Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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wohl arg ge­sün­digt; aber das war wohl vor hun­dert Jah­ren –«

      »Nicht ganz so lan­ge ist es her!« mein­te der Vet­ter Just; doch Ire­ne Ever­stein, sei­nen Arm neh­mend, rief:

      »Für dich und – dei­ne Braut wahr­haf­tig nicht, aber für uns an­de­re. Sieh nur den Fritz Lan­greu­ter an, wie er mir recht gibt und was für ein ver­run­zelt, ernst­haft, ur­vä­ter­lich Ge­sicht er zu sei­nem Seuf­zer macht. Ge­wiss und wahr­haf­tig, ihr al­lein seid jung ge­blie­ben, Just und Eva; – krei­schend la­chen und jauch­zen wie wir konn­tet ihr nie; nun dürft ihr heu­te lä­cheln, und wir dür­fen das jetzt so we­nig für eine Be­lei­di­gung neh­men als ihr da­mals un­ser La­chen. Nun komm aber, Just, wir wol­len dem Ber­li­ner Dok­tor hier end­lich ein­mal wie­der den Stein­hof zei­gen; es ist doch hun­dert Jah­re her – mehr als hun­dert Jah­re, seit er durch sein gast­freund­lich-freu­di­ges Tor ein­ging. Wie oft er das frei­lich im Schla­fen und Wa­chen im Traum tat, kann ich nicht wis­sen.«

      Ja, da lag der alte Hof, der ech­te, rech­te Bau­ern­sitz, die deut­sche Heim­stät­te des ge­lehr­ten Bau­ern Just Ever­stein vom Stein­ho­fe im volls­ten Glan­ze der Som­mer­son­ne, das heißt, so­viel au­gen­blick­lich, nach­dem wir den alt­be­kann­ten Weg bis zu dem alt­be­kann­ten Zau­ne zu­rück­ge­legt hat­ten, von ihm zu se­hen war. Es war die Zeit der Heu­ern­te, und bis ans Dach, schier bis hin­auf an das Fens­ter der Gie­bel­stu­be des Vet­ters la­gen die duf­ten­den Hau­fen auf­ge­türmt, und der Zu­fuhr von al­len Sei­ten schi­en kein Ende zu sein.

      »Auf un­se­rem stei­ni­gen Acker­lan­de bau­en wir wie sonst, was dar­auf pas­sen will«, seufz­te der ge­lehr­te Bau­er, um so­dann be­hag­lich hin­zu­zu­fü­gen: »Ja, da ist der Stein­hof wie­der, Fritz Lan­greu­ter, und ich glau­be, ich habe nun­mehr wirk­lich dar­aus ge­macht, was zu ma­chen war. Man will sich eben im­mer von sei­nen liebs­ten Freun­den am liebs­ten lo­ben las­sen, sei es we­gen sei­nes La­teins, sei­ner Ma­the­ma­tik oder sei­ner Land­wirt­schaft. Also lobe mich nur dreist her­aus. Mit mei­ner Vor­fah­ren Acker­bo­den habe ich auch mit al­len mei­nen ame­ri­ka­ni­schen Er­fah­run­gen we­nig an­zu­fan­gen ge­wusst; aber an eine ra­tio­nel­le Aus­nut­zung un­se­res Wie­sen­lan­des hat­te vor mir kei­ner ge­dacht; ich aber habe man­chen gu­ten Mor­gen zu­ge­kauft, und es trägt sich aus.«

      Lä­chelnd stieß er mich in die Sei­te:

      »Du weißt es ja­wohl, dass ich im­mer eine Vor­lie­be für das grü­ne Gras und das wei­che Heu ge­habt habe, näm­lich für das Lang­hin-drein-sich-Le­gen. So kommt man denn stets zu sei­nen Lieb­lings­nei­gun­gen zu­rück; – la­che nur, Horaz hat’s: Na­tu­ram ex­pel­las fur­ca und so wei­ter, so viel La­tein weiß ich noch! Das war ein Satz bei Rö­mern und Grie­chen und ist es auch bei uns Neu­en ge­blie­ben. Klettre über, wüh­le dich durch; – die Haus­tür fin­dest du hin­ter dem Hau­fen an der al­ten Stel­le, und – hör nur – da sind sie in ge­wohn­ter Wei­se scharf in der Un­ter­hal­tung – ge­gen­ein­an­der. Taub sind sie alle bei­de ein biss­chen, und zu sa­gen ha­ben sie sich na­tür­lich im­mer was – Jule Gro­te und Mam­sell Mar­tin mei­ne ich! Na, auf das Ge­sicht freue ich mich, was mei­ne Alte über dich ma­chen wird. Weißt du noch, für das lie­be Fritz­chen drü­ben von Wer­den hielt sie im­mer eine Ex­tra­par­tie von Pfef­fer, Salz und Es­sig in ih­rer Na­tur be­reit; denn dar­auf ließ sie sich je­den Tag tot­schla­gen: wenn ein Mensch und nichts­nut­zi­ger stu­dier­ter Tau­ge­nichts von Jun­gen den dum­men Jun­gen, ih­ren Just, auf dem Ge­wis­sen hat­te, so warst – du das.«

      »Ist das wahr, Ire­ne?« frag­te ich, mich zu­rück­wen­dend, doch die Freun­din war uns im Rücken ab­han­den ge­kom­men, ohne dass ich es ge­merkt hat­te.

      »Das ist jetzt ihre Art so«, sag­te der Vet­ter Just, »sie wird sich schon wie­der­fin­den las­sen. Hät­test du es wohl für mög­lich ge­hal­ten, dass die Gute, Wil­de so lärm- und men­schen­scheu hät­te wer­den kön­nen? Aber sie hat­te ver­wein­te Au­gen! Ihr habt wohl schon die paar Au­gen­bli­cke der Un­ter­hal­tung am Wege nach Mög­lich­keit aus­ge­nutzt? Das ist recht, denn im Grun­de habe ich dich dazu her­ge­ru­fen; aber nun komm fürs ers­te ins Haus und sieh zu, ob du die alte Her­ber­ge am Wege noch wie­der­er­kennst. Glau­be nicht, dass mir das et­was Na­tür­li­ches und Selbst­ver­ständ­li­ches ist. Ei­nen um den an­de­ren Mor­gen wa­che ich auf und wun­de­re mich, mich so wie­der zu Hau­se zu fin­den. Na­tur­ge­schicht­lich be­steht es ganz und gar nicht zu recht, dass je­der Vo­gel wie­der in das­sel­be Nest fällt, in wel­chem er flüg­ge ge­wor­den ist, son­dern ganz im Ge­gen­teil.«

      »O Vet­ter, da sprichst du ein trost­rei­ches Wort aus!« rief ich. »Und das bes­te für uns an­de­re ist, dass du, du das sagst! Was küm­mert uns denn da noch Schloss Wer­den? Wie sehr es da spukt, das glaub­te ich ges­tern er­fah­ren zu ha­ben, als man mich bat, als Ge­lehr­ter mit dem Ge­s­penst zu re­den; aber in Wahr­heit er­fah­re ich es erst jetzt. Mit Geis­tern soll sich der Mensch her­um­schla­gen, aber die Ge­s­pens­ter mag er sich sel­ber über­las­sen. Was geht uns Schloss Wer­den an; denn wie wür­den wir an jeg­li­chem Mor­gen er­wa­chen und uns wun­dern, uns da­selbst wie­der zu Hau­se zu fin­den?!«

      »Ire­ne auch, und das ist das al­ler­bes­te!« sprach der Vet­ter Just, und wir stie­gen durch das Heu, die durch die Som­mer­son­ne in Wohl­duft und Nut­zen ver­wan­del­te Wie­sen­schön­heit des Jah­res. Noch ein­mal dach­te ich an den gest­ri­gen Weg über den ver­wil­der­ten, ver­wüs­te­ten Schloss­hof zu der Tür von Schloss Wer­den, dann aber nicht mehr; der Stein­hof nahm mich ganz ge­fan­gen.

      »Mit Fräu­lein Mar­tin bist du ja erst neu­lich zu­sam­men­ge­trof­fen, und ihr kennt euch also noch; aber mit dir ist es et­was an­de­res, Jule. Komm her, Alte, und be­trach­te dir den Gast ge­nau­er. Wer ist das? Wer kann es sein?«

      Die Grei­sin hielt die Hand über die blö­den Au­gen; doch schon platz­te der Vet­ter her­aus:

      »Das Fritz­chen ist’s! Der klei­ne Fritz Lan­greu­ter von Wer­den! Wer könn­te es denn sonst an­ders sein?«

      »I du mei­ne Güte!« schrill­te der ver­run­zel­te, grau­gel­be, weiß­haa­ri­ge Schutz­geist des Stein­ho­fes, und mit dem Ton wach­te auch der Rest von dem auf, was an Ju­gen­derin­ne­run­gen auf die­ser Erd­stel­le bis jetzt für mich noch im Schla­fe ge­le­gen hat­te. Was wa­ren alle Heim­chen an dem son­ni­gen Feld­we­ge von Bo­den­wer­der her­auf ge­gen die­se aus der Ver­gan­gen­heit her­vor­zir­pen­de Alt­wei­ber­stim­me? Aus al­len Win­keln und Ecken nicht nur des Haus­flurs, son­dern des gan­zen Hau­ses hall­te es wi­der bis auf das Klat­schen der Ohr­fei­ge, wie sie Freund Ewald Six­tus in Empfang nahm, wenn er mit dem ge­sam­ten Eier­se­gen aus den Hüh­ner­stäl­len des Stein­ho­fes in den Ta­schen sich harm­los, aber dreist auf den Heim­weg mach­te und noch un­ter der Pfor­te von der Hü­te­rin des um­frie­de­ten Be­zir­kes er­tappt wur­de. Wer je einen er­hitz­ten Ge­mü­tes ab­ge­zo­ge­nen Holz­pan­tof­fel ge­gen eine ver­rie­gel­te Tür po­chen hör­te, dem lebt der Hall auch wie­der auf, wenn er die Klop­fe­rin nach Jah­ren wie­der­erblickt und die näm­li­che Fuß­be­klei­dung griff­ge­recht an ih­ren Fü­ßen. »Es hilft uns nichts, Frit­ze, sie trom­melt uns her­aus«, pfleg­te der Vet­ter Just in der Gie­bel­stu­be zu sa­gen. – Ja, da stand sie, Gott sei Dank, noch in ih­ren Schu­hen, und nun schlug sie die Hän­de vor dem Lei­be zu­sam­men, dass es gleich­falls den al­ten tro­ckenen, knö­cher­nen Hall gab, und seufz­te herz­zer­bre­chend, aber doch, wie es mir schi­en, mit ei­nem ge­wis­sen Be­ha­gen:

      »Ach,


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