Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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zur Sei­te oder nach dem Ziel vor uns hin­zu­hor­chen?…

      »Hol über!«

      An die­ser Stel­le noch al­les so wie sonst! Die­sel­ben Was­ser, das­sel­be Ufer­ge­büsch, die­sel­ben hei­ßen, knir­schen­den Kie­sel un­ter den Fü­ßen. Und drü­ben aus dem Busch­werk das leich­te Rauch­wölk­chen aus der Hüt­te des al­ten Freun­des und sein Kahn an dem näm­li­chen Wei­den­strunk. Und nur die Wel­len rausch­ten, sonst kein Ton, kein Laut rings­um­her. Wir hat­ten un­se­ren Ruf mehr­mals zu wie­der­ho­len.

      »Ein we­nig taub ist der Alte all­mäh­lich wohl ge­wor­den«, mein­te der Vet­ter, »aber sei­ne Au­gen sind für sei­ne Jah­re noch merk­wür­dig scharf. Er ist si­cher­lich nahe an die acht­zig. Guck, Ire­nes Tuch bringt ihn uns her.«

      Wir sa­hen den Va­ter Klaus in der Tat jetzt drü­ben den Ufer­hang her­ab­kom­men. Ei­nen Au­gen­blick stand er zwei­felnd und sah zu uns her­über.

      »Hol über!«

      Wir sa­hen ihn sei­nen Na­chen ab­lö­sen –

      »Acht­zig Jah­re!«

      »Und er zwingt die Strö­mung im­mer noch«, sag­te der Vet­ter. »Manch ein star­ker, jün­ge­rer Mann wür­de bei die­ser Ar­beit bald müde wer­den.«

      Da war der Kahn und schob sich schar­rend mit dem Vor­der­teil auf den Kies, und –

      »Wat kümmt mi denn da?« frag­te der Va­ter Klaus, und auch an dem Wort und hei­se­ren Laut hat­te sich im Lau­fe der Jah­re gar nichts ver­än­dert. »I, da seh ei­ner, der gan­ze Stein­hof! Ach ja, ich weiß ja schon! Ach ja, der Herr Förs­ter. Der Bote heu­te Mor­gen hat­te es wie­der mal recht ei­lig – es tut mir recht leid um den Herrn Ober­förs­ter. Jaja, da hilft es wei­ter nichts: steigt ein, gnä­di­ge Herr­schaft, Frau Grä­fin, und der Herr Vet­ter auch. Ja, aber, aber, wie ist mir denn? Den an­de­ren Herrn da soll­te ich doch auch schon ken­nen?«

      »Ein al­ter und hof­fent­lich auch heu­te noch gu­ter Be­kann­ter, Va­ter«, rief ich, bei­de har­te Hän­de des grei­sen Fähr­manns er­grei­fend. »Fritz Lan­greu­ter!«

      »Rich­tig!« rief der Alte. »I, das wuss­te ich doch auch wohl! Dazu habe ich Sie doch wohl oft ge­nug mit dem an­de­ren klei­nen Fräu­lein über die We­ser be­för­dert. I, se­hen Sie mal! Und nun müs­sen Sie, mit Er­laub­nis, ge­ra­de heu­te zu die­ser trau­ri­gen Ge­le­gen­heit zum ers­ten Mal wie­der in mein Schiff kom­men! Ja, wo ha­ben Sie denn die gan­zen lie­ben, lan­gen Jah­re ge­steckt, wenn ich so frei sein darf?! Dass Sie ein grau­sa­mer Ge­lehr­ter bei der Wei­le ge­wor­den sind, das habe ich wohl ge­hört, und an­se­hen tue ich es Ih­nen jet­zo auch. Na, das freut mich aber bei al­lem Leid­we­sen. Ja, dann stei­gen Sie auch mal wie­der ein, Herr – Frit­ze, mit Er­laub­nis zu sa­gen. Es wun­dert Sie wohl ein biss­chen, dass Sie mich und die We­ser im­mer noch zwi­schen Wer­den und dem Stein­ho­fe an Ort und Stel­le fin­den? Ja, so hat je­des sei­nen Lauf und sein Be­ste­hen!«

      Nun schwam­men wir wie­der auf dem Was­ser, und ich ließ mir noch ein­mal die war­me Som­mer­flut des Stro­mes über die Hand flie­ßen. Und ganz wie da­mals flüs­ter­te mir der alte Schiffs- und Fi­schers­mann zu:

      »Jaja, ich weiß es wohl, dass es in Wer­den nicht gut steht, Herr Lan­greu­ter. Aber der Herr Förs­ter hat ja, Gott sei Dank, ein rein­li­ches Blut und ein gu­tes Ge­wis­sen, und wenn er, ge­gen mich ge­hal­ten, auch noch ein ziem­lich jun­ger Men­sche ist, so ist er doch auch ziem­lich bei Jah­ren, und da ist es im­mer das bes­te für die An­ge­hö­ri­gen, Ver­nunft an­zu­neh­men und sich und dem an­de­ren den Ab­schied nicht schwe­rer zu ma­chen, als not­wen­dig ist. Wis­set ihr, Herr Vet­ter Ever­stein und die gnä­di­ge jun­ge Frau dazu, wüss­te ich nur ganz ge­wiss, dass mir wäh­rend mei­ner Ab­we­sen­heit all­hier an die­ser Stel­le kein Scha­den und Spitz­bu­ben­streich pas­sier­te, so gin­ge ich wahr­haf­tig gern mit euch, um mir für dem­nächst ein gu­tes Exem­pel an dem Förs­ter zu neh­men.«

      »Da kommt nur dreist mit, Va­ter Klaus«, mein­te Just; »ich ste­he für al­len Scha­den. Wer weiß, welch ein gut Bei­spiel Ihr uns auf dem Stuhl am Bet­te ge­ben könnt.«

      Aber der Greis schüt­tel­te den Kopf:

      »Es geht nicht, und es schickt sich nicht. Seit ich den­ken kann, ist dies mein Ort, wo ich die We­ser, die Schif­fe, die Jah­res­zeit, die Men­schen und das Ge­wöl­ke pas­sie­ren und blei­ben sehe. Es ist nur eine Ka­ba­che da im Röh­richt, aber doch mein al­tes fes­tes Nest, und je­der Schritt da­von weg ist mir aus der Ge­wohn­heit. Ein al­ter Kerl bin ich hier ge­wor­den, aber als ein ganz an­de­rer Kerl käme ich heu­te Nacht von Wer­den nach Hau­se; aber – hol­la – seht ein­mal das Ge­wölk! Das kommt dies­mal doch schnel­ler her­auf, als ich ge­dacht habe! Und hör ei­ner, da pro­biert der Herr Kan­tor auch schon sei­ne große Or­gel. Na, na, nun rate ich lie­ber den Herr­schaf­ten, dass sie wie­der mal ein Stünd­chen bei mir un­ter­krie­chen und das Schlimms­te vor­über­las­sen.«

      Es hat­te kei­ner von uns an­de­ren sich um­ge­se­hen, doch jetzt ta­ten wir’s, wie an­ge­ru­fen von dem ers­ten dump­fen Don­ner­ton von Wes­ten her. Was wir für ein lang­sam zö­gernd Schlei­chen ge­nom­men hat­ten, das war ra­sche­s­ter, ra­sends­ter Flug ge­we­sen. Das Ge­wit­ter war da wie das Schick­sal, wel­ches uns auf die­sen Weg ge­führt hat­te, und wir stan­den un­ter dem Druck des einen nicht an­ders als un­ter dem des an­de­ren.

      »Ihr Manns­volk kommt mit der Frau nicht weit in den Wald hin­ein, und dann müsst ihr doch un­ter der ers­ten di­cken Ei­che zu Schau­er ge­hen«, rief der Va­ter Klaus. »Die gnä­digs­te Grä­fin oder Frau Baro­nin muss es mir nicht übel­neh­men, sie ist mir, je län­ger ich sie an­se­he, im­mer noch wie das Kind und jun­ge Fräu­lein Kom­tes­se von Schloss Wer­den, und das alte Kes­sel­chen singt noch auf dem al­ten Her­de, Fräu­lein Grä­fin, und ein frisch Pa­ket Zi­cho­ri­en hab ich auch von Bo­den­wer­der. Sie ha­ben doch sonst schon vor­lieb bei mir ge­nom­men – ach ja, ein biss­chen mehr Kin­der wa­ren wir da­zu­ma­len wohl noch, und die bei­den jun­gen Leu­te aus dem Förs­ter­hau­se wa­ren dann auch im­mer da­bei. Ich habe es wohl ge­hört, dass sie alle wäh­rend­dem man­cher­lei er­lebt ha­ben in der Welt, aber den­ken kann ich mir’s ei­gent­lich nicht; denn ich sel­ber habe ja nichts er­lebt, von wel­chem ich viel wüss­te, au­ßer dass ich ein biss­chen äl­ter ge­wor­den bin. Der Re­gen ist schon da; – nun kom­men Sie nur noch mal her­ein zum Va­ter Klaus – lan­ge an­hal­ten wird’s ja­wohl nicht.«

      »Ich gin­ge am liebs­ten wei­ter«, sag­te Ire­ne. »Ich möch­te gern so schnell als mög­lich zu Eva.«

      Das ging nun wohl nicht an. Das Un­wet­ter war da, und schon feg­te der Re­gen in Stö­ßen vom jen­sei­ti­gen Ufer her über den Fluss. Alle lich­ten Far­ben wur­den zu ei­nem trü­ben Grau aus­ge­wischt, das Ufer­ge­büsch und Schilf wie von tau­send är­ger­li­chen Fäus­ten ge­schüt­telt und nach Os­ten hin zu Bo­den ge­drückt. Auf das Dach der Fi­scher­hüt­te rausch­te und ras­sel­te es nie­der, und wir sa­ßen an dem Tage eine gute Stun­de an dem Feu­er­her­de des Va­ter Klaus, horch­ten auf den Don­ner über un­se­ren Köp­fen, »war­te­ten das Ge­wit­ter ab« und lie­ßen un­se­rem grau­en Fähr­mann und Gast­freund das Wort. Wie er es führ­te, hät­te wohl kei­ner von uns et­was Bes­se­res, Un­ter­hal­ten­de­res und Zweck­dien­li­che­res zu­ta­ge för­dern kön­nen.

      »Ich weiß ei­gent­lich gar nicht, wie ich Sie jetzt nen­nen muss«, wen­de­te er sich an un­se­re Beglei­te­rin. »Am liebs­ten hie­ße ich Sie wie sonst: lie­bes


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