Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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ist im­mer noch jung, und du bist auch noch jung, Fritz­chen, – we­nigs­tens – we­nigs­tens recht viel jün­ger als ich; und wenn ich in mei­ner jet­zi­gen Ruhe und mei­nem Glück und Be­ha­gen an die al­ten Tage den­ke, wo ihr jun­ges Volk zum Be­such nach dem Stein­ho­fe kamt, so – – ach, Fritz, Fritz Lan­greu­ter, du musst es doch wohl dir sel­ber sa­gen, was ich in die­sem Mo­ment dir sa­gen möch­te! Aber die Frau Ire­ne weiß es auch und hat Eva ge­küsst und – mich auch, wirk­lich und wahr­haf­tig! Wenn du sie gleich­falls fra­gen willst: sie bil­ligt auch un­ser Vor­ha­ben, un­se­re al­ten Tage in Frie­de und Glück und in der al­ten Freund­schaft mit der gan­zen al­ten Hei­mat zu ver­le­ben. Sie hat nicht ge­meint, dass es zu spät sei, – sie, die so­viel mehr als wir alle üb­ri­gen zu­sam­men in der bos­haf­ten, stür­mi­schen Welt er­lebt hat und es also auch wohl am bes­ten ver­ste­hen muss.«

      »Sie hat voll­stän­dig recht, Just! Aber von uns al­len bist auch du nur der ein­zi­ge, der nie et­was zur un­rich­ti­gen Zeit er­le­ben kann, dem al­les recht und rich­tig ge­kom­men ist im Le­ben, Se­gen wie Un­ge­mach. Ja, so gnä­dig wa­ren dir, und dir von uns al­len al­lein, die Göt­ter, als sie dir dei­ne Wie­ge auf den Stein­hof stell­ten und dich nach­her an den Weg setz­ten –«

      »Mit of­fe­nem Mun­de und um Maulaf­fen feil­zu­hal­ten! Ei ja, es wun­dert mich frei­lich heu­te noch, wie viel Aben­teu­er der Mensch er­le­ben kann, ohne dass er et­was dazu tut. Manch­mal ist das gar mein Kum­mer und Ge­wis­sens­biss so­zu­sa­gen; dann füh­le ich es, wie als ob ich eine Stel­le in mir hät­te, wo ich im größ­ten Tu­mult wie ein Stück Holz wer­de, wäh­rend die an­de­ren sich wei­ter ab­ängs­ti­gen.«

      Das stil­le Licht des Mon­des lag über uns und um uns, und der Vet­ter Just sprach, ohne es zu wis­sen, von dem Un­ter­schied zwi­schen den vor­neh­men Na­tu­ren in­ner­halb der Mensch­heit und den ge­wöhn­li­chen. Er drück­te sich eben nur schlecht aus, wenn er da von ei­nem ton- und klang­lo­sen Stück Holz sprach, wo er von der Stel­le in sei­ner See­le hät­te er­zäh­len sol­len, wo­hin kei­ne Wel­le des vor­bei­flie­ßen­den Ta­ges schla­gen konn­te.

      »Ihr wer­det ein schö­nes Le­ben ha­ben, und mich lasst ihr – alle dann und wann an eu­rem Her­de als eu­ren His­to­rio­gra­fen nie­der­sit­zen«, sag­te ich lei­se und tief ge­rührt. »Für Kin­der, wie wir wa­ren, als wir zu dir auf den Stein­hof zu Be­su­che ka­men, wer­det ihr frei­lich nicht er­zäh­len und wer­de ich nicht wie­der­er­zäh­len

      In und an dem Dor­fe Wer­den hat­te sich in den Jah­ren, wäh­rend ich es nicht sah, nichts ver­än­dert. Es dehn­te sich ge­nü­gend weit in die Län­ge aus, dass wir voll­kom­men Zeit hat­ten, wäh­rend wir es durch­wan­der­ten, uns al­les das mit­zu­tei­len, was ich eben hier nie­der­ge­schrie­ben habe. Von den Be­woh­nern stör­te uns auch nie­mand da­bei; sie la­gen sämt­lich im tie­fen Schla­fe. Es saß kei­ner bei der Lam­pe wach – selbst der Pas­tor und der Kan­tor nicht. Der Mon­den­schein hat­te das Reich für sich al­lein, und das war gut; für mich so­wohl wie auch für den Vet­ter Just Ever­stein. Wä­ren wir bei hel­lem Tage und un­ter dem Zu­drän­gen al­ter Be­kannt­schaft durch das alte Nest im Grü­nen ge­wan­delt, so wür­den wir si­cher­lich mehr Mühe und Pla­ge ge­habt ha­ben, mit un­se­ren Ge­füh­len und Stim­mun­gen ins rei­ne ge­gen­ein­an­der zu kom­men. Son­der­ba­rer­wei­se aber dach­te ich in die­ser hel­len, schö­nen Nacht, auf die­ser Wan­de­rung durch das fried­li­che ver­ges­se­ne Hei­mat­dorf, nicht ohne ein Ge­fühl stil­ler Si­cher­heit an die große Stadt Ber­lin, mei­ne klei­ne Stu­be und mei­ne Tä­tig­keit, kurz an das Da­sein, das mir dort zu­teil ge­wor­den war. Es lag ein Ge­fühl von Weh­mut dar­in, aber doch zu­gleich eine in­ner­lichs­te Be­ru­hi­gung: sie, die an­de­ren al­le konn­ten und durf­ten heim­keh­ren in das alte Le­ben, wann sie woll­ten, sie wa­ren da zu Hau­se, ich aber nicht oder doch nie mehr so, wie sie noch zu je­der Zeit sein konn­ten. Re­si­gna­ti­on nennt man das mit ei­nem Fremd­wort, das wir wohl nicht so leicht aus dem deut­schen Sprach­ge­brauch los­wer­den. Die deut­sche Welt darf manch­mal noch so süß in Mon­den­licht und in wei­che Re­dens­ar­ten ge­bet­tet lie­gen: wir wol­len das schar­fe, aber ge­sun­de Wort fest­hal­ten und es uns durch kein an­de­res zu er­set­zen su­chen.

      Am Aus­gan­ge des Dor­fes nah­men der Vet­ter und ich für dies­mal von neu­em Ab­schied von­ein­an­der und trenn­ten uns gott­lob im bes­ten Ein­ver­neh­men. Er schwang sich ein we­nig schwer­fäl­lig auf sei­nen Fuchs und ritt gen Bo­den­wer­der; ich wan­del­te lang­sa­men Schrit­tes und un­ter ei­ni­gem Selbst­ge­spräch nach der Förs­te­rei zu­rück.

      Hier sa­ßen Ewald und Eva wie­der bei der Lam­pe am Ti­sche und hat­ten wohl das Ih­ri­ge ge­spro­chen wäh­rend mei­ner Ab­we­sen­heit. Das gute Mäd­chen moch­te auch wohl wie­der ei­ni­ge Trä­nen ver­gos­sen ha­ben, doch schmerz­haf­te wa­ren es nicht ge­we­sen. Ein we­nig be­fan­gen lä­chelnd sah sie aus ih­ren lie­ben Au­gen zu mir auf; doch ich reich­te ihr schnell die Hand und sag­te:

      »Ich habe dem Vet­ter Just schon Glück ge­wünscht, Eva, nun lass du es auch dir von mir wün­schen. Du weißt es auch schon, Freund Ewald, was für eine neue Freu­de dem Stein­ho­fe von un­se­rem Ge­schick zu­ge­dacht ist?«

      »Ja, sie hat es mir so ru­hig ge­sagt, wie sie uns im­mer al­les ru­hig sag­te. Da­rin hat sich an ihr nicht das min­des­te ge­än­dert. Aber sie pas­sen nur de­sto bes­ser zu­ein­an­der, und die Jah­re, die sie ge­braucht ha­ben, sich zu fin­den, sind ih­nen ja eben­falls nur et­was ganz Selbst­ver­ständ­li­ches ge­we­sen. Nicht wahr, mein Herz, mein Her­zens­mäd­chen, um ein Glück, das aus den Wol­ken fie­le, wür­det ihr eine ge­rau­me Zeit her­um­ge­hen, ehe ihr es vom Bo­den auf­hö­bet. Doch ob ihr nicht dar­um ge­ra­de die Glück­li­chen seid, ge­we­sen seid und sein wer­det, das ist an dem heu­ti­gen Abend für mich eine Fra­ge, die einen sein wüs­tes, wir­res Le­bens­werk noch ein­mal wie im Flu­ge von neu­em tun lässt. Och, ar­rah, ar­rah, kom­me ich noch ein­mal auf die Welt, so tue ich viel­leicht auch mei­ne Ar­beit, ohne auf das Glück zu zäh­len, das aus den Wol­ken fällt! Selbst auf die Ge­fahr hin, dass man in Bo­den­wer­der und Dorf Wer­den samt Um­ge­gend selbst­ver­ständ­lich sa­gen wird: Auf das Glück, das aus den Wol­ken fällt, hat der Sch­lin­gel im­mer ein­zig und al­lein ge­rech­net – ja, da sieht man’s nun!«

      »Mir ist das Herz so voll, dass ich gar nichts zu sa­gen weiß«, flüs­ter­te Eva. »Lie­ber Fried­rich – lie­ber Bru­der Ewald, wir müs­sen alle, alle glück­lich und zu­frie­den sein. Das Schick­sal kann es ja nicht böse mit uns mei­nen, es hät­te uns sonst wohl nicht die­sen Abend ge­schenkt. Wir sind wie­der alle zu Hau­se, und das ist doch die Haupt­sa­che! Mor­gen wol­len wir von dem Schloss Wer­den und von Ire­ne spre­chen – wir ha­ben ja ei­gent­lich noch von nichts ver­nünf­tig ge­re­det. Nimm es nur nicht übel, Fritz: im Grun­de bist du doch der ein­zi­ge von uns ge­we­sen, der alle sei­ne fünf Sin­ne or­dent­lich bei­ein­an­der­hal­ten konn­te!«

      »Und da kräht wirk­lich und wahr­haf­tig der ers­te Wer­de­ner Hahn den Mor­gen an«, sag­te ich, um doch et­was zu er­wi­dern. »Glück­auf in der Hei­mat, Freund Ewald!«

      Ich hat­te ihn durch einen Schlag auf die Schul­ter von neu­em aus sei­nem nach­denk­li­chen Hin­brü­ten zu we­cken.

      »Was hast du ge­sagt?« frag­te er zer­streut.

      »Wir wol­len doch noch den Ver­such ma­chen, vor Son­nen­auf­gang un­ter dem al­ten Hei­mats­da­che einen glück­li­chen Traum zu träu­men.«

      »Ich habe al­les oben


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