Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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an­ge­zeigt!«

      »Nun höre nur die­ses wie­der, Mann!«

      »Na, na, na!« – – – – – – – – – – – – – –

      Auch der nach­for­schungs­eif­rigs­te Cid Ha­med ben En­ge­li wür­de es un­auf­ge­klärt ha­ben las­sen müs­sen, von wem Fritz­chen Feyer­abend sie hat­te; aber wis­sen konn­te er, dass sie die Wir­kung der Dan­kre­de des wirk­lich Ge­hei­men Me­di­zi­nal­rats Pro­fes­sor Dr. Feyer­abend bei­na­he zwei Men­schen­al­ter spä­ter, an dem größ­ten, dem schöns­ten, dem er­he­bends­ten Tage sei­nes Le­bens, bei­nah völ­lig ge­stört hat­te. War es denn un­be­dingt not­wen­dig ge­we­sen, dass Freund Lud­chen Bock mit sei­ner Laus gra­de dazu aus der Nacht der Zei­ten auf­stieg und ihm in die­sem er­ho­be­nen, er­ha­be­nen und er­he­ben­den Mo­ment da­mit kam?

      Es soll nach­her in den höchs­ten Zir­keln der Ge­sell­schaft von die­ser Rede mehr­fach die Rede ge­we­sen sein. Hier mit ei­ni­gem Kopf­schüt­teln; da­ge­gen in un­be­fan­ge­ne­ren, harm­lo­se­ren Sphä­ren, als da sind Klubs, Spiel- und Stamm­ti­sche, wis­sen­schaft­li­che Ve­rei­ni­gun­gen und der­glei­chen an­de­re Ge­le­gen­hei­ten zu Zu­sam­men­künf­ten den­ken­der und mit­emp­fin­den­der Men­schen, mehr mit ei­nem hei­te­ren Ach­sel­zu­cken: »so was bei sol­cher Ge­le­gen­heit sei frei­lich noch nicht da­ge­we­sen!«

      Gro­ßer wis­sen­schaft­li­cher Ruhm ist viel wert, aber an­ge­nehm ist’s für den In­ha­ber, wenn er da­bei in dem Rufe steht, dass er auch in der Nar­ren­tei­dung das Sei­ni­ge leis­ten kön­ne und nicht im­mer ernst ge­nom­men zu wer­den brau­che.

      Sei­ne Schwes­ter, der es, wie sie sag­te, bei der Ge­schich­te auf ih­rem Stuhl an der Fest­ta­fel mehr als ein­mal heiß und kalt ge­wor­den war, mein­te am an­de­ren Mor­gen ru­hi­ger:

      »Hör mal, bes­ter Bru­der, ich glaub­te doch ziem­lich ge­nau zu wis­sen, was und wie viel du ver­tra­gen kannst; aber einen Au­gen­blick kam mir ges­tern doch der Zwei­fel, ob ich mich da nicht ge­irrt habe und ob dir dies­mal we­nigs­tens mit den großen Ehren auch das Ge­tränk be­denk­lich zu Kop­fe ge­stie­gen sei. Na, es ist ja, Gott sei Dank, zu­letzt noch so ziem­lich ab­ge­lau­fen, aber ab­dru­cken lass das kon­fu­se Zeug nicht un­ter den dau­ern­den Mo­nu­men­ten dei­ner geis­ti­gen Be­ga­bun­gen, auf die Ex­zel­lenz so lie­bens­wür­dig war uns noch mal hin­zu­wei­sen. Ei­gent­lich ist es scha­de! gra­de ges­tern hat­te ich Bes­se­res von dir er­war­tet! Ich habe je­den­falls Bes­se­res häu­fig von dir bei Tisch ge­hört.«

      »Ver­gnüg­li­che­res?«

      »Ja­wohl! ge­är­gert habe ich mich. Bei so erns­ten Ge­le­gen­hei­ten soll man nicht den Hans­wurst und Hans­nar­ren spie­len wol­len. Aber das steckt nun ein­mal in dir, und ich spa­re da längst mei­nen Atem, denn ich pre­di­ge es doch nicht aus dir her­aus!« – – – – – – – – – – –

       Lud­chen Bock!

      Ob er wohl noch leb­te, der alte Jun­ge? In den Zei­tun­gen war er dem ganz ge­hei­men Kind­heits­freund Fritz Feyer­abend nicht er­schie­nen. We­der in po­li­ti­schen Din­gen noch in Küns­ten und Wis­sen­schaf­ten konn­te er sich be­rühmt, be­kannt oder an­rü­chig ge­macht ha­ben. Was er sonst ge­sün­digt ha­ben moch­te: der Kri­mi­nal­jus­tiz war er auch nicht ver­fal­len, we­nigs­tens nicht in ei­ner Wei­se, die un­ter der Ru­brik »Aus dem Rei­che« das Ge­sam­t­in­ter­es­se des deut­schen Vol­kes in An­spruch ge­nom­men hät­te.

      Ja, ob er wohl noch in der Er­schei­nungs­welt und nicht bloß in je­ner Ju­bi­lä­ums-Wein­lau­ne des Ge­heim­rats Feyer­abend vor­han­den war? Und dazu – war er’s al­lein ge­we­sen, was sich dem ge­fei­er­ten Greis so ab­son­der­lich in den höchs­ten psy­cho­lo­gi­schen Mo­ment je­nes ho­hen Fest­ta­ges ein­ge­drängt hat­te? War es nicht al­les ge­we­sen, was da­mals zu ihm ge­hör­te – die Welt von vor zwei Men­schen­al­tern, ganz Al­ters­hau­sen, und was zu dem ge­hör­te?

      »Wenn ich dor­t den Ver­such mach­te, das Spa­zie­ren­ge­hen wie­der zu er­ler­nen?« seufz­te an sei­nem Fens­ter, den Rauch sei­ner Pfei­fe von sich ab­we­delnd, der alte Al­ters­hau­se­ner. –

      Sep­tem­ber war es be­reits ge­wor­den, aber es war sel­ten so lan­ge schö­ner Som­mer ge­blie­ben wie in die­sem Jahr. Fer­ne Ge­wit­ter, von de­nen man in der Nacht nur das Wet­ter­leuch­ten ge­se­hen hat­te, hat­ten den Ho­ri­zont nach al­len Rich­tun­gen hin ge­klärt. Weit ent­le­ge­ne Ber­g­zü­ge lock­ten ver­füh­re­risch blau zu sich hin und wa­ren si­cher­lich, in der Nähe ge­se­hen, eben­so grün, wie sie von fern aus blau er­schie­nen. Die Leu­te am ge­gen­wär­ti­gen Ort in Raum und Zeit ka­men aus den Kir­chen, gin­gen in die Kon­di­to­rei­en, lust­wan­del­ten in den Parks oder fuh­ren auf Vi­si­ten, und Ge­heim­rat Feyer­abend saß in Al­ters­hau­sen in dem höchs­ten Gip­fel ei­ner Tan­ne, an der ihm zu ei­nem dort hän­gen­den Eich­horn­nest – Lud­chen Bock vor­an­ge­klet­tert war.

      Man hat­te einen ziem­lich kah­len, stei­ni­gen »Berg« in des Al­ten wal­di­ger Hei­mats-Hü­gel­land­schaft zu er­stei­gen, ehe man zu dem Tan­nen- und Fich­ten­be­stand ge­lang­te, an des­sen Ran­de der Baum ge­wach­sen war, in des­sen Wip­fel die zwei Freun­de von Men­schen­rechts we­gen auf der Su­che nach den Wun­dern, Aben­teu­ern und Schick­sa­len des Erd­balls wa­ren.

      Wie der alte Herr das Harz an den Hän­den fühl­te und wie er den Duft des Weih­nachts­baums in der Ju­li­son­ne in der Nase hat­te! Und wie deut­lich er den Tau­ge­nichts ne­ben sich, der eben sei­ne zer­kratz­te schwar­ze Jun­gen­pfo­te ent­täuscht aus dem »Äker­nest« her­vor­zieht, sa­gen hört:

      »Du, der Rek­tor weiß gar nichts da­von, weil es nicht in sei­nem Na­tur­ge­schichts­buch und der di­cken Bi­bel steht. Aber ich weiß es von un­serm Krischan, weißt du, den mein Va­ter we­gen eu­rer Han­ne aus dem Dienst tun muss­te. Dies hier ist mal wie­der nicht sein ei­gent­lich Hecke­quar­tier, wo er mit sei­ner Frau und sei­nen Jun­gen zu Hau­se ist. Die Klet­te­rei hät­ten wir uns spa­ren kön­nen. Der Lork macht es gra­de wie mein Va­ter. Wenn es den zu Hau­se nicht lei­det von we­gen mei­ner Mut­ter, denn weiß er wohl, wo er wo­an­der­wo hin­ge­hen kann. Er macht sich noch ein paar an­de­re Orte zu­recht, wo er sein Ver­gnü­gen ru­hig ha­ben kann. Ei­nen Bud­del hat der Äker hier nicht ver­steckt ste­hen, wie mein Va­ter in un­serm Gar­ten­haus; aber voll Buch­e­ckern liest er sich dies voll und setzt sich da­bei und knab­bert für sich al­lein, wenn er nicht vor­her schon in Lü­der­s’ Wirt­schaft – ne, da geht er nicht hin, der Äker, aber mein Va­ter. Dein Va­ter, Frit­ze, geht in den Rats­kel­ler, da hat er sei­ne Pfei­fe ste­hen. Es ist eine mit ei­ner Flie­ge auf dem Kop­fe, ich ken­ne sie ganz gut und habe ein paar­mal pro­biert, ob sie auch Luft hat. Und die an­de­ren Her­ren aus der Stadt, der Bur­ge­meis­ter und der Dok­tor, sit­zen auch da des Abends, aber Buch­e­ckern knab­bern sie nicht. Na, lass uns nur wie­der her­un­ter – Harz­pech ha­ben wir ge­nug an uns, und dass du ein Loch in der Hose hast, wird dir dei­ne Mut­ter auch schon sa­gen!«…

      Wie sich das an­ein­an­der hing! Der Alte am Fens­ter hat­te nicht das ge­rings­te da­ge­gen ein­zu­wen­den, dass so lie­be Schat­ten, die Schat­ten der El­tern, ihm so aus der Tie­fe her­auf­be­schwo­ren wur­den. Wer hät­te das denn bes­ser be­sor­gen kön­nen als der bes­te


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