Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Nun vor­wärts zu zwei­en, ich habe die Schlüs­sel zu je­der Tür, und hier – sind wir in – den Ge­mä­chern des al­ten Herrn! Puh, was für eine Luft!«

      Wir stan­den in dem Zim­mer des Herrn Gra­fen und war­fen einen Blick in sein Schlaf­ge­mach. Das wa­ren vor­einst ziem­lich un­nah­ba­re, un­be­tret­ba­re Räu­me für uns ge­we­sen, aber wir hat­ten doch als Kna­ben dann und wann hin­ein­ge­guckt; heu­te guck­te mir der jet­zi­ge Herr des Schlos­ses scheu über die Schul­ter, und wir fühl­ten uns bei­de nicht si­che­rer in un­se­rem Für­witz als vor Jah­ren.

      »Wir hät­ten je­den­falls bes­ser ge­tan, zu­erst in den obe­ren Stock hin­auf­zu­stei­gen, Ewald. Dort ha­ben wir we­nigs­tens die Son­ne der Ge­gen­wart für uns und nicht die­se un­heim­li­chen La­den vor den Fens­tern!« flüs­ter­te ich.

      »Nicht wahr, es spukt? Es geht um?«

      »Ja, es geht um! Die Wit­we War­ne­ke hat­te recht.«

      Die kah­len Räu­me, die Däm­me­rung, der Staub und der Schim­mel spra­chen zu deut­lich, als dass ein tröst­li­che­res Wort mir mög­lich ge­we­sen wäre. Es war kein Wun­der, wenn die Leu­te aus dem Dor­fe dann und wann den letz­ten Gra­fen Ever­stein im Zwie­licht oder in der Mit­ter­nacht um sein ver­lo­re­nes, ver­wil­der­tes Schloss wan­dern sa­hen. Dass sei­ne Toch­ter auf dem Stein­ho­fe bei dem Vet­ter Just eine Un­ter­kunft in ih­rer Not ge­fun­den hat­te, mach­te den Spuk nur noch glaub­wür­di­ger; aber – es war in der Tat so: das war auch mir in die­sem Au­gen­bli­cke das Ge­s­pens­tischs­te, dass der le­ben­di­ge, star­ke, tap­fe­re Freund die­se Mau­ern wie­der be­le­ben, die­se Räu­me wie­der zu ei­nem Sitz der Ruhe und des Glückes für das letz­te Kind des Hau­ses zu ma­chen sich vor­ge­nom­men hat­te.

      Wo war das Gerä­te, das dazu ge­hör­te? Das hat­te er nicht mit­brin­gen kön­nen aus Ir­land. Ver­s­to­ben in alle vier Win­de war’s wäh­rend sei­ner Ab­we­sen­heit im Le­bens­kamp­fe. Neu konn­te er das Schloss Wer­den bau­en; aber das alte wie­der auf­zu­rich­ten, das war un­mög­lich, und der Vet­ter Just auf sei­nem Stein­ho­fe war kein Bei­spiel da­für, dass es doch wohl an­gin­ge. Der hat­te et­was Le­ben­di­ges wie­der­ge­fun­den, als er von sei­nen Welt­fahr­ten nach Hau­se und auf den Stein­hof zu­rück­kehr­te; aber Schloss Wer­den war tot! Die Flie­sen und das Ge­tä­fel un­ter den Fü­ßen, die zer­brö­ckeln­den Pla­fonds über un­se­ren Köp­fen, alle Mau­ern rund­um er­zähl­ten da­von, wie man von und in ei­nem Mär­chen er­zählt: Es war ein­mal!

      Ohne noch wei­ter mit­ein­an­der zu re­den, stie­gen wir jetzt die brei­te stei­ner­ne Trep­pe mit dem statt­li­chen Ge­län­der aus künst­lich ge­schnitz­tem Ei­chen­holz em­por zu dem obe­ren Stock­werk des Hau­ses. Die Däm­me­rung, die Dun­kel­heit, den feuch­ten Mo­der lie­ßen wir zwar hin­ter uns, das Licht, die Son­ne fan­den wir hier in den Ge­mä­chern; aber ge­irrt hat­ten wir uns doch, wenn wir ge­glaubt hat­ten, dass das uns zu ei­nem leich­teren Atem­ho­len ver­hel­fen kön­ne.

      Sie kann sehr grau­sam sein, die Son­ne, viel grau­sa­mer als die Nacht! Und dass sie lacht, ist nur all­zu häu­fig nicht das Lie­bens­wür­digs­te an ihr. Dass Hoff­nun­gen ge­täuscht, Täu­schun­gen zu­nich­te ge­macht wer­den, dass die Ver­gäng­lich­keit al­les Ir­di­schen dem Men­schen klar­ge­macht wer­den muss, ist zwar eine recht löb­li­che und ver­nunft­ge­mä­ße Auf­ga­be; aber ist es denn un­be­dingt not­wen­dig, dass da­bei ge­lacht wird?

      Die Däm­me­rung, die Nacht tun das auch nicht; aber die Son­ne tut es, und dem ar­men, hilflo­sen Erd­be­woh­ner kommt es viel­leicht nicht ohne Grund dann und wann in den Sinn, dass sie sich doch wohl auch ein­mal zu sehr in ih­rem Rech­te sei­nen Schmer­zen, Hoff­nun­gen und Täu­schun­gen ge­gen­über füh­len kön­ne.

      Wenn die Son­ne, der hel­le Tag sagt: Es war ein­mal! so ist das ein ganz an­der Ding, als wenn die Nacht, die gute alte Mut­ter, mit ton­lo­ser, aber doch mit­lei­di­ger Stim­me das me­lan­cho­li­sche Wort aus­spricht. Sie, die Nacht, stemmt nie die Arme in die Sei­te und kreischt und kräht und will’s nie von al­len Ecken und En­den her hö­ren, dass sie recht hat; aber der Tag tut das und will das nur zu gern. Ach, und der Mensch könn­te recht häu­fig et­was Bes­se­res tun, als sich dar­auf zu be­ru­fen und von ei­nem Rech­te zu spre­chen, das so klar sei wie der hel­le Tag!

      In dem Erd­ge­schoss von Schloss Wer­den hat­ten die un­be­ru­fe­nen Gäs­te und Be­su­cher aus der Um­ge­gend hier und da auch wohl eine Fens­ter­schei­be und ei­ni­ge Male hin­ter den Lä­den auch einen gan­zen Fens­ter­flü­gel des Mit­neh­mens wert ge­hal­ten, und so ver­moch­te doch noch im­mer ein fri­sche­rer Hauch von au­ßen in die ver­rie­gel­ten, ver­schlos­se­nen Räu­me zu drin­gen: in dem Ober­stock fan­den wir nicht nur alle Tü­ren ver­schlos­sen und un­er­bro­chen, son­dern auch alle Schei­ben ganz. Das Licht teil­te sich da mit dem Stau­be al­lein in die Herr­schaft. Der Staub wir­bel­te uns un­ter den Fü­ßen auf; die Luft wur­de durch un­ser Ein­drin­gen seit Jah­ren zum ers­ten Mal wie­der be­wegt, und die Son­ne, die durch die schmut­zi­gen, trü­ben, mit Spinn­web ver­häng­ten ho­hen Bo­gen­fens­ter drang, kreisch­te auch hier und lach­te gell: Macht euch kei­ne Il­lu­sio­nen! – Und hier – hier war das Reich der Frau­en des Hau­ses Wer­den ge­we­sen, und hier war das Kind auf­ge­wach­sen, das jetzt als kum­mer­vol­le Frau, für wel­che der tap­fe­re Mann an mei­ner Sei­te das Alte neu ma­chen woll­te, auf dem Stein­ho­fe saß!… Ach, für wie ehr­lich hiel­ten wir die Son­ne, als wir sel­ber in un­se­rer Kind­heit und Ju­gend in die­sen Räu­men lach­ten oder un­ser jun­ges Le­ben zu­wei­len so drol­lig ernst­haft nah­men!

      »Ich hät­te schon im vo­ri­gen Win­ter den Han­del ab­schlie­ßen und nach Hau­se kom­men kön­nen«, seufz­te der Freund. »Fritz, ich woll­te, ich hät­te es ge­tan. Wie ein Mai­kä­fer habe ich aber in mei­ner Dumm­heit ge­zählt, eh ich auf­flog. Uh, wenn der Mensch nur nicht im­mer­fort eben­so schlau sein woll­te, als er dumm ist! Lan­greu­ter, ich habe mich noch nie nach Land­re­gen, Schnee­ge­stö­ber und dem er­bärm­lichs­ten Hun­de­wet­ter so sehr ge­sehnt als an die­sem ver­ruch­ten, nichts­wür­di­gen Son­nen­ta­ge. Üb­ri­gens wol­len wir we­nigs­tens doch die Fens­ter auf­ma­chen oder ein­sto­ßen – schon dei­net­we­gen, ar­mer Kerl. Was mich an­be­trifft, so kommt es ja­wohl auf ein biss­chen mehr oder we­ni­ger Er­sti­ckungs­ge­fühl wei­ter nicht an! Ich habe mein frei At­men schon drü­ben jen­seits des Kanals dis­kon­tiert; – geh du wie­der vor­an, Fritz, – dies hier war ihr Mäd­chen­stüb­chen, und ich habe mir – drü­ben in Ir­land ein­ge­bil­det – dass sie und es und ich und wir alle ge­blie­ben wä­ren, was wir wa­ren!«

      Elftes Kapitel

      Einst hat­te sich die Tür laut­los in ih­ren An­geln ge­dreht, jetzt gab sie nur mit Wi­der­stre­ben und mit ei­nem schril­len, är­ger­li­chen Ton nach. Mit an­ge­stemm­tem Knie hat­te ich nach­zu­hel­fen und dach­te da­bei dar­an, wie es ge­we­sen war, wenn sich die Mäd­chen hier in ih­rem ge­heims­ten Nes­te ver­rie­gelt hat­ten und wir ge­gen ih­ren Mut­wil­len, ihr La­chen und Ki­chern mo­men­tan nichts wei­ter auf­zu­bie­ten ver­moch­ten als durch das Schlüs­sel­loch das alte tröst­li­che Wort:

      »Na, war­tet nur! Mor­gen ist auch noch ein Tag, ihr Mam­sel­len, und ihr sollt euch ganz ge­hö­rig wun­dern, wenn das La­chen wie­der an uns ist! Wer zu­letzt lacht, lacht am bes­ten.«

      Nun blick­ten wir aus dem Vor­ge­mach in die ge­öff­ne­te Tür –

      »Da


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