Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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und Ge­dan­ken dazu, so kommt es mir bei bes­se­rer Über­le­gung als das Wah­re, dass die wah­ren Men­schen und Weibs­leu­te doch im­mer das Sel­tens­te in der Welt sind und blei­ben. Was zur ho­hen Jagd ge­hört, das läuft nicht wie die Ha­sen im Fel­de. Üb­ri­gens hat mir der Vet­ter Just da nur Gu­tes von dir er­zählt, Fritz­chen Lan­greu­ter, und das hat mich wirk­lich recht ge­freut, und wir spre­chen wohl noch wei­ter dar­über. Als du hier auf dem Bo­den mir zwi­schen den Bei­nen her­um­kro­chest, dei­nem Ball und sons­ti­gem Spiel­werk nach, da hät­te dir kei­ner an der Nase an­ge­se­hen, dass wahr­haf­tig ein Dok­tor und noch dazu nicht ein blo­ßer me­di­zi­ni­scher, die ich mir doch gott­lob nie­ma­len habe an den Leib kom­men las­sen, in dir steck­te. Und nun sage mal, Fritz, ich hof­fe doch, du nimmst hier mit uns vor­lieb und Quar­tier; – auf ei­nes da bei dem vor­neh­men Herrn von Schloss Wer­den wür­de ich in die­ser Nacht lie­ber doch nicht all­zu fes­te rech­nen. He, oder er will wohl gar auch noch ein­mal sich in dem al­ten Bau ver­klüf­ten, Mus­jeh Ewald Six­tus? Von Rechts we­gen ge­hört er frei­lich nicht mehr hin­ein; aber da fährt das dum­me Mäd­chen schon wie­der mit dem Schür­zen­zip­fel nach den Au­gen, und so will ich denn lie­ber wei­ter nichts ge­sagt ha­ben als: na, Ev­chen, denn schüt­te den bei­den dum­men Jun­gen eine Streu auf, und vor al­len Din­gen sor­ge für’n an­stän­dig Abend­brot. Der Vet­ter Just kann bei Mond­schein rei­ten, den Nar­ren von Eng­län­der da mag ich im­mer noch nicht recht an­se­hen, aber der ge­lehr­te Dok­tor kommt mir selbst bei die­ser zu­neh­men­den Däm­me­rung so­zu­sa­gen recht ab­ge­hun­gert vor, wor­an denn wohl hof­fent­lich nur al­lein sei­ne Ge­lehr­sam­keit und sei­ne lan­ge Ab­we­sen­heit in Ber­lin schuld ist.«

      In die­sem Au­gen­blick schüt­tel­te sich der »Narr von Eng­län­der«, das rich­ti­ge Wer­de­ner Kind, der ir­län­di­sche Brücken­bau­er und Tun­nel­wüh­ler Ewald Six­tus wie ein – un­bot­mä­ßig ge­we­se­ner Pu­del, der sei­ne Prü­gel weg hat und sich wie­der in al­ter Be­hag­lich­keit und im frü­he­ren ge­müt­lich-drol­li­gen Ver­hält­nis zu sei­ner Um­ge­bung fühlt. Aber es kam noch bes­ser. Wie es zu­ging, konn­te nach­her wohl kei­ner uns ge­nau an­ge­ben; aber das Fak­tum stand fest: mit ei­nem Male hielt der Sohn den Va­ter im Arme wie eine Braut – ja bes­ser, herz­er­freu­li­cher, zärt­li­cher und wei­cher und fes­ter als wie solch ein weich­li­ches, hüb­sches, zärt­li­ches Ding von Mäd­chen!

      Und was das al­ler­bes­te war, der alte Wald­mensch ließ es sich ge­fal­len und wur­de nicht grob oder zier­te sich.

      »Ewald, mein Jun­ge!« stot­ter­te er lei­se. »O du Al­ler­welts­sch­lin­gel, bist du es denn wirk­lich und wahr­haf­tig?… Na, na, schon gut, schon gut! Willst du mich nun auch noch zu ei­nem al­ten Wei­be ma­chen?… Zu al­lem üb­ri­gen?!… So sprich doch du ein Wort dazu, Just Ever­stein. So sagt ihm doch, ihr an­de­ren alle, dass es mir recht sein soll, wenn er ge­han­delt hat, wie er es ver­stand!… Mein Jun­ge, mein lie­ber Jun­ge, – so bring doch Licht her­ein, Eva, Mäd­chen, auf dass man – wir – ich ihn end­lich mal wie­der voll zu Ge­sich­te krie­ge!… Von dem al­ten Kas­ten, dem Schloss Wer­den, und von der lie­ben Grä­fin müs­sen wir ja auch noch bei Lich­te re­den!… Also ein Six­tus bist du ge­we­sen und ge­blie­ben, weil du nichts da­für ge­konnt hast?… Mein Jun­ge, mein nichts­nut­zi­ger Gal­gen­strick bist du im­mer ge­blie­ben?… Und Schloss Wer­den hast du wirk­lich, und es ist kein dum­mes Zeug, son­dern die rei­ne, vol­le Wahr­heit? Was wür­de der Herr Graf sa­gen, wenn er in die­sem Au­gen­blick dort wie­der auf sei­nem Plat­ze sit­zen wür­de? Und die Grä­fin – Fräu­lein – Frau Ire­ne? Ewald, sie sitzt ja auf dem Stein­ho­fe bei dem Vet­ter Just Ever­stein, was wird sie dazu sa­gen, dass der Spiel­ka­me­rad aus der Wer­de­ner Förs­te­rei die vier lee­ren Mau­ern ih­res Va­ter­hau­ses der letz­ten Rui­nie­rung ab­ge­won­nen hat?«

      Der Freund hat­te, wie der spä­tes­te Le­ser mer­ken wird, im­mer­fort in die Wor­te des Grei­ses hin­ein­ge­spro­chen; doch Pa­pier­ver­schwen­dung wür­de es ge­we­sen sein, wenn ich auch sei­ne bruch­stück­haf­ten Er­äu­ße­run­gen hier hät­te wie­der­ge­ben wol­len.

      Nun brach­te Eva die Lam­pe, und der Klapp­tisch wur­de nach ewi­ger Ge­wohn­heit vom Fens­ter in die Mit­te der Stu­be ge­scho­ben, und ein je­der von uns bei­den, d. h. Meis­ter Ewald Six­tus und ich, Fried­rich Lan­greu­ter, saß wie­der ein­mal vor sei­nem Na­men, den er vor zwan­zig Jah­ren in die Plat­te ein­ge­schnit­ten hat­te. Wir wa­ren al­le­samt be­trächt­lich in die Jah­re hin­ein­ge­ra­ten, seit wir zu­letzt an die­sem Ti­sche so zu­sam­men­ge­ses­sen; aber ein schö­ne­res, fri­sche­res Bild als die­sen weiß­haa­ri­gen Va­ter Six­tus zwi­schen sei­nen bei­den Kin­dern gab es nicht. Neun Uhr schlug die Wand­uhr, und bei ih­rem Schlag sa­hen so­wohl der ir­län­di­sche In­ge­nieur wie auch der Ber­li­ner Dok­tor der Welt­weis­heit auf und atem­los sich um. Wir hat­ten wahr­lich nicht nö­tig, ein­an­der an­zu­sto­ßen und zum Still­sein auf­zu­for­dern, bis die neun schril­len Schlä­ge ver­hallt wa­ren und das Ding sein Tick­tack wei­ter in die Zeit hin­ein fort­setz­te.

      »Es ist rei­ne­wegs wun­der­bar!« seufz­te Ewald.

      »In die­sem Früh­jahr hat sie ein­mal ge­ra­de­so wie ich auf ihre Pen­sio­nie­rung an­ge­tra­gen«, sag­te der Va­ter Six­tus. »Es ist der Tau­send­künst­ler da, der Vet­ter Just, der sich ih­rer Al­ters­schwä­che er­barmt und sie in die Kur ge­nom­men hat. Nicht wahr, Just, es hat dich mehr als einen sau­ren Schweiß- und Angst­trop­fen ge­kos­tet, sie noch ein­mal auf die Bei­ne zu brin­gen? Ach, ta­ge­lang ist er je­den Tag her­über­ge­rit­ten und hat den Uhren­dok­tor ge­spielt, und dass er wie­der­um ein Meis­ter­stück ge­macht hat, das habt ihr bei­den an­de­ren so­eben mit ei­ge­nen Ohren ver­nom­men.«

      »Ich habe nichts lie­ber ge­tan«, mein­te der Vet­ter lei­se und mit ei­nem scheu­en, zärt­li­chen Sei­ten­blick auf Eva. »Es war ja mei­ne ei­ge­ne bit­te­re Er­fah­rung, als ich von der Va­ga­bon­da­ge nach Hau­se, nach dem Stein­ho­fe heim­kam und sie mir al­les ver­tra­gen und ver­schleppt hat­ten. Und wenn al­les üb­ri­ge doch nur was To­tes ist, dem wir sel­ber un­se­re Stim­me ge­ben müs­sen, wenn es spre­chen soll, so ist es mit so ei­ner Uhr ganz und gar ein an­de­res, was in al­les, was dir pas­siert von der Wie­ge an, mit her­ein­re­det. Ich will mit kei­nem Men­schen et­was zu tun ha­ben, der die Stu­ben­uhr aus sei­nes Va­ters Hau­se aus Not ver­kauft, wenn er vor­her noch et­was an­de­res zu ver­schleu­dern hat­te. Und wäre ich nicht der Bau­er vom Stein­ho­fe, so möch­te ich nur ein Uhr­ma­cher sein, aber ein wan­dern­der, der von Dorf zu Dor­fe sei­ner Kunst nach­geht. Mein se­li­ger Va­ter war ein ver­schwie­ge­ner Mann – Sie wis­sen das, Herr Ober­förs­ter –, aber wenn er den Uhr­ma­cher auf dem Hofe hat­te, kam er im­mer ins Er­zäh­len, und es war im­mer ein Wun­der, wie viel die Fa­mi­lie er­lebt hat­te, ohne dass we­der mei­ne Mut­ter noch sonst ir­gend­ein Mensch auf dem Stein­ho­fe eine Ah­nung da­von ge­habt hat­te.«

      Der alte Förs­ter kratz­te sich lä­chelnd hin­ter dem Ohre:

      »Und was ha­ben wir ge­tan, Just, wäh­rend der Tage, wo du neu­lich den wan­dern­den Uhr­ma­cher hier bei uns ge­spielt hast? Hier, Ev­chen, Mäd­chen, wie ha­ben wir bei­de hier auf der Förs­te­rei uns bei eben­so be­wand­ten Um­stän­den, will sa­gen, als wir den Uhr­ma­cher im Hau­se hat­ten, ver­hal­ten?«

      Es schi­en mir, als ob der Vet­ter Just jetzt ver­stoh­len zu mir her­über­schaue; über Evas lie­bes Ge­sicht flog es wie ein Er­rö­ten, doch ver­le­gen wur­de sie nicht. Sie reich­te dem Vet­ter vom Stein­ho­fe un­be­fan­gen


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