Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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mit un­se­rem Le­ben wie­der aufs Lau­fen­de zu brin­gen, ei­ner­lei ob wir den Uhr­ma­cher im Hau­se ha­ben oder nicht.«

      »Fürs ers­te gehe ich ein­mal mit in die Kü­che!« rief der Be­sit­zer von Schloss Wer­den auf­sprin­gend. »End­lich will ich doch mal wie­der da die Fun­ken im Schlot auf­wir­beln se­hen.«

      Nach fünf wei­te­ren Mi­nu­ten schlich auch ich mich den bei­den nach; aber ich blick­te nur durch die Tür­spal­te. Sie stan­den Arm in Arm an dem al­ten vä­ter­li­chen Her­de, und die Schwes­ter hat­te dem Bru­der wie­der den Kopf auf die Schul­ter ge­lehnt, und sie sa­hen stumm in die hüp­fen­den Fun­ken des Hei­ma­ther­des. Als ich in die Stu­be zu­rück­kam, sag­te der Va­ter Six­tus:

      »Recht hat das Kind, Frit­ze. Wir wer­den wohl eine ziem­li­che Zeit brau­chen, um mit al­len un­se­ren Er­leb­nis­sen ins kla­re zu kom­men. Da fra­ge nur den Vet­ter Just, der ist jetzt doch schon über ein Jahr aus sei­nem Ame­ri­ka zu­rück; aber wir sind im­mer noch nicht mit ihm fer­tig. Manch­mal ist es mein Wun­der, wie viel das Mäd­chen aufs Ta­pet zu brin­gen hat, so­bald er die Nase in die Tür steckt. Die zwei kann man schon einen gan­zen Som­mer­tag bei­ein­an­der sit­zen las­sen, ohne dass ih­nen der Un­ter­hal­tungs­fa­den ab­bricht. Na, ihr seid recht gute Freun­de ge­wor­den, nicht wahr, Just Ever­stein?«

      Ich aber, der ich hier sit­ze und schrei­be, dach­te wun­ders, wie viel ich von je­nem in­halt­rei­chen Abend zu Pa­pier zu brin­gen ha­ben wür­de, und wun­de­re mich doch nun gar nicht, dass ein so kur­z­es Ka­pi­tel dar­aus ge­wor­den ist.

      Achtes Kapitel

      »Wie süß das Mond­licht auf den Hü­geln schläft!«

      Ge­gen elf Uhr abends ging er auf, der Mond, und in der längst auf­ge­gan­ge­nen Som­mer­son­ne am Mor­gen un­ter. Um elf Uhr hat­te uns der Alte gute Nacht ge­wünscht und sich von sei­nem heim­ge­kehr­ten Soh­ne in sei­ne Kam­mer füh­ren las­sen. Erst nach ei­ner ge­rau­men Wei­le hör­ten wir Ewalds Schritt wie­der auf der Trep­pe. Sehr schweig­sam und nach­denk­lich nahm der Herr von Schloss Wer­den wie­der an un­se­rem Ti­sche Platz und sprach we­nig mehr. Auch Eva wur­de schweig­sa­mer, rück­te aber nä­her zu dem Bru­der und hielt von neu­em fort­wäh­rend sei­ne Hand zwi­schen den ih­ri­gen. Es war, als ob für die­sen Abend nun­mehr je­des Wort zwi­schen uns vier aus­ge­spro­chen wor­den sei. Nur die Uhr im Win­kel re­de­te wei­ter; als sie aber Mit­ter­nacht schlug und der wei­ße Schein des Mon­des plötz­lich voll in die Fens­ter fiel, da er­schra­ken wir alle, und der Vet­ter Just stand auf und sag­te:

      »Nun wird’s doch wohl Zeit, dass ich rei­te! Was wer­den sie auf dem Hofe sa­gen, wenn ich ih­nen fast das Mor­gen­rot heim­brin­ge?«

      »Sie lie­gen wohl alle in ei­nem gu­ten Schla­fe und küm­mern sich we­nig dar­um, wie­weit es an der Zeit ist«, mein­te Eva.

      »Frau Ire­ne nicht«, sag­te der Vet­ter; Ewald Six­tus aber sah rasch aus sei­nem trü­ben Sin­nen em­por, tat je­doch kei­ne Fra­ge.

      »Ich habe al­les ver­sucht, sie dar­in zur Ver­nunft zu brin­gen«, fuhr der Bau­er vom Stein­ho­fe fort, »aber was hat es mir ge­hol­fen? Nichts!… Und wenn ich es um sie ver­dient hät­te, so wäre dies zu gut, zu lieb, zu sorg­lich und zu dank­bar. Was habe ich ihr denn viel hel­fen kön­nen in ih­rer schlim­men Le­bens­not und Angst? Du, Fritz, bist ja auch da­bei­ge­we­sen und kannst be­zeu­gen, dass ich nichts als den gu­ten Wil­len ge­habt habe. Und das Kind ha­ben wir ihr ja doch auch be­gra­ben müs­sen, und hät­te ich auch mein Herz­blut her­ge­ge­ben, – sage selbst, Frit­ze, dass kei­ne Hil­fe da­für war! Jetzt aber sitzt sie gott­lob auf dem Stein­ho­fe in Ruhe und Si­cher­heit, so­weit bei­des hie­nie­den mög­lich ist; aber nun ist es fast, als sei ich ein kran­kes Kind und müs­se ge­pflegt wer­den und süß be­han­delt wer­den wie ein sol­ches. Die alte Jule war dar­in schon arg ge­nug, nach­dem wir von neu­em auf dem Hofe bei­sam­men wa­ren; aber Frau Ire­ne gibt ihr nicht das ge­rings­te nach. Ge­ra­ten sich die bei­den Gu­ten ein­mal in die Haa­re, so könnt ihr si­cher sein, dass es über mich ge­schieht. Sie se­hen aus nach mir, sie er­war­ten mich bei dem schlech­tes­ten Wet­ter drau­ßen vor der Tür. Sie rücken mir den Stuhl zu­recht, und ihr ein­zi­ger Jam­mer ist, dass ich kei­nen Schlaf­rock tra­ge und sie mir also mit dem nicht ent­ge­gen­kom­men kön­nen. Die Alte ist wohl zu alt, um bis nach Mit­ter­nacht auf mich war­ten zu kön­nen; aber die bei­den an­de­ren lie­ben Au­gen wa­chen, und in Ire­nes Stu­be brennt in die­ser Nacht die Lam­pe bis in den Mor­gen hin­ein. Ich habe es na­tür­lich ver­sucht, böse dar­über zu wer­den, aber ge­hol­fen hat es gar nichts! O, und es geht doch auch nichts über solch ein lie­bes Licht aus dem Fens­ter des al­ten Hei­mat­nes­tes. Wie wird sich die Frau Ire­ne wun­dern und von ih­rem Bu­che auf­se­hen, wenn ich dies­mal heim­kom­me und ihr zur Ent­schul­di­gung die Nach­richt mit­brin­ge, wer heu­te hier in der Förs­te­rei das alte Nest wie­der­er­reicht hat. Jetzt aber im Ga­lopp und im Mond­schein gen Bo­den­wer­der! Nur sel­ten hat mir der Mond so ganz zur rech­ten Zeit am Him­mel ge­stan­den wie in die­ser Nacht.«

      Ewald Six­tus stütz­te den Kopf mit der Hand und be­schat­te­te die Au­gen mit der Hand.

      »Durch das Dorf führst du doch noch dei­nen Gaul am Zaum, Just«, sag­te ich. »Durch das Dorf Wer­den be­glei­te ich dich bis auf die Stra­ße nach Bo­den­wer­der. Es ist frei­lich eine hel­le Nacht, und ein se­gens­rei­cher Zau­ber liegt hof­fent­lich über uns al­len. Ich be­glei­te dich noch ein Stück We­ges, Vet­ter Just. Es ist lan­ge her, seit ich zum letz­ten­mal die Hei­mat im Mon­den­schein lie­gen sah.«

      Im Mon­den­schein sat­tel­te der Vet­ter auf dem Hofe der Förs­te­rei sei­nen Fuchs. An den ho­hen Ul­men des Ho­fes, de­nen es so viel bes­ser ge­wor­den war als den stol­zen Bäu­men um Schloss Wer­den, reg­te sich kein Blatt. Schat­ten und Licht la­gen still auf dem Bo­den. An dem Hof­tor ga­ben Ewald und Eva noch ein­mal dem Bau­er vom Stein­ho­fe die Hand – die des lie­ben Mäd­chens hielt er eine ge­rau­me Wei­le fest und sag­te dann nur zö­gernd:

      »Nun, so komm, Fritz Lan­greu­ter. Nach ei­ner Rei­se wie die dei­ni­ge soll­test du frei­lich schon längst im Bet­te lie­gen –«

      »Und recht an­ge­nehm von euch hier und eu­ren Zu­stän­den träu­men! O, du Ego­ist, und du willst wa­chend hoch zu Ross wäh­rend­dem durch die Mond­nacht ja­gen und mit kit­zeln­dem Be­ha­gen dei­nen Spaß über den Ber­li­ner Dok­tor ha­ben?«

      »Ganz ge­wiss nicht, Frit­ze«, mein­te der Vet­ter ehr­lichst. »So­lan­ge du willst, füh­re ich den Gaul am Zü­gel hier an dei­ner Sei­te. Vi­el­leicht wäre es so­gar recht gut, du gin­gest den gan­zen Weg mit mir und er­zähl­test an mei­ner Statt der Frau Ire­ne, wen du heu­te nach Schloss Wer­den be­glei­tet hast. Ach, Fritz, du weißt zu spre­chen und dei­ne Wor­te zu stel­len, ich aber nicht! Mir muss al­les ab­ge­fragt wer­den, und mir ist dann stets, als wäre al­les, was dann her­aus­kommt, als sei es durch Zu­fall ge­kom­men. Sieh, al­ter Kerl, das Ge­gen­teil hier­von ist’s eben, was ihr Ge­lehr­ten al­le­zeit vor uns vor­aus­habt, die wir zum Nach­den­ken kom­men so wie ich, heu­te bei Re­gen, mor­gen bei Son­nen­schein, heu­te hin­ter dem Pflu­ge und mor­gen auf dem Stop­pel­fel­de bei den letz­ten Ern­tegar­ben. Es ist gar kei­ne Lo­gik dar­in, und dann am we­nigs­ten, wenn man sie am nö­tigs­ten braucht. Und dass man fast zehn Jah­re lang in den Ve­rei­nig­ten Staa­ten den Schul­meis­ter ge­spielt hat, hilft gar nichts dazu. Und Fritz, Fritz, lie­ber Fritz, da wir jetzt wie­der zwi­schen uns bei­den al­lein sind – ich habe das Schwa­ben­al­ter längst hin­ter mir und –


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