Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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La­chen und Jauch­zen drang zu uns her; und – es war ge­blie­ben, wie es schon da­mals war: nur der Vet­ter Just ach­te­te dar­auf in sich sel­ber nach der rich­ti­gen Wei­se, wie ihm und der Welt ums Herz war.

      »Ver­lass dich drauf, Fritz, sie will zu ihm, und weil sie Angst hat, dass es zu spät sei, schiebt sie die Schuld auf die Rui­nen, die zwi­schen ihm und ihr lie­gen. Auf das alte bra­ve Nest, Schloss Wer­den, gebe ich da­bei gar nichts; aber ih­r kommt es zu­pass. Sie möch­te es in ih­rer heu­ti­gen Rat­lo­sig­keit um al­les in der Welt nicht an­ders ha­ben, als wie es jetzt da­liegt. Das kommt ihr ge­ra­de recht! Das ist der Na­gel, an dem sie ih­ren Wei­ber­stolz am be­quems­ten auf­hän­gen kann, um ihn zu – scho­nen! Und Kin­der sind sie alle bei­de, so­weit sie in den Jah­ren vor­an­ge­kom­men sein mö­gen. Wie sie heu­te in sich hin­ein­gra­ben, ist ih­nen kei­nes der gol­de­nen Sch­lös­ser, die sie (und du auch, Fritz Lan­greu­ter!) in die be­rühm­ten ita­lie­ni­schen Nuss­bü­sche in Wer­den hin­gen, so lieb wie der Zorn und die ver­hal­te­ne Reue von heu­te. Du willst wis­sen, was sie dir ges­tern ge­sagt hat?… Hat sie dir nicht in ei­nem Atem von ih­rem Al­ter, ih­rer Ar­mut und ih­rem Stol­ze ge­spro­chen? Sie, wel­che die Jüngs­te von uns al­len ist und so­viel zu ver­schen­ken hat und al­les so gern her­gä­be, wenn nur das Schick­sal sie wie ein ver­wein­tes Kind an der Hand neh­men und füh­ren woll­te. – Hat sie nicht ge­sagt, dass sie al­les be­greift und wür­digt, was ihr Freund nur in dem Ge­dan­ken an sie er­ar­bei­tet und ge­tan hat? Dass sie mit klop­fen­dem Her­zen ihm da­für dank­bar ist, hat sie wohl nicht ge­stan­den – das um­schrei­ben die Wei­ber im­mer am liebs­ten oder drücken es an­ders aus, zum Exem­pel durchs Ge­gen­teil, und das letz­te­re hat auch sie ge­tan. Näm­lich, dass sie um kei­nen Preis der Welt sich durch ihn de­mü­ti­gen las­sen kön­ne, hat sie ge­sagt. – Wenn es nicht scha­de wäre um je­den Tag, den sie un­nüt­zer­wei­se da­durch ver­lie­ren, so könn­te man wirk­lich ein­fach dar­über la­chen… und sich är­gern! Sag mal, Fritz, glaubst du nicht auch, dass der Är­ger die ein­zi­ge wirk­lich kon­ser­vie­ren­de Zutat in un­se­rem ir­di­schen Zu­stand ist? Ich habe dar­über nach­ge­dacht; im höchs­ten Schmerz, im edels­ten Zorn und Kum­mer schmeckt man ihn durch. Er ist, wie das Salz, das Ge­mei­ne oder All­ge­mei­ne, aber doch das, was un­ter al­len Um­stän­den dazu ge­hört. Schick­sal kann man nicht spie­len; ohne Är­ger kommt man nicht aus – in sei­nen Ein­bil­dun­gen lebt man – war­ten, war­ten muss man – heu­te wie mor­gen – auf das, was mit ei­nem ge­schieht: in das Glück kann sich kein Mensch un­ter­wegs ret­ten, so fal­len die Bes­ten und Edels­ten in die Ent­sa­gung, um nicht dem Ver­druss zu ver­fal­len, und das ist der Fall heu­te mit Ewald und Ire­ne. Wenn aber ei­ner von uns zwei­en hier am Tisch sagt: ›Es schmerzt mich!‹, so könn­te er dreist eben­so gut sa­gen: ›Är­gert mich nicht!‹ – Und jetzt sie­ge­le ru­hig dei­nen Brief zu, du hast es wirk­lich sehr hübsch aus­ge­drückt, wie dir zu­mu­te war, als du nach län­ge­rer Ab­we­sen­heit zum ers­ten Mal wie­der den Stein­hof be­such­test.«

      »Just!« klang es vom Hofe her in un­ser of­fe­nes Fens­ter.

      »Hier sitzt er, Jule! Was soll er?«

      Ne­ben dem Brun­nen stand die Alte in der Son­ne, blinz­te un­ter über­ge­hal­te­ner Hand vor zu uns em­por und brumm­te:

      »Ja­wohl sitzt er da! Als ob ich das nicht wüss­te! So­wie der – an­de­re wie­der im Lan­de ist, geht rich­tig das alte Elend au­gen­blicks wie­der von fri­schem an; – na, ich weiß schon, Herr Lan­greu­ter, und will auch nichts De­spek­tier­li­ches ge­sagt ha­ben. Aber, Just, im Läm­mer­kam­pe weiß kein Mensch mehr, wo er mit sich hin soll, und so ha­ben sie sich lie­ber al­le­samt un­ter die Bäu­me ge­legt und war­ten, dass der Meis­ter kommt und nach ih­nen sieht. Und mit der Stein­fuh­re für den neu­en Schwei­ne­ko­ben sind sie am Til­len­brin­ke ver­mal­hört. Da liegt die gan­ze Pros­te­mahl­zeit, Schiff und Ge­schirr im Gra­ben, wie der Jun­ge sagt, und bis jetzt ha­ben sie nur die Pfer­de aus­ge­spannt und sit­zen und be­se­hen sich die An­ge­le­gen­heit, sagt der Jun­ge. Nach dem Herrn Dok­tor aus Ber­lin aber sucht sich Mam­sell Mar­tin schon stun­den­lang die Au­gen aus dem Kop­fe; mir fla­ckert das Feu­er in der Kü­che un­ter den Hän­den weg und brennt mir auf den Nä­geln; und so geht denn al­les wie ge­wöhn­lich ja recht hübsch kopf­un­ter kopf­über.«

      »Da hast du es, Fritz!« mein­te der Vet­ter ein we­nig kläg­lich lä­chelnd. »Der Mensch mag sich noch so sehr ab­ar­bei­ten, um ein an­de­rer zu wer­den, das Durchein­an­der um ihn her bleibt im­mer das­sel­be, und alle Er­fah­rung und der bes­te Wil­le rich­tet we­nig da­bei aus. Wie viel Zeit von sei­nem ei­ge­nen Tage be­hält man üb­rig für die Be­dräng­nis­se der an­de­ren? Jetzt geh du nur hin und er­hal­te der treu­en See­le, der Mam­sell Mar­tin, ihre gu­ten ängst­li­chen Au­gen, mich ruft das Schick­sal zu­erst nach dem Til­len­brink und dann nach dem Läm­mer­kamp. Das ist ganz rich­tig, weg läuft mir nie­mand dort. Sie lie­gen al­le­samt ganz be­hag­lich und war­ten, bis ich kom­me.«

      »Und durch die Abend­küh­le rei­test du nach Wer­den. Das ist dein Trost, und zwar ein recht be­hag­li­cher.«

      »Ja!« sag­te der Vet­ter Just lei­se und in­nig und fass­te mei­ne Hand. »Es ist so. Und wenn mir manch­mal in al­lem Be­ha­gen et­was me­lan­cho­lisch zu­mu­te wird, dass ich in mei­nem und mei­ner Eva Glück doch ei­gent­lich nur auf die be­gin­nen­de Däm­me­rung und Küh­le des Abends an­ge­wie­sen wor­den bin, so trös­te ich mich: Wir blei­ben eben län­ger jün­ger als die an­de­ren!… Und nun, al­ter Freund, hän­ge noch ein Post­skript und gu­ten Rat über das Jung­blei­ben an dei­nen Brief. Ich tra­ge ihn dann noch ein­mal so gern hin­über heu­te am Abend. Wenn nach­her wie­der die Rede auf Schloss Wer­den kommt, weiß man dann doch et­was ge­nau­er, was man sa­gen kann. Dass es mir im­mer lieb ge­we­sen ist, wenn ein Wort das an­de­re gab, das weißt du ja.«

      Ich sah ihm von dem Fens­ter der Gie­bel­stu­be aus nach, wie er über den Hof stieg. Vom Tor aus wink­te er mir noch ein­mal zu, und ich sah ihm nach auf dem Wege nach dem Til­len­brink und seufz­te:

      »Der hat wohl gut re­den von sei­ner Ju­gend! Sind es bloß die großen Künst­ler mit Stift, Fe­der und Mei­ßel, die die Welt fest­hal­ten, wäh­rend sie al­len üb­ri­gen ent­glei­tet? Ich mei­ne, solch ein Le­bens­künst­ler, solch ein Mann des Le­bens wie der da, hat auch einen gu­ten Griff. Was er fasst, lässt er so leicht nicht los, und was er wei­ter­gibt, das reicht er weit in die Zei­ten hin­ein. Welch ein Kunst­werk hat die­ser Mann aus sei­nem Le­ben ge­macht – treu­her­zig! Und ist nicht Treu­her­zig­keit das ers­te und letz­te Zei­chen ei­nes wah­ren Kunst­werks? Was ha­ben wir ihm al­les auf­ge­bun­den, wenn wir aus un­se­ren Nes­tern im Grün zu ihm ka­men. Und er glaub­te al­les! O, welch ein wei­ser Mensch steck­te in je­nem Jun­gen, der da am Wege über dem al­ten Bro­eder saß und Glau­ben hat­te und sich wie von Schloss Wer­den so von Bo­den­wer­der zum bes­ten hal­ten ließ und ge­las­sen auf mensch­li­che Schick­sa­le war­te­te. Aber Glück hat er auch ge­habt, und – das ist und bleibt gleich­falls in alle Zeit hin­ein der Trost und die Ent­schul­di­gung de­rer, die wie die Flie­gen und der ge­gen­wär­ti­ge Dok­tor der Phi­lo­so­phie Fried­rich Lan­greu­ter aus Ber­lin an der ge­schlos­se­nen Fens­ter­schei­be krie­chen.«

      Es fand sich in dem mit Flie­gen, Staub und Schim­mel mehr als ge­bühr­lich ge­füll­ten Din­ten­fas­se des Vet­ters Just auch der schwar­ze Trop­fen noch, mit dem ich das an­ge­ra­te­ne Post­skrip­tum an mei­nen Brief an den Freund in Wer­den hän­gen konn­te. Ich tat’s, fal­te­te das Blatt und ließ es un­ge­sie­gelt; – Ge­heim­nis­se mei­ner­seits


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