Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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al­ten Se­li­gen ge­we­sen, und der hät­te oft klü­ger sein sol­len als der dum­me tol­le Jun­ge aus der Förs­te­rei. Da ist der lie­ben Frau Lan­greu­ter ih­rer ganz an­ders ge­we­sen und sitt­sa­mer; aber sie sa­gen, der hat es auch di­cke hin­ter den Ohren ge­habt und ist ein Pro­fes­sor ge­wor­den und wohnt jetzt, was man nennt, in Ber­lin. Ja, so wer­den aus Kin­dern Leu­te, und ich habe es als jun­ge Frau auch nicht ge­dacht, dass ich als alte Frau mal fünf En­kel­kin­der mit Ta­ge­löh­ner­ar­beit und Hun­ger und Kum­mer groß­zie­hen müss­te. Aber die Her­ren las­sen mich da schwat­zen, und ich ste­he da auch und schwat­ze, als wäre ich wie von oben her und vom Pfän­der dran­ge­kriegt, und – – o du mei­ne Güte – o liebs­ter Him­mel – jetzt fal­le ich um! Das sind Sie!… Das sind Sie ja sel­ber, der klei­ne Fritz und der – Herr Ewald! Und so ge­wach­sen! Sol­che Her­ren! Und wirk­lich noch im le­ben­di­gen Le­ben! Und wie wird sich der alte Herr Va­ter und die Schwes­ter freu­en, Herr Six­tus. Und die Schwes­ter – ich mei­ne Fräu­lein Eva, hat noch im­mer nicht ge­freit. Je­der­mann im Dor­fe wun­dert sich dar­über –«

      Der In­ge­nieur hielt die Alte am Obe­r­arm und fing an, sie zu schüt­teln, um dem Über­maß der Ge­fühls­äu­ße­run­gen ein Ende zu ma­chen. Das Her­ein­spre­chen in den Schre­cken, die Ver­wun­de­rung und die zit­tern­de Hast, sich an­ge­nehm zu ma­chen, half zu gar nichts wei­ter, als dass sich gar noch das hel­le Schluch­zen und Schlu­cken in den Re­de­schwall misch­te –

      »Herr, mach ein Ende!« stöhn­te fast eben­so er­regt wie das graue Weib­lein der Wer­de­ner Ir­län­der. »Alle Ha­gel, da ist ja ganz das Ende weg! Wit­we War­ne­ke, ho­ney, liebs­tes, bes­tes al­tes Mäd­chen, ja, wir sind wie­der da, und es ist mir im höchs­ten Gra­de er­freu­lich, dass Sie die ers­te ist, die mir hier auf mei­nem Grund und Bo­den – weiß Sie was? Sie kriegt einen Ta­ler von mir, wenn Sie jetzt auch mich und den Herrn Dok­tor Lan­greu­ter hier auf eine hal­be Mi­nu­te zu Wor­te kom­men lässt!«

      Die Alte duck­te sich. Sie saß nie­der ne­ben ih­rer Trag­kie­pe im Kraut und Un­kraut des Par­kes von Schloss Wer­den. Sie starr­te zu uns em­por von ei­nem zum an­de­ren:

      »Ach Gott, ach Gott, ist das eine Freu­de! Und wie wer­den sich der Herr Va­ter und Fräu­lein Eva und die gnä­digs­te Grä­fin auf dem Stein­ho­fe freu­en! Das Fut­ter aber ha­ben sie sich alle im Dor­fe hier im Schloss­gar­ten ge­holt, seit kei­ne Herr­schaft da­ge­we­sen ist. Und der Herr Graf soll sich nur des Nachts ums Schloss her­um und da in dem Gan­ge, wo zu sei­ner Zeit die di­cken Lin­den­bäu­me stan­den, ha­ben se­hen las­sen!«

      »Wohnt denn nie­mand mehr in dem Hau­se da?« frag­te ich zö­gernd und be­klom­men.

      »Wer soll­te denn da woh­nen? Seit fünf Jah­ren hat es ja kei­nen rich­ti­gen Herrn mehr ge­habt, son­dern ist nur im­mer auf dem Pa­pier wei­ter­ge­ge­ben. Aber vor vier­zehn Ta­gen ist die alte fran­zö­si­sche Mam­sell – von des Herrn Gra­fen Se­li­gen Zei­ten her –, die Mam­sell Mar­tin mal vom Stein­ho­fe ’r­über­ge­kom­men und ist drum­her­um­ge­gan­gen und hat in die Fens­ter ge­se­hen – bei Tage, nicht zur Nacht- und zur Spu­ke­zeit – und hat ge­weint.«

      »Und mei­ne Schwes­ter?« frag­te Ewald Six­tus, und die Wit­we War­ne­ke sah sehr ver­wun­dert von neu­em scheu ihn an.

      »Ja­wohl, Fräu­lein Eva ist mit ihr ge­we­sen und hat mit ihr nach­her lan­ge auf ei­ner der Stein­bän­ke ge­ses­sen. Das hal­be Dorf aber hat nur von fer­ne zu­ge­se­hen; wir ha­ben das fran­zö­si­sche Par­lie­ren der al­ten fran­zö­si­schen Mam­sell ja doch nie­ma­len recht ver­stan­den.«

      »In mei­nem gan­zen Le­ben ist mir die rote Abend­son­ne, wie sie jetzt hier rund­um auf al­lem und vor al­lem dort auf den Mau­ern und Fens­tern liegt, nicht so spuk­haft und ge­spens­ter­haft öde und schwül vor­ge­kom­men wie jetzt, Fritz«, sag­te der neue Herr von Schloss Wer­den, jetzt mei­nen Arm fas­send und mich schüt­telnd. »Es ist mir wie ein Traum, dass ich den Be­sitz­ti­tel ver­mit­telst der Ma­the­ma­tik und der Arith­me­tik bei hel­lem, nüch­ter­nem Mit­ta­ge und klar und kühl nächt­li­cher­wei­le über dem Reiß­brett und dazu ver­mit­telst des Lon­do­ner Pa­tent­am­tes er­wor­ben habe. Wit­we War­ne­ke, wer hat den Schlüs­sel von Schloss Wer­den?«

      »Genau kann ich das wohl nicht sa­gen; aber der Vor­ste­her wird es ja wis­sen, Herr E – ach, ich weiß ja auch gar nicht ein­mal, wie ich Sie jetzt an­re­den und be­ti­tu­lie­ren soll, und bit­te, es nicht übel­zu­neh­men. Aber im Gar­ten­saa­le ist ein Fens­ter­flü­gel her­aus­ge­fal­len und mit Lat­ten ver­na­gelt. Aber die ha­ben die Jun­gens und der Wind bald wie­der lose ge­macht, und –«

      »So ist ei­gent­lich eine Tür und ein Schlüs­sel dazu die letz­ten Jah­re hin­durch für das Dorf Wer­den ziem­lich über­flüs­sig ge­we­sen«, brumm­te der In­ge­nieur. »Viel bes­ser als hier her­um im Gar­ten sieht es drin­nen im Hau­se wohl nicht aus, old girl?«

      Die Alte hob nur stöh­nend und ängst­lich die Hän­de:

      »Her­re, Herr, für mein Teil will ich es vor je­dem Ge­rich­te be­schwö­ren –«

      »Was meinst du, Fritz, sol­len wir gleich­falls durch das Saal­fens­ter Be­sitz von dem neh­men, was noch brauch­bar von Schloss Wer­den ist? Zu dem Dor­fe ge­hö­re ich doch auch und ta­xie­re mich um kein Haar­breit bes­ser als das üb­ri­ge sau­be­re Ge­sin­del! O Ire­ne, Ire­ne, mei­ne schö­ne, stol­ze, wil­de Ire­ne!… Und der Herr Graf hat sich um Mit­ter­nacht dort auf der Vor­trep­pe bli­cken las­sen! Ma­de­moi­sel­le Mar­tin hat­te es ver­hält­nis­mä­ßig noch gut. Sie konn­te sich dreist hin­set­zen und ihre Trä­nen flie­ßen las­sen, ohne sich lä­cher­lich zu ma­chen. Das ist ja rein zum Ver­rückt­wer­den! Sage es dreist her­aus, Lan­greu­ter, wenn dir zur Stun­de mein Ei­gen­tums­recht hier be­nei­dens­wert, wün­schens­wert und sol­cher bit­ter­schwe­ren Le­bens­ar­beit wert er­scheint. Ich über­las­se dir mit Ver­gnü­gen Kauf­brief, Ge­füh­le, Stim­mun­gen und – woll­te – woll­te – ja, was woll­te ich denn?! Wit­we War­ne­ke, sehe Sie mich mal ganz ge­nau an, wenn Sie einen rich­ti­gen Spuk se­hen will. Ich kom­me als ver­hex­ter Mann aus der Frem­de und gehe am hel­len Tage um Schloss Wer­den und durch Dorf Wer­den als Ge­s­penst um. Fra­ge Sie nur die Leu­te im Förs­ter­hau­se und die – Frau auf dem Stein­ho­fe und – den Vet­ter Just.«

      »Ach Je­ses, Herr Ewald, ich kann Sie ja wirk­lich nicht so spre­chen hö­ren; und die an­de­ren wer­den es auch nicht kön­nen!« sag­te das alte Weib­chen mit zit­ternd ge­fal­te­ten Hän­den und sprach da­mit ein bra­ves, aber we­nig tröst­li­ches Wort.

      Sechstes Kapitel

      Ohne den Schlüs­sel vom Vor­ste­her zu ho­len, gin­gen wir jetzt im letz­ten Schei­ne der Abend­son­ne um das Schloss Wer­den her­um: Ewald Six­tus, ich und die Wit­we War­ne­ke, letz­te­re mit ih­rer hoch­be­pack­ten Kie­pe auf dem vom Al­ter ge­krümm­ten Bu­ckel. Wir zwei an­de­ren aber tru­gen frei­lich die schwe­re­re Last.

      Das schö­ne, rote Son­nen­un­ter­gangs­licht spie­gel­te sich doch noch auf der west­li­chen Sei­te des al­ten, einst so statt­li­chen Her­ren­sit­zes in den er­blin­de­ten, zer­sprun­ge­nen Schei­ben des Ober­stockes. Und wir sa­hen eben­so scheu zu den Fens­tern von Schloss Wer­den em­por wie das Volk aus dem Dor­fe, wenn es sei­ne ver­stoh­le­nen Wege hier­her führ­ten und ehe es in die mit lo­sen Lat­ten ver­schla­ge­ne Öff­nung stieg und Furcht hat­te – vor dem se­li­gen Herrn Gra­fen.

      Wie


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