Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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den Be­griff Ehr­lich­keit, son­dern auch ehr­li­che Leu­te, und an die habe ich mich an die­sem Fest­ta­ge ge­hal­ten und an­de­res ge­wäh­ren und ma­chen las­sen und Höf­lich­kei­ten nach Er­den­schick­lich­keit höf­lich er­wi­dert, ohne gra­de mei­nem Fein­de, wenn er mich auf die eine Ba­cke ge­küsst hat­te, ihm auch die an­de­re hin­ge­hal­ten zu ha­ben.

      Ge­nug da­von. Das wäre fein, die ers­ten Stun­den der Muße mit Wür­de an das zu ver­wen­den, was je­der Zei­tungs­be­richt­er­stat­ter werk­mä­ßi­ger und bes­ser zu Pa­pie­re bringt!

      Das?

      Ja das: fei­er­li­che Be­ge­hun­gen von tau­send-, fünf­hun­dert-, hun­dert­jäh­ri­gen mensch­heit­li­chen Ge­denk­ta­gen – das, was die Mensch­heit so im ein­zel­nen Be­schrei­bungs- oder doch Be­spre­chungs­wer­tes an sich er­le­ben kann, wäre es auch nur nach fünf­und­zwan­zig, fünf­zig oder sie­ben­zig Jah­ren Da­seins auf der Erde als Fa­mi­li­en­mit­glied, Staats- und Ge­schäfts­mann oder – – sonst so was!

      Wenn üb­ri­gens »we­gen den Ge­burts­tä­gen im Au­gust« viel­leicht noch ir­gend et­was zu be­mer­ken wäre, so kann dar­über nach­ge­le­sen wer­den in ei­nem Brie­fe aus dem Jah­re 1777, wo der Be­richt­er­stat­ter für »sein Blatt« schreibt:

      »Es hat­te schon den gan­zen Tag ge­mun­kelt, dass ’n Feu­er­werk ab­ge­brannt wer­den soll­te, nun ward es aber haute­ment de­kla­riert, und die gan­ze Ge­sell­schaft be­gab sich in Pro­ces­si­on hin­ten in mei­nes Vet­ters Gar­ten ne­ben dem Echaf­aut, das Feu­er­werk an­zu­se­hen. Es be­stand aus ei­nem Pe­ter­männ­chen von an­dert­halb Zoll und reus­sier­te un­ge­mein. Weil so’n Ding gar zu herr­lich an­zu­se­hen ist, hab’ ich mir von mei­nem Vet­ter das Re­zept aus­ge­be­ten und will’s Dir hier kom­mu­ni­zie­ren. Man nimmt 2 Loth Pul­ver, reibt es klein und tut Brun­nen­was­ser dazu quan­tum sa­tis; denn wirds ’n Teig, und man formt es, ent­we­der ke­gel­för­mig wie’n Kirch­tur­m, oder vier­e­ckigt, wie die Py­ra­mi­den in Ägyp­ten wa­ren, tut oben dar­auf ei­ni­ge Kör­ner tro­ckenes Pul­ver und zün­det’s an… Um 10 Uhr 8 Mi­nu­ten gieng das Feu­er­werk an, und währ­te bis 10 Uhr 8⅓ Mi­nu­te. – Du lachst, Andres?« – – – – – – – – – –

      Ob der gute Kor­re­spon­dent des Wands­be­cker Bo­ten über die­se Schil­de­rung des Fes­tes ge­lacht habe kann ich nicht sa­gen: was mich an­be­trifft, so be­schlie­ße ich die Be­schrei­bung des Hö­hen­punk­tes der Fei­er mei­nes sie­ben­zigs­ten Ge­burts­tags wie Freund As­mus:

      »Um 10 Uhr 8 Mi­nu­ten ging das Feu­er­werk an, und währ­te bis 10 Uhr 8⅓ Mi­nu­te.«

      Das stimm­te, was mei­ne per­sön­lichs­te, in­ner­lichs­te Be­tei­li­gung da­bei an­be­trifft. Wenn je­doch der Bote ei­ni­gen ethi­schen und mo­ra­li­schen Be­trach­tun­gen und Nutz­an­wen­dun­gen noch hin­zu­fügt:

      »Um Eilf Uhr gien­gen wir zu Bett, und schlie­fen flugs und fröh­lich ein«,

      so stimmt das nicht ganz mit dem Ver­lauf mei­nes Fes­tes. Es währ­te ein we­nig län­ger, ehe die letz­ten bei Tisch die dem Al­ter ge­büh­ren­de Rück­sicht nah­men. Mit dem mit­täg­li­chen Son­nen­schein noch ei­nes neu­en Ta­ges auf dem Fens­ter­vor­hang hat ja­wohl der Greis die­se Fe­der­krit­ze­lei­en be­gon­nen?

      Noch da­bei, ihr To­ten!…

      Das ist es also ge­we­sen, wozu man mir Glück ge­wünscht hat? Ich gehe nun »auf die Acht­zig los«: die, wel­che ge­kom­men wa­ren, mir zu dem »Sie­ben­zigs­ten« zu gra­tu­lie­ren mit dem na­tür­lich an­ge­füg­ten Ad mul­tos an­nos, sind in der Zeit wie­der ih­ren ei­ge­nen zeit­li­chen Sor­gen, Nö­ten und Ge­schäf­ten nach­ge­gan­gen und den­ken nicht mehr an mich oder, wenn sie noch an mich den­ken, sol­ches wohl nur mit »ge­misch­ten Ge­füh­len«: die­ses Wort wahr­lich nicht bloß im iro­ni­schen oder gar hä­mi­schen Sin­ne ge­nom­men, son­dern im recht treu­mei­nen­den, im sehr erns­ten.

      Ge­misch­te Ge­füh­le! welch ein Wort dann und wann für eine Mor­gen­stim­mung! Wie aber stellt sich sol­chem Ge­fühl und Ge­füh­len ge­gen­über ein al­ter Dok­tor zu ei­nem an­de­ren Wort:

      Arzt, hilf dir sel­ber!

      ?

      Im fol­gen­den mag es sich denn ab­la­gern, wie das Fra­ge­zei­chen be­ant­wor­tet wor­den ist. Las­set euer Brot über das Was­ser fah­ren! heißt es in der Hei­li­gen Schrift.

      Sein Name war Feyer­abend. Fritz nann­te ihn sei­ne Schwes­ter Ka­ro­li­ne, On­kel Fried­rich eine et­was ent­fern­te Nich­ten- und Nef­fen­schaft, Wirk­li­cher Ge­hei­mer Rat die Welt. Wo­durch er die letz­te­re Be­zeich­nung für die »Welt« und durch sei­ne Zeit­ge­nos­sen­schaft ver­dient ha­ben mag, möge sich dem mög­li­chen Le­ser im Ver­lauf des Um­wen­dens die­ser Blät­ter er­ge­ben. Schon sei­ne Erst­lings­druck­schrift »Über Ge­wöh­nung an Me­di­ka­men­te« soll von ge­lehr­ter Früh­rei­fe ge­zeugt ha­ben; hier aber han­delt es sich nur dar­um, wie er sel­ber sich ge­gen die to­xi­schen und in­fek­ti­ösen Agen­zi­en des Er­den­da­seins, auch nach zu­rück­ge­leg­tem sie­ben­zigs­ten Le­bens­jahr, mit mehr oder we­ni­ger Er­folg »im­mun« ge­macht hat­te.

      Fürs ers­te brauch­te er vol­le acht Tage und Näch­te, um sich von sei­nem ho­hen Freu­den- und Ehren­ta­ge zu er­ho­len. Nach­her nahm er, da er al­les, was ihm an Kör­per- und Geis­tes­kräf­ten be­schert wor­den war, wie­der bei­sam­men hat­te, was man so nennt, den ge­wohn­ten Le­bens­lauf wie­der auf und fand, was je­der sich zur Ruhe set­zen­de Er­den­ar­beits­mann fin­det, dass – die Zeit nicht mehr so recht mit ihm fort woll­te, ihn durch den Tag vor­auf­hum­peln ließ.

      Was wird aus dem Men­schen, der end­lich Zeit hat und dem nun nichts rasch ge­nug kom­men und ge­sche­hen kann? Was im vor­lie­gen­den Fall glück­li­cher­wei­se nicht in die Er­schei­nung trat: ein ver­drieß­li­cher Pa­tron und ein Ver­druss und Är­ger­nis zu­letzt auch der hin­ge­bends­ten Um­ge­bung – miss­lie­big auch den Göt­tern, die ihn aber recht häu­fig noch ziem­lich lan­ge den Sei­nen er­hal­ten, wenn auch nicht zu de­ren Ver­gnü­gen! Da sie, die Göt­ter, bei al­lem einen Zweck ha­ben sol­len, so wer­den sie auch wohl da­bei einen ha­ben und ver­ant­wor­ten kön­nen.

      Ja, Gott sei Dank, wem aus bes­se­rem Lehm der Ti­tan das Herz ge­k­ne­tet hat­te, war Ge­heim­rat Feyer­abend, der Po­stil­len­greis die­ser Blät­ter! – Der sah zu­erst nur et­was häu­fi­ger nach dem Baro­me­ter und fand, dass sich sein Ver­hält­nis zu ihm merk­lich ge­än­dert habe. Er moch­te ste­hen, wor­auf er woll­te (der Ge­heim­rat hat­te da frei­lich doch auch im­mer noch das »schö­ne Wet­ter« im Auge), es hat­te we­nig Ein­fluss mehr auf des Ju­bel­grei­ses Ste­hen, Ge­hen, Sit­zen oder Lie­gen. Stand das Ding auf »Verän­der­lich« – »Re­gen oder Wind«, so war ihm das, wenn nicht im­mer recht, so doch viel gleich­gül­ti­ger als sonst. »Sturm« hät­te ihn wohl noch wie frü­her in­ter­es­siert, aber das ist doch ei­gent­lich nur sel­ten, und gute Men­schen set­zen da auch ihr In­ter­es­se – Da­bei­sein – hin­ten­an und wün­schen es sich nicht, an­de­rer we­gen.

      Was ging den Al­ten bei sei­ner Mor­gen­pfei­fe jetzt noch das Wet­ter an? Selbst wenn ihn dann und wann so ein biss­chen Rheu­ma­tis­mus drauf auf­merk­sam mach­te, dass auch er


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