Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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will noch vier­zig Jah­re äl­ter wer­den, von die­ser Stun­de an ge­rech­net, bloß um vier­zig Jah­re lang von dir zu hö­ren, was für ein Esel von Kin­des­bei­nen an in mir ge­steckt hat und dass mei­ne ein­zi­ge Ent­schul­di­gung ist, dass – ich es nur zu gern ge­tan habe und also nichts da­für kann!«

      »Der Va­ter…!« stam­mel­te sie. »Ist es denn wahr, Bru­der?… Es war wohl ein Gerücht seit ei­ni­ger Zeit, doch – – O, der Va­ter, der Va­ter; er sitzt da am Fens­ter – er ist so alt ge­wor­den und im­mer noch so sehr gut; – o Ewald, lie­ber Ewald, aber er hat es mir nicht glau­ben wol­len, dass du wie­der zu uns kom­men wür­dest, und es hat ihm kei­ner mehr von dem Gerücht re­den dür­fen.«

      »Eva«, klang es jetzt von dem Fens­ter her, »wen hast du denn da, Kind?«

      Der alte Mann schob neu­gie­rig den Kopf her­vor; aber die einst so schar­fen Weid­mannsau­gen reich­ten nicht mehr so weit in die Abend­däm­merung hin­ein, um die Frem­den zu er­ken­nen, die mit sei­ner Toch­ter spra­chen. Der Ir­län­der hielt mei­nen Arm so fest, dass es mich schmerz­te. Eva Six­tus trat nä­her an das Fens­ter her­an; sie trock­ne­te ihre Au­gen und ver­such­te ru­hig und fröh­lich zu spre­chen, es ge­lang ihr je­doch schlecht.

      »O Va­ter«, schluchz­te sie, »wir ha­ben Be­such be­kom­men –«

      »Das freut mich, Kind, – wenn er mit ei­nem al­ten Mann vor­lieb­neh­men will. Aber wie sprichst du denn? Was hast du mit dem Tuch?«

      »Va­ter, Be­such aus – vom – Schloss Wer­den – aus Ber­lin – aus – Eng­land. Lie­ber Va­ter, ich freue mich so, und du wirst dich auch freu­en. Den­ke dir, Fritz – der Herr Dok­tor Lan­greu­ter aus Ber­lin – Herr – Fritz Lan­greu­ter –«

      »Alle Wet­ter!« rief der Alte, und der Ka­ter ne­ben ihm tat vor Schre­cken einen Satz durch das Fens­ter und fuhr uns dicht an den Köp­fen vor­bei über den Hof, um sich, eine Stal­lei­ter auf­wärts, mit mög­lichs­ter Eile in Si­cher­heit zu brin­gen. Mr. Ewald und ich hat­ten zu blei­ben und das Wei­te­re ab­zu­war­ten.

      »Was ist das?« frag­te glück­li­cher­wei­se noch eine Stim­me aus der Tie­fe der Stu­be. Wir hör­ten den Al­ten sich auf­rap­peln, und – da stand er auf der Schwel­le sei­ner Amts­woh­nung, weiß­haa­rig, die einst so schar­fen Au­gen su­chend auf uns rich­tend, auf sei­nen Stock ge­stützt, und – über die Schul­ter sah ihm zu un­se­rem, d. h. zu Ewald Six­tus’ Glück der Vet­ter Just Ever­stein, der, wie sich aus­wies, sehr häu­fig vom Stein­ho­fe zu sei­ner Un­ter­hal­tung her­über­ritt und des­sen Gaul auch an die­sem merk­wür­di­gen Abend wie­der ein­mal im Stall ein­träch­tig­lich ne­ben den zwei Kü­hen des Förs­ter­hau­ses stand.

      Er war wie­der der ein­zi­ge, der Vet­ter Just näm­lich, der ganz rich­tig und zur rich­ti­gen Zeit an Ort und Stel­le war. Er al­lein war schuld dar­an, dass eine Vier­tel­stun­de spä­ter – eine schlim­me Vier­tel­stun­de! – der alte Mann mit dem gu­ten Ge­sicht und der im­mer noch bit­ter­bö­sen Fal­te zwi­schen den zu­sam­men­ge­zo­ge­nen wei­ßen, bu­schi­gen Brau­en die Faust auf einen ab­ge­grif­fe­nen Schweins­le­der­band auf dem al­ten brau­nen, so teu­ern Klapp­ti­sche zwi­schen den bei­den Fens­tern fal­len ließ und murr­te:

      »Die­ser hier hät­te dich kurz­ab hän­gen las­sen, Ewald, wenn du sein Jun­ge ge­we­sen wä­rest. Und wäre ich jün­ger und noch bes­ser bei Kräf­ten und Ge­dan­ken, so kämest du mir heu­te Abend nicht so leicht weg, mein Sohn, das sage ich dir. Da woll­te ich das Le­ben die­ses Paps­tes doch nicht so lan­ge stu­diert ha­ben, um nicht zu wis­sen, was ich zu tun hät­te!«

      »O, lie­ber Va­ter«, rief aber Ewald Six­tus, »ist denn nicht das ver­damm­te Buch an der gan­zen Ge­schich­te schuld? Kann ich denn da­für, dass du mich alle Au­gen­bli­cke mit der Nase dar­auf ge­duckt hast? Da fra­ge nur den Just und den Dok­tor da, was sonst leich­ter im Men­schen hän­gen­bleibt als sol­che gu­ten Leh­ren und Bei­spie­le! Um auch mei­nen Wil­len durch­zu­set­zen, habe ich gleich­falls jah­re­lang das Maul ge­hal­ten. Viel Re­den hilft nicht und viel Schrei­ben macht dumm – fra­ge dreist nur den Dok­tor hier da­nach, der kennt aus sei­ner Pra­xis ge­nug Leu­te, die sich in bei­der­lei nie ge­nug­tun konn­ten und auch nach Hau­se ka­men wie ich und doch noch we­ni­ger das Rech­te ge­trof­fen hat­ten. Und ich bin doch auch nur dar­um wie­der da, um mich von jetzt an von euch al­len – ja al­len! – len­ken zu las­sen wie an ei­nem sei­de­nen Fa­den, und das ist noch mehr, als du von dei­nem Papst und un­se­rem al­ler­hei­ligs­ten Herrn Na­mens­vet­ter, Six­tus dem Fünf­ten, be­haup­ten kannst, lie­ber Papa!«

      Der Greis schüt­tel­te den Kopf.

      »Ich bin eben zu alt, um mich noch in al­len eu­ren Fi­nes­sen zu­recht­fin­den zu kön­nen, habe es auch nie recht ge­konnt. Wenn dich dein Ge­wis­sen frei­spricht, so will ich es dir gön­nen, mein Sohn, hel­fen täte es mir ja doch nichts, wenn ich mich auch noch mal ab­müh­te, über die Ver­schie­den­heit der Men­schen auf Er­den nach­zu­si­mu­lie­ren und mich über ihr We­sen ge­gen­ein­an­der zu är­gern. Also – las­sen wir es gut sein; du bist wie­der da und sagst, du ha­best es zu was ge­bracht, und das kann mir ja nur lieb sein. Was du un­ter­wegs ver­lo­ren hast, kann ich nicht ta­xie­ren; aber ein rei­cher Mann bist du ge­wor­den, sa­gen sie im Dor­fe und sagt der Vet­ter Just; und Schloss Wer­den ist nun auch dein Ei­gen­tum; mei­ne Sa­che ist das nicht, also sieh sel­ber zu, was du mit dei­nen Aus­rich­tun­gen zu dei­nem Glücke wei­ter an­fängst. Un­ter die­sem mei­nem Da­che will ich dich als einen Gast an­se­hen, wenn es dei­ne Zeit und Um­stän­de zu­las­sen und du dei­ner Schwes­ter und mir die Ehre schen­ken willst. Auch der Fritz – der Herr Dok­tor Lan­greu­ter ist mir will­kom­men, und das Kind soll auch ihm sei­nen Stuhl am Ti­sche wie­der zu­rück­en. Wie ist es, Just Ever­stein, kann ich und soll ich noch mehr sa­gen und tun?«

      Der Vet­ter Just fass­te nur die Hand des Grei­ses; Eva trock­ne­te sich die Au­gen mit dem Schür­zen­zip­fel; wir zwei an­de­ren stan­den mit den Hü­ten in den Hän­den in Wahr­heit kläg­lich ge­nug da – wirk­lich zwei dum­me Bu­ben, die zu spät zum Es­sen nach Hau­se ge­kom­men wa­ren, und zwar vom Fisch­fang in den Bä­chen die­ser Welt, mit der An­gel­ru­te über der Schul­ter und ein paar Gründ­lin­gen in ei­nem zer­bors­te­nen Hen­kel­top­fe.

      Siebentes Kapitel

      Dies Ge­fühl ver­stärk­te sich noch um ein be­deu­ten­des, als wir nun­mehr end­lich ein­mal wie­der in der nied­ri­gen Stu­be stan­den, de­ren De­cke der Förs­ter Six­tus, so ge­beugt ihn das Al­ter ha­ben moch­te, im­mer noch mit aus­ge­streck­ter Hand ab­reich­te. Aber Eva hielt den Bru­der von neu­em fest in den Ar­men und schluchz­te an sei­ner Brust; und dann reich­te sie dem Vet­ter Just die Hand und sag­te lei­se:

      »O, wir dan­ken dir!«

      Und dann gab sie auch mir die Hand und ver­such­te es, durch ihre Trä­nen zu lä­cheln, und sie sag­te:

      »Und Ih­nen dan­ke ich auch recht schön und aus vol­lem Her­zen. Es ist so sehr freund­lich von Ih­nen, dass Sie mit mei­nem Bru­der heim- und her­ge­kom­men sind. Nicht wahr, es hat sich we­nig bei uns ver­än­dert? Wenn Sie es nur noch so be­hag­lich wie in frü­he­ren gu­ten Jah­ren fin­den!«

      Ich griff mit der Hand nach der Keh­le, weil eine an­de­re – eine sehr hei­ße Geis­ter­hand sie mir be­denk­lich zu­sam­mendrück­te.

      »Ach, Eva – Fräu­lein Eva –«

      Glück­li­cher­wei­se sprach der alte Herr, der sei­nen Platz in dem


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