Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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den Zäh­nen auf der Un­ter­lip­pe und der Fal­te zwi­schen den Au­gen­brau­en, mein ar­mer Ju­gend­freund, stand in die­sem Mo­ment vor sei­nem schwer er­run­ge­nen Be­sitz und wuss­te sei­ne ver­zau­ber­te Prin­zes­sin eben­so­we­nig zu fin­den wie der när­ri­sche Gei­ger die sei­ni­ge un­ter den Spieß­bür­gern, wohl­mei­nen­den gu­ten Be­kann­ten und den Zi­geu­nern der wa­cke­ren Stadt Fin­ken­ro­de. Die er­blin­de­ten Schei­ben des Schlos­ses Wer­den konn­ten ihm nur sei­ne ei­ge­nen grim­mig-rat­lo­sen Mie­nen wi­der­spie­geln, und er wen­de­te sich, zuck­te die Ach­seln und sag­te:

      »Die­ses nützt zu nichts, lie­ber Freund. Da hat Sie einen Ta­ler, Wit­we War­ne­ke, alte Freun­din, da­mit doch ein Mensch aus der ge­gen­wär­ti­gen Mi­nu­te sein Ver­gnü­gen zieht. Und nun sche­re Sie sich nach Hau­se und brei­te es mit mög­lichs­ter Rasch­heit im Dor­fe aus: der tol­le dum­me Jun­ge, der Mon­sieur Ewald aus der Förs­te­rei, sei aus der Frem­de heu­te heim­ge­kom­men, sei der Herr von Schloss Wer­den und habe sich so­eben sein Be­sitz­tum – von au­ßen be­se­hen. Was uns bei­de an­be­trifft, Fritz, so ge­hen wir auch wohl wei­ter, aber et­was lang­sa­mer. Was wür­de ich dar­um ge­ben, wenn ich jetzt eine be­kann­te haa­ri­ge, brau­ne, bra­ve Faust am Kra­gen fühl­te und dazu das alte be­kann­te Wort ver­näh­me: Auf der Stel­le scherst du dich jet­zo nach Hau­se, du Lüm­mel; dir wer­de ich so­fort wie­der mal zei­gen, wie der Papst Six­tus der Fünf­te an dir ge­han­delt hät­te, wenn du sein Jun­ge ge­we­sen wä­rest, du heil­lo­ser He­rum­trei­ber und Tau­ge­nichts, du!«

      War auf der einen Sei­te eine neue Mau­er um den frü­he­ren Park des Schlos­ses ge­zo­gen, so fan­den sich an an­de­ren Stel­len nie­der­ge­tre­te­ne und durch­bro­che­ne He­cken ge­nug, durch wel­che man den Aus­gang neh­men moch­te.

      Noch zog sich ziem­lich in der al­ten Wei­se der Weg ge­gen das Dorf und die am Ein­gang des­sel­ben ge­le­ge­ne Förs­te­rei hin.

      Die Wit­we hat­te sich das Wort Ewalds nicht zum zwei­ten Mal sa­gen las­sen. Sie bog auf ei­nem Sei­ten­pfa­de zur Lin­ken ab und war trotz ih­res Al­ters in ei­nem kur­z­en, keu­chen­den Tra­be uns bald ent­schwun­den, um die Nach­richt von ei­nem ih­rer haupt­säch­lichs­ten Le­bens­er­leb­nis­se im Dor­fe zu ver­brei­ten und ih­ren Ta­ler als Wahr­zei­chen im Krei­se her­um­zu­wei­sen. Wir bei­de stan­den vor den Hof­tor­pfos­ten des Förs­ter­hau­ses, und der Be­sit­zer von Schloss Wer­den nahm den Hut ab, fuhr mit dem Ta­schen­tu­che über die Stirn und sag­te:

      »Es ist doch ein merk­wür­dig schwü­ler Som­mer.«

      Da lag in der Abend­däm­merung und der Däm­me­rung der weitäs­ti­gen Rüs­tern das gute Hei­mat­haus. Nur die Bäu­me wach­sen, nicht aber das, was der Mensch er­baut. Letz­te­res scheint stets nied­ri­ger, en­ger ge­wor­den zu sein, wenn man es nach län­ge­rer Ab­we­sen­heit wie­der­erblickt. Und man braucht dazu es gar nicht als Kind ver­las­sen zu ha­ben. Auch der Er­wach­se­ne geht fort und lässt ge­nau be­kann­te Stät­ten hin­ter sich, und wenn er wie­der­kehrt, so wun­dert er sich. Er be­rührt noch wie frü­her mit aus­ge­streck­ter Hand die De­cke über sei­nem Kop­fe; aber die Bal­ken ha­ben sich doch ge­senkt, die Wän­de ha­ben sich doch zu­sam­men­ge­zo­gen. Aber der Wert der Din­ge steigt und dehnt sich für den wah­ren Men­schen ge­ra­de dann im um­ge­kehr­ten Ver­hält­nis. Wel­cher me­lo­di­sche Lärm geht über das klim­pern­de Ge­tön, wel­ches das alte Kla­vier in sei­ner Ecke aus sei­nem esche­nen Ge­häu­se von sich gibt? Wir dach­ten auf dem Heim­we­ge über Land und See dar­an und hat­ten Lust, uns in al­ter Wei­se lus­tig dar­über zu ma­chen, und wir ha­ben in kei­nem Kon­zert­saa­le der Welt Lau­te ver­nom­men, die uns so an das Herz grif­fen wie das schril­le Klin­gen die­ser Sai­ten, über die wir end­lich, end­lich wie­der ein­mal mit den zit­tern­den Fin­gern grei­fen dür­fen.

      Von Ver­fall, Mo­der und Ruin soll hier aber nicht die Rede sein. Wie ein be­hag­li­cher Greis im Groß­va­ter­stuhl rutscht so ein Haus in sich zu­sam­men und lässt al­lem jun­gen Pfos­ten-, Spar­ren- und Bal­ken­werk, al­lem neu­mo­di­schen Ze­ment und As­phalt rund­um gern sein We­sen. Es kün­digt kei­nem Heim­chen un­ter der Schwel­le, hin­ter dem Ka­chel­ofen und am Kü­chen­her­de oder setzt ihm die Mie­te in die Höhe. Die Heim­chen woh­nen si­cher bei ihm und warm und wis­sen’s auch und sin­gen sein Lob, und – ihr Ge­sang ver­än­dert sich uns nie, wir mö­gen nach Hau­se kom­men, wann wir wol­len, früh oder spät, nach ei­nem Tage oder nach ei­nem hal­b­en Jahr­hun­dert. Der wächst nicht wie die Bäu­me, er rüt­telt sich nicht in sich zu­sam­men wie die Dä­cher und die Mau­ern: er ist der­sel­be im­mer­dar – Gott sei Dank!

      Wir stan­den und hör­ten durch die Abend­stil­le die Heim­chen von dem brau­nen, im Schat­ten ver­sun­ke­nen Hau­se her. Sonst war al­les still; ein krä­hen­der Hahn im Dor­fe, ein bel­len­der Hund in der Fer­ne und ein ers­ter Froschlaut vom na­hen Müh­len­tei­che her stör­ten den Frie­den durch­aus nicht. Wie im­mer stan­den alle Fens­ter und die Tür der Förs­te­rei weit of­fen, und in der einen Fens­ter­bank zwi­schen den Blu­men­töp­fen die Haus­kat­ze im Halb­schlaf und die Hun­de auf der Schwel­le der Haus­tür! Aber ein wei­ßes, wür­di­ges Haupt ne­ben, hin­ter den Ro­sen­stö­cken und dem Ka­ter – ein leich­tes blau­es Rauch­wölk­chen zwi­schen dem Wein­laub durch ins Freie hin­aus­zie­hend! Ich hat­te den Ge­ruch jah­re­lang ver­ges­sen, aber ich er­kann­te ihn beim ers­ten Blick wie­der, wahr­lich nicht bloß mit der Nase! Da hebt der brau­ne Hüh­ner­hund den Kopf und der Te­ckel schlägt an – eine weib­li­che Ge­stalt tritt in die Tür des Wer­de­ner Förs­ter­hau­ses – die lie­be, gute Eva des Vet­ters Just Ever­stein! Eva Six­tus in ih­rem acht­und­zwan­zigs­ten Le­bens­jah­re – her­zig, voll und reif; und ich – ich zie­he me­cha­nisch eben­falls den Hut und grü­ße; eine Be­mer­kung über die Tem­pe­ra­tur ma­che ich da­bei nicht, aber es wird mir ganz selt­sam vor den Au­gen, und ich wun­de­re mich, wie ich ei­gent­lich auf ein­mal hier­her kom­me; ach, zu der Fra­ge, was ich ei­gent­lich auf ein­mal hier will, ge­hö­ren viel kla­re­re Sin­ne und be­deu­tend mehr ru­hi­ge Über­le­gungs­kraft, als ich au­gen­blick­lich bei­sam­men habe! Klar ist mir nichts, als dass ich eine wei­te, wei­te Rei­se ge­tan habe, dass hun­dert Rä­der un­ter mir ras­sel­ten, dass un­heim­lich rast­lo­se Schau­feln in är­ger­li­che Wel­len schlu­gen, dass die Ge­gend und die Welt und das Le­ben vor­bei­ge­flo­gen wa­ren, dass die Pla­ge und die Un­lust an Kör­per und See­le groß wa­ren und der Ge­winn und die Be­frie­di­gung ge­ring und – dass es kei­ne grö­ße­re und er­staun­li­che­re Of­fen­ba­rung gibt als die der Stil­le im Lärm, des Schwei­gens im Ge­schrei und der Ruhe in der Un­ru­he. Stadt­rat in Fin­ken­ro­de braucht man dar­um ge­ra­de nicht zu wer­den.

      »Sie habe ich auf den ers­ten Blick wie­der­er­kannt«, ist mir sehr häu­fig im Le­ben ge­sagt wor­den, und so hat­te es ei­gent­lich nichts Über­ra­schen­des, dass die Gute, die Lie­be auf der Schwel­le der Förs­te­rei in Wer­den zu­erst mich er­kann­te und, wie es schi­en, mit ei­nem lei­sen Er­schre­cken zu­erst: »Fritz!« rief.

      Und ich blieb ste­hen, wo ich stand; aber der Bru­der lief vor­wärts, und mit ei­nem eben­so lei­sen Schrei er­hob die Schwes­ter die Hän­de:

      »Ewald!… O Ewald, Ewald!«

      Sie trat wohl auch einen Schritt vor, als wol­le sie sich auf uns zu stür­zen; aber dann blieb sie doch ste­hen und ließ uns zu sich her­an­kom­men. Wie von ei­nem Schwin­del er­grif­fen, hielt sie sich an den treu­en, schüt­zen­den Pfos­ten der Tür ih­res Va­ter­hau­ses,


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