Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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in die­ser Nacht im of­fe­nen Fens­ter auf dem Stein­ho­fe, und die Küh­le war sehr er­fri­schend und die Mond­däm­merung sehr wohl­tä­tig nach dem hei­ßen, blen­den­den Heu­monds­ta­ge. Sie hat­ten ihr Heu wohl meis­tens glück­lich un­ter Dach ge­bracht, aber der Duft da­von durch­zog noch im­mer an­ge­nehm, wenn­gleich et­was be­täu­bend die Nacht; ich aber konn­te zu kei­ner bes­se­ren und güns­ti­ge­ren Zeit als zur Zeit der Heu­ern­te auf dem Stein­ho­fe wie­der zu Gas­te sein. Es ist im­mer ein an­de­res, wenn die Wie­sen in vol­ler Pracht und Blü­te ste­hen, mit sei­nen Il­lu­sio­nen und Her­zens­nei­gun­gen ab­zu­schlie­ßen, und ein an­de­res ist’s, zur Zeit des Heu­ma­chens an­de­rer sei­ne Le­bens­ru­he si­cher und tro­cken un­ter Dach zu brin­gen. Was da­bei mei­ne Ge­müts­s­tim­mung nicht ver­schlech­ter­te, war die im Ver­lauf des Ta­ges ge­won­ne­ne fes­te Über­zeu­gung, dass auch zwei an­de­ren Leu­ten und lie­ben Freun­den sich der Pfad sanft ab­wärts füh­rend viel leich­ter glät­ten wer­de, als sie au­gen­blick­lich noch bei­de für mög­lich hiel­ten.

      Ich hat­te dem jet­zi­gen Herrn von Schloss Wer­den mein Wort ge­ge­ben, ihm in die­ser Nacht so­fort zu schrei­ben; ich wuss­te, dass der Mann und wil­de Ir­län­der in der Förs­te­rei zu Wer­den eben­falls we­nig schlief in die­ser Nacht, hat­te mir auch ge­wis­sen­haft einen Brief­bo­gen zu­recht­ge­legt und dem Vet­ter Just sein Din­ten­fass mir aus sei­ner Gie­bel­stu­be ge­holt; aber – wozu ei­gent­lich im­mer sel­ber stets Wort hal­ten in ei­ner Welt, in der es ei­nem sel­ber so häu­fig nicht ge­hal­ten wird, so­wohl vom Wet­ter wie vom Schick­sal?… Ihrem Schick­sal ent­gin­gen sie – Ewald und Ire­ne – dar­um doch nicht; was ich aber brief­lich mit­tei­len konn­te an den Freund, war we­nig und hat­te in der Tat voll­kom­men Zeit bis mor­gen. Wie sich das stol­ze Herz der Frau noch sperr­te und flat­ter­te und mit den Flü­geln schlug, das ließ sich doch nur schwer mit des Vet­ters schlech­ter Din­te und noch schlech­te­rer Fe­der hin­schrei­ben, und dazu hat­te der Vet­ter selbst mich vom Schrei­ben ab­ge­hal­ten. Er war ganz mei­ner Mei­nung ge­we­sen; aber bis über die Mit­ter­nacht hin­aus hat­te er bei mir ge­ses­sen und die Sa­che im­mer wie­der von ei­ner an­de­ren Sei­te her be­leuch­tet und ge­re­det wie der au­ßer­or­dent­lichs­te Pro­fes­sor der Psy­cho­lo­gie.

      Der ir­län­di­sche Bau­meis­ter Ewald Six­tus hat­te man­che Nacht durch­wacht, um Schloss Wer­den sich zu ge­win­nen; wes­halb soll­te er nicht die eine und die an­de­re Nacht durch­wa­chen, um zu dem Ent­schluss zu kom­men, es wie­der auf­zu­ge­ben?

      »Gute Nacht, Just. Dein Schreib­zeug lässt du mir wohl bis mor­gen früh?«

      »Ist denn noch Din­te drin? Wohl mehr tote Flie­gen und der­glei­chen?« frag­te der Vet­ter, lä­chelnd sich hin­ter dem Ohre krat­zend. »Lie­ber Bru­der, die Zei­ten ha­ben sich ganz be­son­ders in die­ser Hin­sicht sehr ge­än­dert. Ich habe schon mehr­mals einen rei­ten­den Bo­ten nach Bo­den­wer­der schi­cken müs­sen, um mir den not­wen­di­gen Trop­fen zu ei­ner Na­mens­un­ter­schrift ho­len zu las­sen.«

      Ich stieß den Fe­der­stumpf durch den Schim­mel­über­zug und fand noch ge­nü­gen­des schwar­zes Nass, um al­ler Welt Glück und Leid drein­tau­chen zu kön­nen und mei­ne An­sicht, Mei­nung, Weis­heit und gu­ten Ratschlä­ge dazu; der Vet­ter war ge­gan­gen, und ich hat­te – die Fe­der ne­ben den Brief­bo­gen ge­legt und mich in das Fens­ter.

      Was konn­te ich ei­gent­lich dem Freun­de in Wer­den schrei­ben?

      Dass ich sie in der hei­ßen Son­ne am Wege sit­zend fand, dass sie in der Abend­däm­merung an mei­nem Arm durch die Fel­der wan­del­te, dass sie viel und has­tig, auf­ge­regt und ver­wor­ren sprach, und ganz und gar nicht wie ein Pro­fes­sor der Psy­cho­lo­gie? Dass wir bis spät in die Nacht hin­ein in der Ge­sell­schaft des Vet­ters Just im Baum­gar­ten sa­ßen, und zwar sehr still? Dass ich noch eine Vier­tel­stun­de zwi­schen Jule Gro­te und Mam­sell Mar­tin auf der Bank vor dem Hau­se hock­te und dass ich die bei­den gu­ten Al­ten re­den ließ, ohne sie nur ein ein­zi­ges Mal zu un­ter­bre­chen? Dass al­les in der Welt von den ver­schie­dens­ten Sei­ten an­ge­se­hen wer­den kann? Dass aber, ge­ra­de weil dem so ist, al­les auf Er­den viel of­fe­ner und so­zu­sa­gen wehr­lo­ser da­liegt, als der Mensch in sei­ner täg­li­chen Ver­wir­rung sich ein­zu­bil­den pflegt? Dass der Mensch viel zu häu­fig Furcht hat? Dass es im Grun­de kei­ne Ge­s­pens­ter gibt – auch in und um Schloss Wer­den nicht? Dass die Nacht wun­der­voll klar und lieb­lich war und dass die Nacht­küh­le au­ßer­or­dent­lich be­ru­hi­gend auf den Men­schen wirk­te und dass es trotz alle, alle dem sehr leicht sei, über mit­tel­al­ter­li­che Ge­schich­te, und sehr schwer, über das le­ben­di­ge Le­ben der Ge­gen­wart zu schrei­ben?

      Mit der letz­te­ren Be­mer­kung be­gann ich selbst­ver­ständ­lich am fol­gen­den Mor­gen mei­nen Brief und schloss ihn mit ei­ner ganz ähn­li­chen.

      »Ich rei­te wie ge­wöhn­lich erst die­sen Abend hin­über«, sag­te der Vet­ter Just, dem ich die Lek­tü­re gern ge­stat­tet hat­te. »Of­fen ge­stan­den, Fritz, ich glau­be, einen ex­pres­sen Bo­ten brau­chen wir nicht da­mit hin­zu­schi­cken. Recht hübsch, Frit­ze!… Und dass euch euer Abend­spa­zier­gang, ganz ohne dass ihr es merk­tet, dem Flus­se zu­führ­te und dass ihr erst auf den letz­ten Hü­geln um­dreh­tet, nach­dem ihr län­ge­re Zeit nach den Ber­gen ge­gen­über aus­ge­guckt hat­tet, – ist auch – recht hübsch, Dok­tor. Wenn du meinst, dass die Sen­dung Zeit hat bis zum Abend, so kannst du dich dar­auf ver­las­sen, dass ich dei­ne Schil­de­run­gen dem ar­men Teu­fel drü­ben ge­treu­lich über­lie­fern wer­de. Üb­ri­gens – wenn ein Mensch auf eine promp­te Kor­re­spon­denz gar kei­nen An­spruch hat, so ist das un­ser bra­ver Freund Ewald auf Schloss Wer­den. Jetzt ent­schul­di­ge mich freund­lichst bis Mit­tag. Wir ha­ben ge­ra­de heu­te einen ziem­lich schar­fen Ar­beits­tag vor uns. Be­küm­me­re du dich um nichts als die Frau Ire­ne und lass dir so­viel als mög­lich von ihr Ge­sell­schaft leis­ten. Über mit­tel­al­ter­li­che Ge­schich­ten lässt sich wohl bes­ser und leich­ter schrei­ben; aber in dem le­ben­di­gen Le­ben der Ge­gen­wart ste­cken wir eben drin und ha­ben uns durch­zu­füh­len. Ich drücke mich wohl schlecht aus?… Aber – nimm es mir nicht übel, ich spre­che nur nach, was du ge­schrie­ben hast, und in dei­nem Brie­fe an Ewald steht wirk­lich we­nig von dem, was wir au­gen­blick­lich an uns und in uns und in der all­mäch­ti­gen Schick­sals­welt um uns er­fah­ren. Dein Brief ist sehr nett und sehr freund­schaft­lich und sehr aus­führ­lich – du hast den gest­ri­gen Tag gut ge­schil­dert, und dass er zwi­schen den Zei­len wird le­sen kön­nen, das ist noch bes­ser; aber das bes­te und ein­fachs­te wäre mei­ner Mei­nung nach – sie gin­ge ein­fach zu ihm

      Das Wort kam wie et­was so Selbst­ver­ständ­li­ches her­aus, so ru­hig und so­zu­sa­gen ge­müt­lich, dass ich im An­fan­ge glaub­te, mich ver­hört zu ha­ben:

      »Was sag­test du, Vet­ter?«

      »Ich bin bei eu­rer ers­ten Un­ter­hal­tung ges­tern auf dem Feld­we­ge nicht ge­gen­wär­tig ge­we­sen; aber das war auch gar nicht not­wen­dig. Wenn ei­ner weiß, wie dem an­de­ren in sei­ner Ver­wir­rung zu­mu­te ist, dann weiß er auch, wel­che Wor­te er ge­braucht, um sich Luft zu ma­chen; vor­züg­lich wenn er ihm ein je­des an den rot­ge­wein­ten Au­gen ab­sieht. Bei ei­nem la­chen­den Ge­sicht ist es frei­lich schon schwie­ri­ger, und dass ein Men­sche­ne­lend wahr ist, er­kennst du viel leich­ter, als wie ob ein Glück und Ju­bel dir nur als Ko­mö­die auf­ge­führt wer­de. La­che nicht über den Bau­er vom Stein­ho­fe, der ein


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