Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


Скачать книгу
rot aus den ho­hen Fens­tern des Ober­stocks uns ent­ge­gen. Ich sah mit ei­ni­gem Ban­gen auf die blei­che Frau mir zur Sei­te und fing einen ganz ähn­li­chen Blick des Vet­ters Just auf. Doch Ire­ne Ever­stein sah nur ein­mal ganz fest und kurz nach den Gie­beln des vä­ter­li­chen Hau­ses und schritt dann ge­senk­ten Haup­tes ra­scher zu auf dem Wege ge­gen das Dorf. An dem ers­ten Hofe schon er­fuh­ren wir von ei­nem Kin­de, dass der Herr Ober­förs­ter tot sei; und ein jun­ges Mäd­chen, das am Gar­ten­to­re strick­te, be­stä­tig­te die Nach­richt und füg­te hin­zu: »Gera­de, als das Un­wet­ter an­ging.«

      Wir gin­gen nun durchs Dorf. Alle Leu­te vor den Tü­ren grüß­ten uns herz­lich, aber still. Auf Ire­ne sa­hen sie scheu und steck­ten nach­her die Köp­fe zu­sam­men und flüs­ter­ten mit­ein­an­der. An den Vet­ter Just trat hier und da ei­ner her­an und gab ihm die Hand: »Also Sie ha­ben es auch schon ver­nom­men?« – Je­der aber sprach viel lei­ser, als es sonst dort die Ge­wohn­heit des Or­tes ist.

      »Und der jun­ge Herr Six­tus? Und Fräu­lein Eva, Ge­vat­ter Rei­te­mey­er?«

      »Die sit­zen ganz still auf der Bank vor der Förs­te­rei. Sie ha­ben sich ja­wohl gott­lob ganz gut in das Ge­schick ge­fun­den. Sein Al­ter hat­te der alte Herr, vor Krank­heit hat er im­mer sein Grau­en ge­habt und sei­nen Spaß dar­über ge­macht. Hier im Dor­fe bei uns ist nie­mand, der ihm nicht das Bes­te wünscht, und so­lan­ge man den­ken kann, kann man Wer­den nicht ohne ihn sich den­ken. Auf dem Wege zu sei­nem Un­fall ist er mir heu­te Mor­gen noch be­geg­net. Das muss­te ja­wohl so sein, denn er hat­te es ku­ri­os ei­lig und war doch sonst ein recht ru­hi­ger, lang­sa­mer und se­da­ter Herr. Ge­hen Sie nur ru­hig hin. Das Un­wet­ter hat Sie wohl ein biss­chen un­ter­wegs auf­ge­hal­ten? Es ist aber wirk­lich recht an­ge­nehm da­nach ge­wor­den. Sie ha­ben Ihr Heu wohl auch schon tro­cken her­ein auf dem Stein­ho­fe, Herr Just?«

      Wir blie­ben die­ser Un­ter­hal­tung we­gen nicht ste­hen, und so ka­men wir zu dem Förs­ter­ho­fe und fan­den, wie die Leu­te es uns be­rich­tet hat­ten, Bru­der und Schwes­ter auf der Bank vor der Haus­tür im däm­me­ri­gen Ul­men­schat­ten bei­ein­an­der sit­zend. Hin­ter ih­nen stan­den die Stu­ben­fens­ter wie im­mer weit of­fen und lie­ßen den Re­gen­duft und die Fri­sche des na­hen­den Abends frei ein; der alte Herr aber saß nicht mehr am Fens­ter, son­dern lag aus­ge­streckt, »ru­hig und se­da­te«, auf sei­nem La­ger. Auch alle Tü­ren stan­den in ge­wohn­ter Wei­se ge­öff­net; die Hun­de des al­ten Herrn la­gen zu den Fü­ßen des Ge­schwis­ter­paa­res, und nur von Zeit zu Zeit stand ei­ner von ih­nen auf, ging hin­ein und leg­te den Kopf auf das so schnell dort be­rei­te­te Bett und kam wie­der her­aus und leg­te den Kopf auf Evas Knie und sah wie fra­gend sie an.

      Das schrei­be ich aber hier, weil es den gan­zen Abend so blieb, nach­dem wir uns zu den Ge­schwis­tern ge­setzt hat­ten.

      Als wir in das Hof­tor tra­ten, schlug ei­ner der Hun­de lei­se an. Ewald und Eva stan­den auf, und der In­ge­nieur aus Ir­land leg­te die Hand auf die Fens­ter­brüs­tung hin­ter sich, wie um sich zu hal­ten. Doch Ire­ne ver­ließ den Arm des Vet­ters Just, ging rasch hin und hielt die Ju­gend­freun­din im Arm und küss­te sie und sag­te:

      »Da bin ich… Nun sei nur still… Du sollst mir al­les er­zäh­len!«

      Eva Six­tus wein­te hef­tig, und Ewald gab uns Män­nern stumm die Hand.

      »Er sieht aus, als ob er schlie­fe!… O, er sieht zu gut und schön aus für den Tod!« schluchz­te Eva; und dann gin­gen wir alle, von den Hun­den be­glei­tet, in die Stu­be, und er sah frei­lich schön und gut aus in sei­nem wei­ßen Haar, und gott­lob nicht an­ders, als ob er schlie­fe!…

      »O Just, o lie­ber Just!« schluchz­te Eva Six­tus, und nun war sie mit ihm und war bei ihm gut auf­ge­ho­ben in die­sen trä­nen­rei­chen Stun­den und Ta­gen. Sie konn­te auch das Haus ver­las­sen, in wel­chem sie ge­bo­ren wor­den war.

      Sechzehntes Kapitel

      Und Ewald und Ire­ne? Was sag­ten und ta­ten die denn?

      Das ward nun eine Nacht, in der vie­le Geis­ter um­gin­gen in Wer­den – Schloss und Dorf; doch über mi­ra­cu­la et por­ten­ta, von großen Wun­dern und »Wun­der­zey­chen« am Him­mel und auf Er­den und auch in den Her­zen der Men­schen habe ich nicht das ge­rings­te zu be­rich­ten.

      Jene bei­den Leu­te be­grüß­ten sich zu­erst, wie es sich nach der lan­gen Tren­nung und bei der ers­ten Ge­le­gen­heit schick­te, ernst und freund­lich. Zu dem, was die Welt eine Aus­ein­an­der­set­zung nennt, kam es fürs ers­te noch nicht; denn teil­neh­men­de Nach­barn spra­chen im­mer noch ab und zu vor, und auch der jet­zi­ge Pas­tor des Or­tes kam noch ein­mal und saß eine ge­rau­me Wei­le. Er be­ging viel­leicht die ein­zi­gen In­dis­kre­tio­nen an die­sem Abend, in­dem er den iri­schen In­ge­nieur recht lob­te und sei­ne Heim­kehr »so ge­ra­de zur rech­ten Zeit lei­der!« mit al­len ih­ren Um­stän­den als et­was sehr Löb­li­ches und Ver­dienst­li­ches pries und sich da­bei stets mit sei­ner Rede an die Frau Ire­ne wen­de­te.

      Doch lau­ter als der bes­te Red­ner in der Welt gab der stil­le alte Herr hin­ter uns in der Stu­be mit den of­fe­nen Fens­tern sein stum­mes Wort dar­ein und half uns auch hier­über hin­weg.

      Auf den Spiel­plät­zen des Dor­fes ver­klang all­ge­mach der Lärm der Dorf­kin­der. Es wur­de Nacht, und auch der gut­mü­ti­ge, wohl­mei­nen­de geist­li­che Herr ging nach Hau­se, höf­lich von dem Vet­ter Just bis zum Hof­tor be­glei­tet.

      »Wir ha­ben uns lan­ge nicht ge­se­hen, lie­be Ire­ne«, sag­te jetzt der Ir­län­der lei­se; doch die Frau ant­wor­te­te mit merk­wür­dig fes­ter und kla­rer Stim­me:

      »Ja, lie­ber Ewald; es ist sehr lan­ge her, und nun führt uns eine so trau­ri­ge Ge­le­gen­heit wie­der zu­sam­men! Dir ist es aber gott­lob gut er­gan­gen auf dei­nem Le­bens­we­ge, du hast vie­les aus­ge­rich­tet; ich habe den Vet­ter Just und hier den Dok­tor Fritz gern da­von er­zäh­len hö­ren –«

      Hier räus­per­te sich der Vet­ter Just ziem­lich ver­nehm­lich und brumm­te:

      »Hm, hm, hm.«

      »Mein Bru­der –« woll­te Eva ein­fal­len, doch ich fass­te rasch nach ih­rer Hand, die Frau Ire­ne fuhr fort, und der ener­gi­sche Wil­le, sich nichts zu ver­ge­ben zu ha­ben, kämpf­te be­denk­lich mit noch un­ter­drück­ten Trä­nen:

      »Du hat­test es aber auch viel leich­ter in der Welt als ich.«

      »Ja, lie­be Ire­ne!« sag­te der Freund. »Ich weiß das nur zu ge­nau. Ja, ich habe es leicht ge­habt und viel Glück!« – Sei­ne Stim­me aber wur­de rau und hart, als er hin­zu­füg­te: »Ich habe jah­re­lang kei­ne Zeit ge­habt, an mei­nes Va­ters Haus zu den­ken, um dir das dei­ni­ge wie­der­zu­ge­win­nen!«

      »Aus Zorn und Mit­leid, Ewald Six­tus!… O Eva, Eva, lie­be, lie­be Schwes­ter, be­hal­te mich bei dir un­ter dei­nes Va­ters Da­che die­se Nacht!… Nein, nein!… Just, o lie­ber Just, wie bin ich nur hier­her­ge­kom­men? Wo soll ich blei­ben?«

      Zum ers­ten Mal in die­ser treu­en, wah­ren Le­bens­ge­schich­te klang die Stim­me des Vet­ters är­ger­lich, ja fast böse, als er sich er­hob und sag­te:

      »Bei mir – Just Ever­stein! Eine Nacht geht bald vor­über. Auf Schloss Wer­den, Grä­fin Ire­ne Ever­stein! Ich schaf­fe dir in dem al­ten Spu­knest als al­ter ame­ri­ka­ni­scher Hin­ter­wäld­ler und Baum­fäl­ler ein Strohl­a­ger


Скачать книгу