weiter, und dann öffnete sich ein Felsenthal, wo im Grunde ein halbvertrocknetes Bächlein rieselte und allerhand wunderlich gebildete mächtige Steine den Weg von beiden Seiten einfaßten. In Zickzack-Windungen ging es zwischen Büschen und Felsen immer weiter, oft stiegen hohe spitze Felsen wie Türme düster empor, und das tiefe Schweigen dieses Thales ward nur durch das Grunzen einzelner Paviane unterbrochen, welche den Reiter in der Ferne begleiteten und mit großen Sätzen von Stein zu Stein sprangen. Aber nach und nach wurden dieser Tiere mehr, und als Jager unruhig schnob, fingen sie an zu schnattern, die Zähne zu fletschen und laut zu rufen, so daß ihrer Hunderte von allen Seiten zusammenliefen. Sie kamen oft nahe an Pieter Maritz heran, grinsten ihn an, streckten ihre Mäuler vor, zogen die Stirnhaut empor und schienen Lust zu einem Angriff zu haben. Pieter Maritz nahm die Büchse von der Schulter und drohte ihnen, indem er ihnen die Mündung zeigte. Es war ein ausgezeichnetes Gewehr, ein Martini-Henry, dessen Magazin ihn in den Stand setzte, zwölf Schüsse hintereinander abzugeben, ohne neu zu laden. Aber er hütete sich wohl zu schießen, da er die Natur dieser Affen kannte. Hätte er einen von ihnen verwundet, so würden sie ihn in Stücke gerissen haben, ehe er den zweiten Schuß hätte abfeuern können. So begnügte er sich damit ihnen zu drohen, und sie schienen das zu verstehen und griffen nicht an, obwohl einzelne so nahe kamen, daß sie seinen Hut streiften, als er an einem überhängenden Felsen vorüberritt, auf dem sie hockten.
Doch jetzt kam Befreiung aus dieser Not. Das enge Thal öffnete sich plötzlich, eine