Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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ab­le­gen konn­te. Er war klug, ohne es zu wis­sen, und so ging er um Schloss Wer­den her­um; er war fest über­zeugt, sich zu fürch­ten, und auf dem Stein­ho­fe wur­de man so­fort sehr böse und fing an zu wei­nen, wenn ir­gend­je­mand nur im min­des­ten an sei­ne Herz­haf­tig­keit rühr­te und den lei­ses­ten Zwei­fel darob kund­gab.

      Lose hän­gen alle Krän­ze und Ge­wins­te in die­ser Welt über den Häup­tern der Men­schen; auf wohl­be­däch­tig ge­zim­mer­ten Lei­tern aber steigt man nicht zu ih­nen em­por, und die, wel­che die schöns­ten Krän­ze tra­gen, rüh­men nie ihre ei­ge­ne Kunst­fer­tig­keit und Aus­dau­er des­we­gen. Im Ge­winn er­ken­nen sie erst recht, wel­cher lin­de Hauch, wel­che aura co­eles­tis ih­nen das Glück oder die Er­fül­lung ih­res Wun­sches oder das große wirk­li­che Kunst­werk zu­warf.

      Et­was spät fie­len die gol­de­nen Äp­fel in die­sem Fal­le, aber sie fie­len doch noch; und aber­mals er­wies es sich, dass wir in ei­ner Welt un­ser Da­sein füh­ren, in der es eben­so­wohl der Hauch des To­des wie der des Le­bens sein kann, der die Zwei­ge be­wegt und schüt­telt.

      Erst am Mit­ta­ge, nach­dem der Vet­ter sei­ne Stein­fuh­re am Til­len­brink wie­der auf­ge­rich­tet und im Läm­mer­kam­pe un­ter sei­nem Ar­beits­volk Ord­nung ge­stif­tet hat­te, be­kam ich Ire­ne von neu­em zu Ge­sich­te. Dies wird noch ein­mal ein Ka­pi­tel der Wie­der­ho­lung; ich aber kann wahr­haf­tig auch dies­mal nichts da­für.

      Wie­der die alte gute Bau­ern­stu­be des Stein­ho­fes! Wie­der der lan­ge nahr­haf­te Tisch von dem einen Ende der­sel­ben bis zum an­de­ren; und wir al­le­samt dar­an vor den Tel­lern und Schüs­seln: der Meis­ter, die Knech­te, die Mäg­de und die Gäs­te!

      Und wie­der wur­de der Vet­ter her­aus­ge­ru­fen, ging mit dem gu­ten be­hag­li­chen Lä­cheln auf dem schweiß­glän­zen­den Ge­sicht und kam nach ei­ner ziem­li­chen Wei­le sehr er­regt wie­der her­ein. Still setz­te er sich von neu­em hin, nahm auch den Löf­fel wie­der zur Hand, aber leg­te ihn doch aber­mals nie­der.

      Da je­der­mann ihn dar­auf an­sah, sag­te er zu den Leu­ten:

      »Esst wei­ter, Kin­der.«

      »Was ist das denn, Just?« frag­te Jung­fer Jule Gro­te angst­haft. »Es war ein Bote von drü­ben. Um Gott und Jesu wil­len: es geht doch wohl nicht wie­der­um den Stein­hof an?«

      »Nach­her, lie­be Alte!… Den Stein­hof geht es frei­lich wohl an; aber es lässt ihn dies­mal doch auf­recht ste­hen.«

      Da dem Vet­ter Just der Hun­ger gänz­lich ver­gan­gen zu sein schi­en, so ver­ging er auch sei­nen Gäs­ten so ziem­lich. Doch erst, nach­dem das Hof­ge­sin­de in Ruhe ab­ge­ges­sen und die Stu­be ver­las­sen hat­te, teil­te uns Just Ever­stein mit, was ihm und uns das Schick­sal durch den ei­li­gen Bo­ten von »drü­ben« hat­te wis­sen las­sen.

      »Hat­test recht, Jule; es war ein Bote aus Wer­den, und er hat­te es sehr ei­lig. Die Leu­te ging es aber nichts an, son­dern nur mich und – euch. Sie ha­ben heu­te noch einen hei­ßen Ar­beits­tag vor sich, und so schick­te es sich nicht, so­gleich da­mit her­aus­zu­fah­ren. Für mich – für uns ist es wie­der ein­mal ein schwe­rer Tag ge­wor­den. O, es ist scha­de, scha­de! Ich hat­te noch für so lan­ge, lan­ge auf ihn mit­ge­rech­net zu mei­nem – zu un­se­rem Glück!«

      Bleich und be­bend hat­te Ire­ne sich er­ho­ben.

      »Welch Un­glück ist wie­der ge­sche­hen?… Ewald! Ewald!« rief sie; und der Vet­ter nahm sanft ihre Hand von sei­ner Schul­ter:

      »Nein, Lie­be!… Es denkt je­der nur im­mer an das Sei­ni­ge!… Ewald und Eva ha­ben ge­schickt – es ist nur der alte Herr, der Ab­schied neh­men will. Ach, ich den­ke auch nur an mich! Es ist scha­de, scha­de – zu sei­nem und Evas und zu mei­nem Glück und Be­ha­gen hat­te ich noch so lan­ge, lan­ge auf ihn mit­ge­zählt! Da ist der Zet­tel, wel­chen der Bote ge­bracht hat.«

      Das von Ewald flüch­tig ge­krit­zel­te, von dem Vet­ter im ers­ten Schreck und der zu­sam­men­ge­hal­te­nen Auf­re­gung arg zu­sam­men­ge­knit­ter­te Blatt ging von Hand zu Hand. Es lau­te­te:

      »Den Va­ter hat heu­te Mor­gen, wäh­rend er sei­ne Holz­fäl­ler be­auf­sich­tig­te, ein Un­fall be­trof­fen. Ein Ast ei­nes stür­zen­den Bau­mes hat ihn im Rücken be­schä­digt und von den Hüf­ten ab­wärts ge­lähmt. Er ist bei vol­ler Be­sin­nung und nur zor­nig auf sich sel­ber. Von mir kann lei­der nicht die Rede sein. Der Alte sagt nur: ›Dass ich so dumm auch ge­ra­de wäh­rend dei­nes Be­suchs sein muss­te, das är­gert mich noch am meis­ten!‹ – Jetzt erst weiß ich es, wie fremd ich zu Hau­se ge­wor­den bin. Eva hat dich nö­tig, Just; also komm zu ihr. Dem al­ten Herrn wirst du gleich­falls zum bes­ten Trost ge­rei­chen.«

      Ire­ne hielt jetzt den zer­knit­ter­ten Zet­tel; Jule Gro­te wieg­te den Ober­kör­per hin und her und stöhn­te: »O Je! O du mein Je; nun geht auch der weg!« Ma­de­moi­sel­le sah, über den Tisch vor­ge­beugt, mit an­ge­hal­te­nem Atem auf ihre Her­rin, Schü­le­rin und Schutz­be­foh­le­ne; der Vet­ter blick­te zu mir her­über, seufz­te noch­mals tief und schwer, strich sich mit der Hand über Stirn und Au­gen und frag­te:

      »Was ist dei­ne Mei­nung, Fritz? So rasch als mög­lich müs­sen wir hin­über; aber du weißt, die Pfer­de sind au­gen­blick­lich alle vom Hofe. Das eine Paar wird erst ge­gen Abend heim­kom­men, das an­de­re kann ich zwar vom Til­len­brink ho­len las­sen, aber es ge­hen doch gut an­dert­halb Stun­den drü­ber hin. Mein Rat ist, wir ge­hen nach Bo­den­wer­der und neh­men dort eine Ex­trapost.«

      »Fremd zu Hau­se!« mur­mel­te Ire­ne, aus ih­rer Be­täu­bung er­wa­chend. »Wir wol­len gleich ge­hen und den al­ten Weg neh­men – wie da­mals, als mein Va­ter ge­stor­ben war.«

      Wie in die­sem Wor­te so vie­les zu ei­nem Ab­schluss kam, ent­ging uns in die­sem Au­gen­blick voll­stän­dig. Wir ha­ben aber alle nach­her dar­an ge­dacht.

      »Ja«, sag­te der Vet­ter Just, »das ist im­mer noch der Rich­te­weg nach Wer­den. Der Va­ter Klaus wür­de sich auch nicht wun­dern, wenn du ihm noch ein­mal in sei­nen Kahn stie­gest.«

      »Fin­den wir denn den noch?« rief ich.

      »Es zog ein schlim­mes Ge­wit­ter da­mals über den Stein­hof, als ihr ihn zu­letzt über den Fluss an­rie­fet«, sag­te der Vet­ter. »Ihr be­ka­met nur die letz­ten Trop­fen auf dem Wege nach Schloss Wer­den. Es ist wun­der­lich; aber auch das kann heu­te wie­der ge­ra­de­so ge­sche­hen. Nun, der alte Cha­ron wird uns wohl si­cher übers Was­ser schaf­fen. Es hat sich vie­les hier bei uns ver­än­dert, Dok­tor; aber die­sen Schif­fer fin­dest du auch heu­te noch an sei­ner Stel­le.«

      Eine hal­be Stun­de spä­ter be­fan­den wir uns be­reits auf dem Rich­te­we­ge nach Wer­den, Ire­ne, der Vet­ter Just Ever­stein und ich, – ganz wie da­mals kla­res, tief­blau­es Him­mels­ge­wöl­be über uns, doch wei­ßes Som­mer­ge­wit­ter­ge­wölk hin­ter uns im Wes­ten. Nun war es, wie der Vet­ter am Mor­gen es als das Bes­te und Wün­schens­wer­tes­te und dazu als das Ein­fachs­te hin­ge­stellt hat­te, näm­lich, dass sie zu ihm ge­he. Und ein­fach und ganz selbst­ver­ständ­lich er­schi­en es auch je­dem; es ver­lor nie­mand noch ein Wort dar­über. Der Tod ist ein mäch­ti­ger Ru­fer und eb­net Wege und macht Pfa­de glatt, die eben noch durch berg­ho­he Trüm­mer der Ver­gan­gen­heit und un­über­wind­lich heil Ge­mäu­er der ge­gen­wär­ti­gen Stun­de ver­sperrt schie­nen. Aber so hat­te der Vet­ter Just sich den


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