Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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am Ende gern die Vor­hand ge­las­sen. Was er her­aus­schlägt, soll ger­ne ihm ge­hö­ren; es wird kei­ner in der Ge­mein­de sein, der es ihm miss­gönnt. Als er heu­te Mor­gen die Schlüs­sel bei mir ab­hol­te, habe ich sie ru­hig her­ge­ge­ben; denn ich weiß ja, dass das Schrift­li­che dar­über eben­so ru­hig in Bo­den­wer­der beim No­tar Spind­ler liegt. Da brauch­te ich kei­ne wei­te­re Si­cher­heit. Herr­je, nun guck aber ei­ner, jetzt ha­ben wir bald das hal­be Dorf, als ob es der Hir­te zu­sam­men­ge­tu­tet hät­te, hier auf dem Förs­ter­ho­fe zur Gra­tu­la­ti­on ver­sam­melt.«

      Dem war in der Tat so. Was in der Stu­be kei­nen Platz mehr fand, das dräng­te sich we­nigs­tens vor der Haus­tür und ver­such­te in die Fens­ter zu se­hen. Alte und Äl­te­re er­neu­er­ten frü­he­re gute Be­kannt­schaft. Was wir als hüb­sche jun­ge Wer­de­ner Schul­mäd­chen ge­kannt hat­ten, das wur­de uns als mehr oder we­ni­ger wohl­ge­die­he­ne Haus­frau­en zu­ge­scho­ben.

      »Na, zie­re dich nur nicht, Han­ne; bist ja frü­her ganz ver­trau­lich mit den Her­ren ge­we­sen!«

      Kin­der, die wäh­rend un­se­rer Ab­we­sen­heit das Licht der Welt er­blickt hat­ten, wur­den uns zu Dut­zen­den vor­ge­führt oder auf den Ar­men hin­ge­hal­ten. Wir ver­nah­men von orts­ein­ge­bo­re­nen Tau­ge­nicht­sen bei­der­lei Ge­schlechts, die gleich wie wir in die Frem­de ge­gan­gen wa­ren, aber sich »Gott sei Dank bis an­jetzt noch nicht wie­der im Dor­fe hat­ten bli­cken las­sen«. Zu­tun­lich – ver­schämt-zu­trau­lich wa­ren sie al­le­samt; das Reich­lichs­te aber, was wir von ih­nen be­ka­men, das war gu­ter Rat; – frei­lich, wenn ich hier sage wir, so ist das wohl nicht ganz rich­tig. Da lief ich nur so bei­läu­fig mit, und die Haupt­per­son war selbst­ver­ständ­lich Freund Ewald Six­tus, und der hat­te bald alle sei­ne Ge­duld und Lie­bens­wür­dig­keit zu­sam­men­zu­su­chen, um nicht mit den El­len­bo­gen sich Raum zu ma­chen durch die Freund­schaft und Be­kannt­schaft der Man­nen von Dorf Wer­den.

      Ich muss ihn aber lo­ben, den Herrn von Schloss Wer­den. Er hielt all die­ser Weis­heit, Klug­heit und Schlau­heit ge­gen­über so sanft und sanft­mü­tig still, dass er jed­we­der an­de­ren ko­chen­den Un­ge­duld als ein wah­res Mus­ter von Selbst­be­herr­schung und Er­ge­bung hin­ge­stellt wer­den durf­te. Jed­we­dem ein­zel­nen, der ihn mehr oder we­ni­ger ver­traut am Knopf nahm und ihm ver­blümt aus­ein­an­der­setz­te, wie dumm er ge­we­sen sei und was er ei­gent­lich an Schloss Wer­den er­han­delt habe, ver­sprach er aufs glaub­wür­digs­te, ihn so bald als mög­lich auf sei­nem Ko­t­ho­fe in der Abend­däm­merung zu be­su­chen, um das Ge­naue­re über die Sa­che zu ver­neh­men. Der Va­ter Six­tus schenk­te mit im­mer un­ver­hoh­le­ne­rem Wohl­be­ha­gen fort­wäh­rend im Krei­se am Ti­sche ein und sah im­mer mehr aus, als kit­ze­le ihn je­mand. Der Ta­baks­qualm wur­de un­ge­ach­tet der of­fe­nen Fens­ter und Tür im­mer dich­ter, und Eva Six­tus – zog mich auf ein­mal in den Win­kel dicht an die alte Wand­uhr, die der Vet­ter Just so vor­treff­lich wie­der in Gang ge­bracht hat­te, und flüs­ter­te:

      »Fritz, es ist auch aus mei­nem Bru­der – aus Ewald ein gu­ter und vor­neh­mer Mann ge­wor­den. O, wie es auch kom­men wird, lie­ber Fritz, wir kom­men alle noch zu­recht im Dor­fe und auf dem Stein­ho­fe und mit dem ver­zau­ber­ten Schloss da drü­ben. Ich muss gleich wie­der die Trep­pe hin­auf, um noch ein paar Würs­te aus dem Rau­che zu ho­len; aber es ist doch wie ein Mär­chen, und ich sehe klar wie in ei­nem Spie­gel mich und uns alle! O, es ist schön, dass ihr nach Hau­se ge­kom­men seid, und vor al­lem, dass mein Bru­der sei­nen Her­zens­wil­len durch­ge­setzt hat (wenn er sich der­wei­le auch nicht um uns küm­mern konn­te!) und dass Ire­nes Hei­mat­haus kei­nem Frem­den mehr ge­hört. Sie kann nun dar­über ent­schei­den, und ich könn­te wohl sa­gen, wie ich es mir den­ke, wie es kom­men wird; aber du siehst sel­ber, ich habe wirk­lich in die­sem Tu­mult kei­ne Zeit dazu, und was ich dir da eben ge­sagt habe, weiß ich sel­ber kaum; aber du kannst dir wohl den­ken, dass ich den Bru­der seit ges­tern Abend kei­nen Au­gen­blick aus den Ge­dan­ken frei­ge­ge­ben habe, und ich bin so sehr glück­lich über ihn, und ich bin fest über­zeugt, der Va­ter freut sich auch!«

      Nach und nach ver­lief sich der freund­schaft­li­che Schwarm der Dör­f­ler wie­der, und nur ein paar gänz­lich be­schäf­ti­gungs­lo­se Leib­züch­ter blie­ben fest sit­zen, da sie ein­mal sa­ßen; aber die Un­ter­hal­tung zwi­schen ih­nen und dem Förs­ter ge­riet doch wie­der in das ge­wohn­te Ge­lei­se. Der Ta­baks­qualm ver­zog sich ein we­nig, Eva räum­te den Tisch ab, und Ewald seufz­te, reck­te und dehn­te sich, pack­te mich plötz­lich stumm am Arme, führ­te mich vor die Haus­tür, wo ich auch seufz­te und mehr als einen be­frei­en­den Atem­zug tat und wo er sag­te:

      »Komm mit, ho­ney! Was ha­ben wir denn heu­te ei­gent­lich für ein Wet­ter?«

      Ich sah den wun­der­li­chen Freund ziem­lich er­staunt ob die­ser Fra­ge an; er aber mein­te:

      »Mir tan­zen alle Far­ben vor den Au­gen. Rot, grün und gelb schwimmt es mir vor dem Ge­sich­te; und ich habe eine bit­te­re Ah­nung, dass ein recht trüb­se­li­ges Grau aus alle dem bun­ten Wirr­warr wer­den wird. O Dok­tor, wie ein­fach blau sah ich ein­mal das al­les – näm­lich die­ses al­les hier um uns her­um! Ach, Fritz, ich fürch­te, ich fürch­te, es war eine Täu­schung, es war eine Dumm­heit von mir! Sie wird sich nicht hin­set­zen wol­len an dem Her­de, den ich ihr in ih­res Va­ters Hau­se wie­der auf­bau­en woll­te! Dam­my, Lan­greu­ter, wie ganz an­ders sieht sich so was aus der Fer­ne an als in nächs­ter Nähe! Komm mit nach dem al­ten Nes­te! Den Schlüs­sel habe ich im Schlos­se ste­cken las­sen.«

      Zehntes Kapitel

      Das Wet­ter, nach dem sich der ir­län­di­sche Freund so­eben zu mei­ner zwei­feln­den Über­ra­schung er­kun­digt hat­te, ließ wirk­lich nichts zu wün­schen üb­rig auf un­se­rem Wege nach dem »ver­zau­ber­ten« Schloss und wäh­rend un­se­res Auf­ent­halts da­selbst an die­sem be­weg­ten Mor­gen. Still, blau und wol­ken­los spann­te sich der Äther, so­weit er zu er­bli­cken war, über die un­ru­hi­ge Welt. Es war eben schon ziem­lich heiß; mir aber kam es wun­der­bar treu von neu­em in die See­le auf dem Wege, wie und un­ter wel­chen Um­stän­den und bei wel­cher Tem­pe­ra­tur ich zum ers­ten Mal das einst so statt­li­che fes­te Haus des al­ten Ge­schlech­tes de­rer von Ever­stein er­blickt hat­te.

      Jetzt be­tra­ten wir den Hof wie­der durch das Haupt­tor, durch wel­ches am To­des­ta­ge des Va­ters der Wa­gen, der den gu­ten Ka­me­ra­den, die Mut­ter und mich trug, ein­ge­fah­ren war. Zu die­ser Tür hat­te der jet­zi­ge Be­sit­zer und Herr kei­nen Schlüs­sel nö­tig; sie stand weit ge­nug of­fen. Die ei­ser­nen Git­ter wa­ren aus­ge­ho­ben, die Wap­pen mit dem Eber­kop­fe ab­ge­mei­ßelt, und was die letz­te­ren an­be­traf, so hat­te der vor­letz­te Ei­gen­tü­mer si­cher­lich nicht ge­wusst, »warum er sich auf sei­nem Grund­stücke durch die frem­de Fir­ma är­gern las­sen soll­te«. – Über wohl­er­hal­te­ne Pflas­te­rung war vor­dem un­se­re Kut­sche ge­ras­selt, die Stei­ne wa­ren nun­mehr meis­tens ver­schwun­den und mach­ten wahr­schein­lich im Dor­fe jetzt al­ler­lei be­denk­li­che Pfa­de den Bau­ern bei Re­gen und Tau­wet­ter gang­ba­rer. Aber schö­ne Bren­nes­seln wuch­sen über­all, auch Klet­ten und Dis­teln hat­ten nicht ein­ge­se­hen, wes­halb ge­ra­de sie drau­ßen blei­ben soll­ten, da doch al­les üb­ri­ge, was Lust hat­te, frei kom­men durf­te.

      Noch führ­te die brei­te Trep­pe zu der Ram­pe em­por, die sich, wie ich zu Ein­gan­ge die­ser Ge­schich­ten von den al­ten Nes­tern


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