Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Glau­ben an mein Stu­di­um in Wit­ten­berg hal­ten. Je­den­falls hat­te ich ge­nug stu­diert, um mir die Sa­che zu­recht­le­gen zu kön­nen. Es gibt näm­lich in ge­wis­sen Kri­sen des Le­bens eine Feig­heit, die nur ein an­de­rer Name oder bes­ser die Fol­ge ei­ner kurz zu­vor be­wie­se­nen Herz­haf­tig­keit ist. Wo­für tap­fe­re Män­ner al­les ge­wagt und ge­lit­ten ha­ben, wa­gen sie dann zu­letzt nicht einen Gang über die Stra­ße, nicht ein An­klop­fen an eine Tür, son­dern sie schi­cken einen an­de­ren oder möch­ten ihn doch am liebs­ten schi­cken, und des­halb – hat­te ich für Ewald Six­tus mit Schloss Wer­den spre­chen sol­len, und dar­um – er­schi­en es wün­schens­wert, dass zu­erst ich mit Ire­ne Ever­stein rede. Von mei­ner Ge­lehrt­heit spra­chen sie; aber, ih­nen sel­ber un­be­wusst, mein­ten sie: das, was uns be­wegt, küm­mert ihn am we­nigs­ten, also was küm­mer­t’s ihn? Wenn ei­ner uns sa­gen kann, was wir hö­ren wol­len oder hö­ren müs­sen, so ist er’s. Er ist ob­jek­ti­v in die­ser Sa­che; Stei­ne und Men­schen wer­den also ihm ge­gen­über un­be­fan­gen sich ge­hen las­sen, und – ihm wer­den sie nichts tun. Wir aber, die wir Tag für Tag mit ih­nen zu tun ge­habt ha­ben, wir fürch­ten uns!

      Ich hat­te mich aus der Mit­te der Ge­vat­tern- und Vet­tern-Be­su­che in der Förs­te­rei von dem Freun­de weg­ho­len las­sen, um mit ihm Schloss Wer­den zu be­sich­ti­gen; ich ging am an­de­ren Mor­gen dem Freun­de vor­auf nach dem Stein­ho­fe, um die letz­te Her­rin von Schloss Wer­den, um Ire­ne Ever­stein dar­über spre­chen zu hö­ren. Es ist in sol­chen Fäl­len stets viel leich­ter ja als nein zu sa­gen. Man will eben doch nicht um­sonst an sei­ner Ehre ge­fasst und für einen er­fah­re­nen Mann ge­hal­ten wor­den sein.

      Zwölftes Kapitel

      Der Fluss hat­te es ei­lig wie im­mer; aber er, der mir in mei­ner Kind­heit den ein­zi­gen kla­ren Ein­druck von dem Vor­beiglei­ten der Er­schei­nung ge­ge­ben hat­te, des­sen schnel­le Was­ser mich in der Fan­ta­sie stets un­wi­der­steh­lich mit sich in die Fer­ne ge­ris­sen hat­ten, er war von al­len Din­gen in der Hei­mat­ge­gend al­lein der­sel­be ge­blie­ben. Un­se­re Nes­ter in den großen Nuss­bü­schen wa­ren ver­schwun­den, die Wie­se, über die sonst der Weg nach dem Wal­de führ­te, zer­stückelt und zum Teil zu Acker­fel­dern ge­macht. Auch die Wäl­der selbst wa­ren nicht mehr die näm­li­chen wie sonst. Den Hoch­wald hat­te man teil­wei­se ge­lich­tet, teil­wei­se ganz nie­der­ge­schla­gen; das Un­ter­holz war auf­ge­schos­sen, und Hei­de­stre­cken hat­ten sich mit dich­tem Ge­büsch be­deckt. Wo man sonst von ei­nem Berg­gip­fel die frei­es­te Aus­sicht in die Fer­ne ge­habt hat­te, such­te man nun nach ei­nem Blick auf den Som­mer­him­mel zwi­schen dem dicht ver­schlun­ge­nen Ge­zweig. Nicht alle Pfa­de lie­fen noch wie in un­se­rer Ju­gend­zeit durch den Forst, aber der Fluss – der Fluss ging noch sei­nen al­ten Weg; ich aber ging dies­mal über die Brücke bei Bo­den­wer­der und ver­ließ mich nicht mehr auf den Kahn, wel­chen vor­dem der Va­ter Klaus stets so mür­risch-wohl­ge­fäl­lig zu un­se­rem Dienst aus dem Ufer­schilf und Röh­richt her­vor­zog. Auch das war sehr frag­lich, ob ich den gu­ten Al­ten, sei­ne Fi­scher­hüt­te, sein lus­tig ro­man­tisch Herd­feu­er­chen und sein mor­sches Fahr­zeug noch am Ran­de der We­ser fin­den wür­de. Über sech­zig Jah­re war er schon zu un­se­rer Zeit alt ge­we­sen, aber un­ter­wegs tat es mir doch leid, dass ich mich nicht nach ihm er­kun­digt hat­te, und fast wäre ich noch um­ge­kehrt.

      Wie an­de­re ge­las­se­ne Leu­te ge­lang­te ich über die Brücke bei Bo­den­wer­der von ei­nem Ufer auf das an­de­re und auf den Weg nach dem Stein­ho­fe.

      Der zog sich noch durch die Fel­der wie sonst. Mir war es, als müs­se ich je­den Dorn­busch an sei­nem Ran­de wie­der­er­ken­nen und dür­fe ru­hig auf sei­ne Iden­ti­tät schwö­ren; doch dies war wohl ein Irr­tum. Ich habe es be­schrie­ben, wie wir als Kin­der auf die­sem Pfa­de an hei­ßen Som­mer­ta­gen müde wur­den und uns nach dem Baum­schat­ten, dem küh­len Gra­se im Gras­gar­ten und nach der gu­ten Ver­pfle­gung des Ho­fes sehn­ten; ich habe es ge­schil­dert, wie wir den Vet­ter auf ei­nem Stei­ne am Wege auf Men­schen­schick­sa­le war­tend fan­den, und – auf den Stein durf­te ich dreist schwö­ren: es saß wie­der­um je­mand dar­auf, in sei­ne Träu­me ver­lo­ren, auf Men­schen­schick­sa­le war­tend und die Schrit­te, die sich auf dem hei­ßen, son­ni­gen, stei­ni­gen Wege nä­her­ten, über­hö­rend.

      Auf dem Feld­quarz, un­ter den Dis­teln und Nes­seln, zwi­schen die einst der Vet­ter Just Ever­stein ver­le­gen grei­nend sei­ne la­tei­ni­sche Gram­ma­tik ver­steckt hat­te, als wir ihn nach un­se­rer Art ju­belnd an­schri­en, saß un­ter dem wol­ken­lo­sen blau­en Som­mer­him­mel, ihr schö­nes mü­des Haupt mit der Hand stüt­zend, der Gast des Vet­ters Just, Ire­ne von Ever­stein.

      Ich sah sie nie­der­glei­ten am frü­hen, fri­schen Mor­gen aus un­se­ren schwan­ken­den Mär­chen­nes­tern im Grün, hin­auf auf die taui­ge, blit­zen­de Wie­se; ich sah sie el­fen­haft uns vor­anglei­ten durch das Wald­dun­kel; ich hör­te sie la­chen auf dem Fluss und sah sie ihre Hand in die rin­nen­den Wel­len tau­chen: er­zähl­te uns nicht ein­mal vor lan­gen Jah­ren der Va­ter Klaus auf der Über­fahrt von ei­ner, die wohl weit von oben her zu­ge­reist sein muss­te, weil sie, nach­dem er sie aus dem Schil­fe ans Land ge­holt hat­te, nie­mand kann­te im Lan­de?

      »Las­sen Sie das Schau­keln lie­ber auf dem Was­ser, jun­ge Herr­schaft! Die al­ten Bret­ter un­ter uns sind doch wohl all­ge­mach ’n biss­chen brü­chig ge­wor­den, und das dreht sich ge­ra­de hier in Wir­beln, und der Un­tie­fe ist nicht gut zu trau­en. Ich möch­te um al­les nicht, dass die Herr­schaft zu Hau­se es mir zu­schie­ben könn­te, wenn ich die jun­gen Herr­schaf­ten nicht heil ans Land bräch­te.«

      Ich sprach sie lei­se an:

      »Gu­ten Tag, lie­be Ire­ne.«

      Sie fuhr zu­sam­men und em­por; doch als sie mich er­kannt hat­te, stand sie nicht auf, son­dern blieb sit­zen auf dem Stein am Wege und reich­te mir mit ei­nem trau­ri­gen Lä­cheln die Hand in die Höhe.

      »Du bist es, Fritz? Wie kann man die Leu­te so er­schre­cken!… Aber es ist wohl nicht dei­ne Schuld, son­dern mei­ne und mei­ne Tor­heit. Wie kann man sich so ins freie Feld set­zen und sich die blen­den­de Som­mer­son­ne auf den Schei­tel und in die Au­gen schei­nen las­sen, ohne für sei­ne bes­ten Freun­de blind und taub zu wer­den? Das ist aber gut von dir, dass du ge­kom­men bist, der Vet­ter wird sich sehr freu­en; – er kam gleich in der Nacht mit glän­zen­den Au­gen, um es zu ver­kün­den, dass – du wie­der im Lan­de seist.«

      Sie sprach die letz­ten Wor­te nur zö­gernd; ich hielt ihre Hand noch fest und sag­te:

      »Ich bin aber nicht al­lein in die alte Hei­mat zu­rück­ge­kom­men, Ire­ne.«

      Da zog sie mir die Hand weg, er­hob sich nun und er­wi­der­te erst nach ei­ner ge­rau­men Wei­le:

      »Ich weiß durch den Vet­ter Just Be­scheid über al­les.«

      »Über al­les?… Über al­les doch wohl nicht!«

      »Doch!« sag­te sie, und das Wort kam kurz und hart her­aus. »Wir ste­hen hier jetzt in der hel­len, hei­ßen Son­ne des Mit­tags, und es ist mir lieb so und ganz recht. Wir wol­len nicht den Schat­ten und das freund­li­che Dach des Freun­des su­chen, um uns be­hag­li­cher und lang­at­mi­ger über Schick­sal und Schuld aus­zu­las­sen –«

      »Ire­ne?!«

      »Ich höre gern ein­mal


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