Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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du noch, Dok­tor?!… Es ist ei­ner­lei – die Fens­ter wol­len wir auch hier we­nigs­tens auf­sper­ren und die fri­sche Luft her­ein­las­sen. Wer war es denn, der neu­lich in Bel­fast mir vor­re­nom­mier­te, dass er in ei­nem jung­fräu­li­chen Ur­wal­de Ord­nung ge­stif­tet und für Äs­the­ti­ca ge­sorgt habe? Ich habe ihn da­mals schon ziem­lich kühl ab­lau­fen las­sen, den Vet­ter Just; aber – jetzt soll er mir nur noch mal kom­men mit sei­nem – Neu-Min­den!«

      Wir tra­ten nun doch auch hier einen Au­gen­blick über die Schwel­le und sa­hen uns um und auch von hier aus noch ein­mal hin­un­ter in den ver­wüs­te­ten, ins Un­kraut ge­schos­se­nen Park. Ich war auch hier der Un­be­tei­lig­te­re, der nur als gu­ter Freund und al­len­falls als Rat­ge­ber mit­ge­nom­me­ne Pri­vat­ge­lehr­te aus Ber­lin; aber, ich kann’s nicht leug­nen, es kam in die­ser Stun­de doch auch mir sehr selt­sam vor, dass das Grün drau­ßen noch im­mer die Ober­hand be­hielt, dass die Vö­gel lus­tig nach al­ter Som­mer­wei­se wei­ter­zwit­scher­ten, dass um das wu­chern­de Ge­büsch und die Baum­stump­fen die­sel­ben Schmet­ter­lin­ge wie zu un­se­rer Zeit flat­ter­ten, kurz, dass sich alle Haupt­lieb­lich­kei­ten der Erde we­der um Schloss Wer­den noch um un­se­re ge­gen­wär­ti­gen Pri­vat­ge­füh­le und Stim­mun­gen im min­des­ten küm­mer­ten. Und in die­sem Au­gen­blick trat es mir zum ers­ten Mal ganz klar und ohne einen Schat­ten auf der lich­ten Vor­stel­lung vor die See­le, zu was für ei­nem Se­gen der Vet­ter Just auf sei­nem Stein­ho­fe auch für die­sen Ewald Six­tus und jene Ire­ne Ever­stein wie­der an­ge­kom­men war, um da­selbst von neu­em »auf mensch­li­che Schick­sa­le zu war­ten«.

      Man hat­te aus dem einen Fens­ter die­ses Eck­stüb­chens einen Blick nach je­ner Ge­gend. Der Freund stand mit un­ter­ge­schla­ge­nen Ar­men und zu­sam­men­ge­press­ten Lip­pen und sah dort­hin. Der ein­zi­ge küh­len­de Hauch in die­ser schwü­len Mit­tags­stun­de kam über Ber­ge und Wäl­der, über den Fluss, wie­der über die Wäl­der und Wie­sen und über den ver­wil­der­ten Gar­ten, der zu dem Han­del und Kauf des ir­län­di­schen In­ge­nieurs ge­hör­te, aus je­ner Rich­tung.

      »Es wird wohl eine ziem­li­che Wei­le dau­ern, ehe du alle dei­ne Ar­beits­leu­te hier am Wer­ke hast«, mein­te ich lei­se. »Da ha­ben wir dann Zeit, alle mög­li­chen Be­su­che in der Um­ge­gend zu ma­chen. Meinst du nicht?«

      Der iri­sche Glücks­bau­meis­ter dreh­te sich rasch von dem Fens­ter und der im Mit­tags­son­nen­schein flim­mern­den Fer­ne weg und mir zu:

      »Wir kom­men un­be­dingt zu spät zu Tisch. Das we­nigs­tens ist uns aus der al­ten ver­gnüg­ten Zeit ge­blie­ben. Dei­nen Rat habe ich nun auch. Schloss Wer­den ha­ben wir ge­se­hen; wenn du nicht noch eine Pri­vat­ge­spens­ter­kam­mer in dem al­ten Kas­ten weißt, die ich dir auf­schlie­ßen kann, so wird es wohl das bes­te sein, wir ge­hen so lei­se, wie wir ge­kom­men sind. Ach, lie­ber Al­ter, mein Ge­schäft hat mich frei­lich haupt­säch­lich auf Erd­ar­bei­ter, Mau­rer und Zim­mer­leu­te an­ge­wie­sen. Ich habe man­cher­lei durch das Volk aus­ge­rich­tet, und so ist es nicht ganz mei­ne Schuld, wenn ich in der Fer­ne mir ein­bil­de­te, mei­ne Luft­sch­lös­ser zu Hau­se mit ih­rer Bei­hil­fe wie­der auf­bau­en zu kön­nen.«

      »Es ist nicht das ers­te­mal, dass du mir die­ses sagst, seit du mich aus mei­ner Dach­stu­be ab­ge­holt hast. Ein je­der bleibt un­will­kür­lich in sei­nen Hand­werks­aus­drücken und was sonst zu den Küns­ten ge­hört, durch wel­che er durchs Le­ben kommt. Sonst aber gibt es eine Re­dens­art: Du sprichst über dein Herz weg; und so ist es au­ßer dem gu­ten Rat, den ich dir ge­ge­ben ha­ben soll, mei­ne Mei­nung, dass wir ge­gen­wär­tig Schloss Wer­den auf sich be­ru­hen las­sen, wie es ist, und dei­nen Va­ter und – dei­ne Schwes­ter nicht gleich am ers­ten Tage von neu­em über die Zeit mit der Sup­pe war­ten las­sen. Schloss Wer­den ha­ben wir ge­se­hen, se­hen wir uns also mor­gen den Stein­hof an. Der Mensch, in sei­nem Ge­mäu­er ge­fan­gen, be­sinnt sich lan­ge nicht oft ge­nug dar­auf, dass er lebt, Le­ben ist und es mit dem Le­ben­di­gen zu tun hat, so­lan­ge er lebt.«

      »Das soll­test du dru­cken las­sen, Frit­ze; das klingt ja ganz fa­mos!« sag­te der Ir­län­der, und dann gin­gen wir in der Tat end­lich nach Hau­se und ka­men wie­der ein­mal nicht ganz zur rech­ten Zeit. Es ließ sich aber nicht än­dern, und was wir dies­mal zur Ent­schul­di­gung vor­zu­brin­gen hat­ten, konn­te lei­der nur zu sehr als rechts­gül­tig an­ge­nom­men wer­den. Wir lo­gen dies­mal nicht, wenn wir zu un­se­rer Ent­schul­di­gung an­führ­ten, dass es uns un­mög­lich ge­we­sen sei, frü­her zu kom­men. – –

      Den lan­gen Som­mer­nach­mit­tag durch saß ich an ei­ner an­de­ren Stät­te der Erin­ne­rung, ne­ben dem Stein näm­lich, wel­chen die Ka­me­ra­den mei­nem Va­ter auf der Stel­le, wo er von den Schmugg­lern zu Tode ver­wun­det wor­den war, er­rich­tet hat­ten. Wenn die Bäu­me um das Schloss zum größ­ten Teil ver­schwun­den wa­ren und dem Ge­strüpp und Un­kraut Platz ge­macht hat­ten, so war hier der Wald be­trächt­lich em­por­ge­schos­sen, und ein schö­ner küh­ler Schat­ten lag auf dem bö­sen Ort. Da der Bo­den, wie ich ge­schrie­ben habe, ein we­nig sump­fig war, so war der Stein auch be­reits so ziem­lich dar­in ver­sun­ken und die In­schrift und Wid­mung dar­auf des Moo­ses und der Flech­ten we­gen kaum noch zu ent­zif­fern: er pre­dig­te mir wirk­lich auch noch die Ver­gäng­lich­keit al­ler Din­ge, die Nich­tig­keit al­ler Sor­gen, Wün­sche und Hoff­nun­gen, das Vor­beiglei­ten der Er­schei­nung, ge­ra­de – als ob das noch un­be­dingt not­wen­dig ge­we­sen wäre. Ich aber hielt ihm im Halb­traum nach der schwü­len Wan­de­rung durch Schloss Wer­den und nach dem Mit­tag­ses­sen eine Ge­gen­re­de, und die Wald­fri­sche tat wohl das meis­te dazu, dass wir ru­hig von­ein­an­der schie­den. Es spukt im­mer viel mehr in al­tem Ge­mäu­er als im jun­gen Laub­wal­de. Als ich nach dem Förs­ter­ho­fe zu­rück­kam, war der Vet­ter na­tür­lich längst da­selbst vom Gaul ge­stie­gen, und ich sah ihm so­fort an, dass er im Vor­beiglei­ten der Er­schei­nung et­was zu be­mer­ken hat­te, was er lie­ber mir zu sa­gen wünsch­te als dem Freun­de. Ich sah es je­doch auch der – Freun­din – ich sah es Eva Six­tus an, dass er mit der be­reits dar­über ge­spro­chen hat­te. Also be­glei­te­te ich ihn zum zwei­ten Male durch die Mond­schein­nacht und das Dorf Wer­den auf den Weg nach Hau­se; er aber sag­te:

      »Es ist auch Evas Mei­nung, dass du zu­erst al­lein zu uns kommst und nach­her erst un­se­ren Freund mit­bringst. Ich mei­nes­teils habe doch den Schul­meis­ter nicht lan­ge ge­nug ge­spielt, um ganz ge­nau und deut­lich in Wor­ten aus­drücken zu kön­nen, wie ich die Sach­la­ge an­se­he. Wie ich dir es vor­aus­sag­te, so war’s; ich fand Ire­ne noch wach, als ich ges­tern oder viel­mehr heu­te Mor­gen nach Hau­se kam; – ge­fragt hat sie nicht, aber ge­wusst hat sie gleich, dass ich ihr eine Neu­ig­keit mit­brach­te; – ›Fritz und Ewald sind da, Ire­ne!‹ habe ich ge­sagt, weil ich im­mer ge­fun­den habe, dass das Ein­fachs­te stets das Bes­te ist; – er­wi­dert hat sie ei­gent­lich nichts, aber sie ist wach ge­blie­ben und nicht mehr zu Bet­te ge­gan­gen. Die Magd hat mich ge­fragt, wes­halb die gnä­di­ge Frau in die­ser Nacht gar nicht zu Bet­te ge­gan­gen sei. – Du sagst, Dok­tor, dass ihr auf Schloss Wer­den es heu­te Mit­tag mit al­ler­hand Ge­s­pens­ter­spuk zu tun ge­habt habt; aber mei­ne Mei­nung ist, auf dem Stein­ho­fe sind auch al­ler­lei Geis­ter, und zwar nicht von der bes­ten Sor­te, um­ge­gan­gen! Wie viel ru­hi­ger leb­ten wir in der Welt, wenn wir uns nicht im­mer aus un­se­rem Schick­sal un­se­re Reue und un­se­re Ge­wis­sens­bis­se zu­recht­schnit­ten – stets in dem Ge­fühl, uns sel­ber nie das ge­rings­te ver­ge­ben zu


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