Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Meis­ters Drö­ge? Das ist mir nun ganz klar und deut­lich, als flös­se schon das Welt­meer zwi­schen ih­nen und Schloss Wer­den. Es weiß kei­ner et­was an­zu­fan­gen mit Schloss Wer­den und – ich auch nicht! Dok­tor, was meinst du, wenn du es von mir in Pacht näh­mest?«

      Ich glau­be fest, dass ich da­mals den Vet­ter ziem­lich starr und mit et­was weit ge­öff­ne­tem Mun­de an­ge­se­hen habe; es war aber nur eine Schul­meis­ter-Re­mi­nis­zenz aus Neu-Min­den von ihm, wie sich gleich aus­wies.

      »Län­de­rei­en nicht vor­han­den«, sag­te er, »aber ge­nü­gend Gar­ten­land zu Spiel­plät­zen und Turn­an­stal­ten und was sonst dazu ge­hört. Aus­ge­zeich­ne­tes Trink­was­ser – ge­sun­de Lage, fri­sche Luft. Wald rings­um. Fritz, so ’ne Er­zie­hungs­an­stalt für un­ver­bes­ser­li­che Jun­gen aus den bes­ten Fa­mi­li­en!… Mit der Mie­te wür­de ich dich nicht drän­gen, zum In­ven­tar wür­de ich zu­schie­ßen; wir be­hiel­ten dich hier in der Nähe, gut zah­len­de jun­ge Eng­län­der schick­te Ewald, dei­ne Ber­li­ner bräch­test du dir sel­ber mit. Ge­kom­men ist mir die­se Idee frei­lich eben erst, seit du hier bei mir stehst; aber – über­le­ge dir mal die Sa­che!«

      Von die­sem Vor­schla­ge hat­te ich mir wahr­lich nichts träu­men las­sen, als ich mich eben auf dem Wege nach der al­ten Ju­gend­hei­mat aus den be­weg­ten, wun­der­li­chen, trau­ri­gen und doch so von der Son­ne über­glänz­ten und vom Grün um­rausch­ten ge­gen­wär­ti­gen Ta­gen plötz­lich und ohne dass ich es wuss­te, wie es zu­ging, in mein ein­sa­mes groß­städ­ti­sches Ge­lehr­ten­da­sein zu­rück­ver­lo­ren hat­te. Es war selt­sam, aber weg­leug­nen ließ es sich nicht; ein ge­wis­ses lei­ses, un­be­stimm­tes Heim­weh­ge­fühl hat­te sich be­merk­bar ge­macht: »Wo­hin gehst du, Fried­rich Lan­greu­ter, wenn sich nun in der al­ler­nächs­ten Zeit die­ser Kreis, der sich hier so schick­sals­voll ge­schlos­sen hat, wie­der auf­löst? Sie sind nun am Ende doch alle ge­bor­gen. Aber du, Fritz Lan­greu­ter, wenn du nun mor­gen mit­ge­gan­gen bist zu der letz­ten fried­li­chen Ru­he­stät­te des gu­ten, al­ten, treu­en Freun­des? Wo­hin gehst du, wenn ihr mor­gen vom Kirch­ho­fe zu­rück­ge­kom­men seid und für die üb­ri­gen das Le­bens­rad mit er­neu­tem Schwun­ge sich wie­der auf­wärts­dre­hen wird? Was bleibt dir in den Hän­den als Ge­winn von die­ser me­lan­cho­lisch-sü­ßen Rei­se nach Schloss und Dorf Wer­den – der Fahrt in die Ju­gend zu­rück?«

      Fast drol­lig klang nun in alle die­se Fra­gen an das ei­ge­ne Ge­schick der treff­li­che Rat des Freun­des, aus Schloss Wer­den ein Er­zie­hungs­in­sti­tut zu ma­chen, hin­ein. Ich muss­te auch la­chen, aber hei­ter kam das ge­ra­de nicht her­aus; und da­bei stand der Vet­ter Just mit sei­nem hei­ters­ten Lä­cheln auf dem ehr­li­chen, brei­ten Ge­sicht weit­bei­nig, die Hän­de auf dem Rücken, vor mir:

      »Na?! Was sagst du zu mei­nem Vor­schlag?«

      »Dass dies ganz der rich­ti­ge Just Ever­stein ist. Neu-Min­den, wie es leibt und lebt. Ja, wenn nur ein je­der am Wege ge­ses­sen hät­te wie die­ser Mensch hier, und Weis­heit aus dem Wind und den Wol­ken wie aus dem al­ten Bro­eder ge­zo­gen hät­te! Ich dan­ke dir herz­lich, Vet­ter Just; aber – für mich wäre das wirk­lich das letz­te.«

      »Dann ist mir Schloss Wer­den nur auf den Ab­bruch hin auf den Hals ge­la­den wor­den«, seufz­te Just Ever­stein vom Stein­ho­fe und leg­te die Hand auf ei­nes der Bret­ter, mit de­nen die ho­hen Fens­ter des Un­ter­stocks des Ge­bäu­des teil­wei­se ver­na­gelt wa­ren. »Es wird wie­der mal al­ler­lei von ei­ner fes­ten Brücke bei Bo­den­wer­der ge­schwatzt und ge­schrie­ben. Da könn­te ich viel­leicht einen Teil der Stei­ne los­wer­den. Scha­de, dass un­ser Lands­mann, der Frei­herr von Münch­hau­sen, sein Wort bei den maß­ge­ben­den Be­hör­den nicht mehr da­zu­ge­ben kann! Über das Gar­ten­land woll­te ich mich schon mit den Bau­ern von Wer­den ver­stän­di­gen, Ge­wis­sen­bis­se ma­che ich mir nicht dar­über, wenn du auch nicht ge­ra­de jetzt mit Ire­ne Ever­stein dar­über zu spre­chen brauchst. – Ever­stein? Ever­stein? Was wür­de der Herr Graf dazu sa­gen? Und was mein se­li­ger Va­ter – von mei­nem Groß­va­ter gar nicht zu re­den?!«

      »Es geht al­les in der Welt mit rech­ten Din­gen zu, Vet­ter Just«, er­wi­der­te ich. »Frei­lich die große, trost­vol­le Wahr­heit, dass hin­ter je­dem Ding als sol­ches eben die Welt als sol­che steht, wird ei­nem meis­tens nur bei ei­ner sol­chen Ge­le­gen­heit wie die­se klar. Das ist ein Ge­dan­ke: aus Schloss Wer­den eine Brücke zu bau­en! Ein treff­li­cher Ge­dan­ke, der einen selbst in der Vor­stel­lung schon mit Kin­dern und Kin­des­kin­dern si­cher und fest in die Zu­kunft hin­ein­führt!«

      »Ein ku­rio­ses Ende vom Lie­de, wür­den die Wer­den­schen Bau­ern sa­gen«, brumm­te der Vet­ter kopf­schüt­telnd.

      »Aber die Qua­dern wür­den sie dir doch herz­lich gern ab­fah­ren zu dem Werk.«

      »Das wür­den sie! Und das Fell wür­den sie mir da­bei über die Ohren zie­hen, wie es kein Ever­stein auf sei­nem al­ten Raub­nest dort wei­ter ins Land hin­ein sei­ner­zeit bes­ser ver­stand. Ja, auch das Lied hat kein Ende! Na ja, und wenn ein Stern zer­springt, so wer­den die Pla­ne­toi­den draus – ver­wer­ten kann ich das Ma­te­ri­al schon. Der Herr Graf, der Herr Graf! Was wür­de der Herr Graf dazu sa­gen, wenn er den Bau­er vom Stein­ho­fe sa­gen hör­te: das hat ja aber Zeit, ich aber habe heu­te kei­ne mehr, mich um das alte lee­re Nest zu küm­mern! – ? – Über Jahr und Tag kannst du mir im­mer noch dei­nen gu­ten Rat schrift­lich ge­ben, Fritz; oder du bringst mir ihn münd­lich, oder ich hole mir ihn und zei­ge mei­ner Eva da­bei zu glei­cher Zeit die Stadt Ber­lin. – Dann wer­den Ewald und Ire­ne jen­seits des Kanals sit­zen, und wir kön­nen doch noch ein we­nig un­be­fan­ge­ner über Schloss Wer­den und sein letz­tes Schick­sal zu Rate sit­zen. Jetzt habe ich schon all­zu lan­ge um das öde Ge­mäu­er mein ar­mes, be­trüb­tes Mäd­chen bei dem to­ten Va­ter al­lein ge­las­sen. Komm nach Hau­se, Dok­tor.«

      Wir gin­gen, und – nun sind wir im letz­ten Akt, und da ich noch ganz und gar zur al­ten Ko­mö­die ge­hö­re, so hät­te ich nun­mehr das voll­kom­mens­te Recht, mei­nen Ober­rock auf­zu­knöp­fen, mei­nen Stern und – mich als Se­re­nis­si­mus zu zei­gen. Als der Se­rens­te, der Hei­ters­te?… Wenn ich sa­gen woll­te, als der­je­ni­ge, wel­chem doch von al­len das be­quem­lichs­te Los zu­teil ge­wor­den sei, so wür­de ich da­mit wohl das Rich­ti­ge­re tref­fen. Ich habe Zeit, wie ich es hier tue, den Ge­schichts­schrei­ber von Dorf und Schloss Wer­den, den Bio­gra­fen des Stein­ho­fes zu spie­len. Habe ich mei­ne Sa­che er­träg­lich ge­macht, so ist’s gut; ist das Ding un­ter al­ler Kri­tik aus­ge­fal­len, so habe ich im Grun­de ja doch nur für den al­ten Vet­ter Just Ever­stein vom Stein­ho­fe ge­schrie­ben, und der wird gott­lob nur lä­chelnd sa­gen:

      »Ja, un­ser Ber­li­ner Dok­tor! Le­sen musst du’s, Ev­chen; mir ist mehr als ein­mal die Pfei­fe drü­ber aus­ge­gan­gen, und auf dein Ge­sicht dazu bin ich auch nicht we­nig ge­spannt. Mit­tel­al­ter­li­che Ge­schichts­quel­len hat der alte Jun­ge auch in un­se­rem Fal­le gut stu­diert – na, lass ihn; wäh­rend der Uni­ver­si­täts­fe­ri­en rückt er wie­der ein auf dem Hofe, und dann hof­fe ich münd­lich von ihm zu er­fah­ren, ob er mir in sei­ner Chro­nik mehr Schmei­che­lei­en oder mehr Grob­hei­ten ge­sagt ha­ben will. Nach Eng­land muss je­den­falls eine Ko­pie hin­über; denn das sehe ich doch gar nicht ein, wes­halb Ewald und Ire­ne nicht ge­ra­de­so­gut wie wir über die­sen wun­der­ba­ren His­to­ri­en den Kopf zwi­schen bei­de Hän­de neh­men sol­len! Es ist wirk­lich die Mög­lich­keit,


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