Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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mein bes­ter Freund, seit ich den­ken kann, auch mal wie­der! Näm­lich der gan­ze Nichts­nutz von dem Förs­ter­ho­fe in Wer­den; und ich dach­te wirk­lich zu­erst, er sei mei­net­we­gen da; aber er nahm gar kein Blatt vor den Mund, son­dern woll­te ein­fach nur von hier aus über die We­ser gu­cken, und als ich ihn dann frag­te, wie ich ihn jet­zo be­ti­tu­lie­ren müss­te, mein­te er ge­ra­de­so, sein Tauf­na­me wäre ihm das Liebs­te, und wei­ter hät­te er für die hie­si­ge Ge­gend hof­fent­lich auch nichts mit aus der Frem­de ge­bracht. Und als ich dar­auf nicht ein­ging, son­dern ihn dar­auf an­re­de­te, dass er ja ku­rio­ser­wei­se Schloss Wer­den käuf­lich an sich ge­bracht habe, wur­de er auf ein­mal aus al­ler Weh­mut her­aus ganz der alte und sag­te: Klaus, Va­ter Klaus, zwei Esel ha­ben ei­gent­lich nicht Platz hier im Fisch­kas­ten! – Na, das freu­te mich denn recht, ob­gleich er ei­gent­lich gleich wie­der in sei­ne Trüb­se­lig­keit hin­ein­fiel; aber auf dem rich­ti­gen Fuß wa­ren wir wie­der, und ich habe ihn kurz­weg wie­der bei sei­nem Tauf­na­men ge­hei­ßen, und dann ha­ben wir, weil eben nicht so ’n Un­wet­ter wie jet­zo war, un­ter un­se­rem al­ten Strunk ge­ses­sen und zu­sam­men über mein Was­ser ge­guckt und wirk­lich recht vie­ler­lei von – der lie­ben Frau Ire­ne zu­sam­men ge­spro­chen.«

      »Wann war denn dies wohl, Meis­ter Klaus?« frag­te ich mit ei­nem ver­stoh­le­nen Blick auf die von uns weg in die Tür tre­ten­de und die Hand in den jetzt schon lei­ser rau­schen­den Re­gen stre­cken­de Frau.

      »Nun, ich mei­ne so zwi­schen sechs und sie­ben Uhr. Herr Ewald wird wohl erst ziem­lich spät in der Nacht nach Hau­se ge­kom­men sein. Er hat­te vor, auf dem Heim­we­ge noch mehr als einen Um­weg zu ma­chen. ›Es sind da eine Men­ge Or­ter, die ich noch ein­mal wie­der­se­hen muss, ehe ich mich wie­der auf die Wan­der­schaft ma­che, Va­ter Klaus!‹ sag­te er. – Ja, er sprach ein lan­ges und brei­tes dar­über, wie schlecht es ihm zu Hau­se ge­fie­le. Und ich den­ke doch, mein lie­ber Gott, dass es doch nicht je­der­mann alle Tage pas­siert, dass er mit so viel Glück in der Ta­sche aus der Frem­de in das alte Nest fällt wie der. Aber ein apar­ter Mensch war der im­mer und schon von Jun­gens­bei­nen an. Den Herrn Ewald Six­tus mei­ne ich. Uh, wer so man­che Nacht wie der hier bei mir in der Köte ge­le­gen hat und in das Feu­er da von all sei­nen un­sin­ni­gen Ge­dan­ken und ku­rio­sen Hirn­ge­spins­ten hin­ein­ge­spro­chen hat, den soll der Va­ter Klaus doch wohl ken­nen, wenn er als aus­ge­wach­se­ner Mann eben­so wie­der da­liegt und mit den Fun­ken und Flam­men auf mei­nem Her­de mehr spricht als mit mir al­tem dum­men Kerl. Nicht wahr, Herr Vet­ter Just?«

      »Das mei­ne ich auch, al­ter Freund!« rief der Vet­ter mit au­ßer­ge­wöhn­li­cher Ener­gie. »Nun, wie sieht es drau­ßen aus – lie­be Frau Ire­ne? Ges­tern Abend, als du mit dem Ber­li­ner Dok­tor da durch die Fel­der zo­gest, seid ihr ja­wohl auch ziem­lich bis hier in die Ge­gend ge­kom­men? Er­zähl­test du mir nicht da­von, Fritz, als wir heu­te Mor­gen dei­nen Schrei­be­brief nach Wer­den be­re­de­ten? Und von al­ler­hand un­sin­ni­gen Ge­dan­ken und ku­rio­sen Hirn­ge­spins­ten hast du mir auch ge­schwatzt. Und da war doch bloß die We­ser zwi­schen euch und dem al­ten gu­ten Freun­de, dem Va­ter Klaus. Wenn ich je in der Welt ei­nem so gu­ten Freun­de wie­der so nahe ge­kom­men bin, dann habe ich ihm im­mer auch einen Be­such ab­ge­stat­tet!«…

      Die Frau Ire­ne stand noch im­mer, den El­len­bo­gen an den Tür­pfos­ten der Hüt­te leh­nend. Über den Herd des Va­ter Klaus sich beu­gend, flüs­ter­te mir der Vet­ter Just zu:

      »Tau­send Schrit­te wei­ter und – Hol über!… Dei­nen Brief be­hal­te ich zum An­den­ken an die­se Tage!« – – Laut, fast fröh­lich rief er dann:

      »Du hast noch nicht geant­wor­tet, Ire­ne. Was macht das Wet­ter auf Er­den, und wie guckt der Him­mel drein? Ich mei­ne, der Re­gen lässt doch im­mer merk­li­cher nach.«

      Die Frau wen­de­te sich, und ein Frem­der hät­te ihr nicht an­ge­merkt, wie schwer je­des Wort, das in die­ser Fi­scher­hüt­te ge­spro­chen wor­den war, auf ih­rer See­le wog und dass ihr mit Aus­nah­me des­sen, was der Vet­ter Just lei­se mir ins Ohr ge­ru­fen hat­te, kei­nes ent­gan­gen war.

      »Der Va­ter Klaus ist ein gu­ter Wet­ter­pro­phet und hat sich auch dies­mal wie­der so be­währt«, sag­te sie. »Es war ein ra­scher Über­gang. Vom Stein­hof her scheint wirk­lich schon die Son­ne in die Trop­fen, und es ist al­les ge­gen Schloss Wer­den ge­zo­gen.«

      »Und auch dort wird’s ein Über­gang sein«, mein­te der Greis. »Die Ber­ge da ma­chen kei­ne Wet­ter­schei­de aus. Was über die We­ser ’r­über ist, hat freie Bahn vor sich und mag ge­hen oder sich ver­lau­fen, wie und wo es will. Da ist wei­ter kein Auf­ent­halt mehr. Ge­schickt wird ja je­des Ge­wöl­ke, aber dort­hin­zu ist das denn doch wie­der, als ob al­les Wet­ter frei sei­nem Schick­sal über­las­sen wor­den wäre, und so weiß nie ei­ner ge­nau, was er da­von hal­ten und sa­gen soll. Es ist eben al­les Wit­te­rung.«

      »Und wir ha­ben un­ser Teil da­von auf uns zu neh­men«, sag­te Ire­ne, dem Fi­scher die Hand rei­chend. »So nehmt denn auch heu­te un­se­ren schöns­ten Dank für freund­li­chen Schutz, gute Be­wir­tung und je­des gute Wort, was Ihr uns ge­sagt habt, Va­ter Klaus. Fast ist es doch, als hät­ten wir ganz ver­ges­sen, was uns ei­gent­lich auf die­sen Weg ge­trie­ben hat. Nun wol­len wir aber nur noch an die­ses den­ken und rasch wei­ter; nicht wahr, mei­ne Her­ren?! Ich muss zu mei­ner ar­men Eva, und es soll mich kei­ne Er­den­wit­te­rung mehr auf­hal­ten. Ade, Va­ter Klaus. Wenn ich zu­rück­kom­me, gehe ich nicht über Bo­den­wer­der – Ihr nehmt mich wie­der auf in Eu­ren Kahn.«

      »Al­lein oder in Ge­sell­schaft – wie es sich schickt«, brumm­te der grei­se treue Schiffs­mann, die klei­ne zar­te Hand zwi­schen sei­nen ur­al­ten, kno­chi­gen Tat­zen hal­tend. »Herr­schaf­ten, fin­det ihr den Förs­ter noch, so grüßt ihn von mir; – auf einen Ha­sen leg­te da dem lie­ben Gott sein Jä­gers­mann nicht an; also sprecht’s ihm nur dreis­te her­aus, dass ich fest auf ihn rech­ne, was das Quar­tier­ma­chen an­be­trifft. Fin­den Sie ihn nicht mehr, Herr Vet­ter Just, und Sie, Ber­li­ner, na so brau­chen Sie auch nichts an ihn zu be­stel­len, son­dern nur gut mit den zwei jun­gen Leu­ten um­zu­ge­hen. Ich fin­de mei­nen Weg schon. Ad­jes alle! Es ist mir, ab­ge­se­hen von dem schlim­men Malör, eine große Freu­de ge­we­sen.«

      Wir tra­ten her­aus aus der Hüt­te in das letz­te, jetzt auch schon auf die­sem Ufer der We­ser von der Son­ne durch­flim­mer­te Ge­sprü­he des Som­mer­ge­wit­ters und at­me­ten aus tiefs­ter Brust woh­lig auf; ich aber ver­nahm noch, wie der Meis­ter Klaus, den sehr schlim­men Ta­bak in sei­ner kur­z­en Holz­pfei­fe nie­der­drückend, brumm­te:

      »Ja­wohl, am Ende lässt sich doch nie­mand recht Zeit als solch ein al­ter Fi­schers­mann, der da weiß, dass die Fi­sche nicht zu je­der Stun­de bei­ßen, und der mit den Reu­sen um­zu­ge­hen weiß und weiß, dass al­les erst zu sei­ner Zeit kommt, aber denn auch ganz rich­tig und auf den Punkt. Jaja, lauft nur zu; – ich hab euch ja schon ge­fah­ren, als ihr noch in eu­ren Kin­der­schu­hen lie­fet.«

      Ich wink­te ihm darob noch ein­mal lä­chelnd zu:

      »Und es ist Eure fes­te Mei­nung, dass wir noch im­mer dar­in lau­fen, Va­ter Klaus?«

      »Das wer­de ich mir doch wohl nicht her­aus­neh­men«, rief der Alte grin­send mir nach. »Aber eine hüb­sche Luft wird es im­mer nach solch ei­nem Ge­wit­ter, Herr Lan­greu­ter; und die paar Trop­fen, die Sie jet­zo un­ter­we­gens noch auf den Pelz krie­gen, die kön­nen Sie sich dar­um schon ge­fal­len las­sen; und, lie­ber Herr Fritz, bei Ge­le­gen­heit


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