Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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ich das auch weiß, so än­dert es doch nichts an mei­nem Be­fin­den. Siehst du, ich habe mich dei­ner Füh­rung ein­mal an­ver­traut, und wenn ich auch nicht sa­gen kann, dass es zu mei­nem Ver­gnü­gen ge­we­sen ist, so bin ich doch au­gen­blick­lich nicht im­stan­de, et­was an­de­res zu sa­gen, als: mach, was du willst. Ach Chri­stoph, Chri­stoph, ich habe mich nie­mals in mei­nem Le­ben so schwach und hin­fäl­lig in mei­nen Bei­nen ge­fühlt, als in die­sem Mo­ment. Du bist mein Freund, und ich schä­me mich nicht, dir zu sa­gen, dass ich mich sehr un­wohl füh­le. Sieh zu, wie du mich den Berg hin­un­ter­bringst. Es ist dei­ne Sa­che; brin­ge mich, wo­hin du willst, aber – jetzt muss ich mich set­zen.«

      »Ja, tue das«, sprach der Ex­stift­ler mit dem Ton ei­ner Mut­ter, die ihr Kind ge­prü­gelt hat und Ge­wis­sens­bis­se darob emp­fin­det. »Ich will auf­recht blei­ben, und du wirst se­hen, dass wir doch noch einen recht hüb­schen, ver­gnüg­ten Abend er­le­ben wer­den. Be­trach­te mich als dei­nen Va­ter und lass mich für dich sor­gen.«

      »Pech­lin, du bist doch ein gu­ter Kerl!«

      »Ei frei­lich! Und du bist und bleibst mein bes­ter Freund aus dem Aus­land, du musst dich nur nicht zu sehr um das küm­mern, was ich dann und wann in der Auf­re­gung her­aus­schreie. Siehst du, Fer­di­nand, un­serei­ner hier aus dem Länd­le fasst es eben nicht, wenn die­se große Stät­te gar kei­nen er­he­ben­den Ein­druck auf einen Aus­län­der, den man hin­ge­führt hat, macht. Wie ich hier ste­he, rei­che ich mit mei­nen Bei– Wur­zeln bis in die tiefs­te Herr­lich­keit und Macht­ent­wick­lung un­se­res Vol­kes hin­ab; aber du scheinst nicht ein­mal eine Ah­nung da­von zu ha­ben, wer da viel­leicht ge­stan­den hat, wo du jetzt sit­zest! O Fer­di­nand, was sol­len alle die­se groß­ar­ti­gen, wun­der­vol­len Erin­ne­run­gen des deut­schen Vol­kes von dir den­ken? Be­sin­ne dich doch auf dei­nen Wert! Bist du wirk­lich ein ba­ro? ein frei­er deut­scher Mann? Glaubst du in der Tat schon alle Pf­lich­ten ge­gen dich und dei­ne Um­ge­bung da­durch ab­ge­tra­gen zu ha­ben, dass du der Mann ei­nes deut­schen Wei­bes ge­wor­den bist?«

      »Ach Herr­je­ses!«

      »Be­sin­ne dich, Fer­di­nand von Ripp­gen! Be­sin­ne dich noch ein ein­zi­ges Mal reichs­un­mit­tel­bar! Wir ste­hen oder sit­zen hier auf dem Gip­fel des Ho­hen­stau­fen und brin­gen in uns zwei der edels­ten Stäm­me Ger­ma­ni­ens zur Dar­stel­lung. Den­ke ein­mal recht nach­drück­lich dar­an, was wohl Ta­ci­tus sa­gen wür­de, wenn er mich und dich hier in die­ser Wei­se ste­hen und sit­zen sähe. Ich bin fest über­zeugt, der alte Bur­sche wür­de in sei­nem Di­pty­chon ei­ni­ge ziem­lich son­der­li­che No­ti­zen für eine et­wai­ge ver­bes­ser­te und um­ge­ar­bei­te­te Aus­ga­be sei­nes Bu­ches ma­chen, und nach­her möch­te ich das ro­ma­ni­sche La­chen lie­ber doch nicht hö­ren. O Fer­di­nand, ich, der bie­de­re, tap­fe­re Schwa­be, du der wohl­mei­nen­de, mann­haf­te Sach­se –«

      »Jetzt sprichst du so; aber vor ei­ner hal­b­en Stun­de erst hast du mir vor­ge­wor­fen, wir sei­en aus Fran­ken nach Mei­ßen ein­ge­wan­dert und hät­ten dann im Kon­takt mit den Sla­ven so peu à peu das rei­ne Hoch­deutsch er­zeugt – die Bü­cher­spra­che weißt’e. – Ei Herrch­je­ses, mei­ne Bei­ne!«

      »Mensch, du bist wahr­haf­tig ei­ner von de­nen, die nach Sankt Au­gus­tin un­se­ren Herr­gott be­wo­gen ha­ben, die Er­lö­sung der Mensch­heit auf ein Bruch­teil ein­zu­schrän­ken!« don­ner­te der Urein­ge­bo­re­ne des Grund und Bo­dens von neu­em wü­tend. »Da muss man ja die sämt­li­chen Res­te sei­ner frü­he­ren pas­to­ra­len Mil­de zu­sam­men­su­chen, um es not­dürf­tig in dei­ner Ge­sell­schaft und Nähe aus­hal­ten zu kön­nen. Was bringst du denn ei­gent­lich zur Er­schei­nung, wenn du jetzt so­gar von den be­rech­tig­ten Ei­gen­tüm­lich­kei­ten dei­nes Stamm­na­mens ver­ächt­lich zu spre­chen an­fängst?«

      »Nichts als mich sel­ber!« sag­te der Baron mit der Ver­bis­sen­heit der höchs­ten Er­schöp­fung. »Und selbst das ist mir zu viel«, füg­te er hin­zu, »wie oft soll ich es dir denn sa­gen, dass ich es dir ganz und gar über­las­se, mich mit zu re­prä­sen­tie­ren?«

      Da­bei saß er und rieb un­aus­ge­setzt sich die Bei­ne von den Kni­en bis zu den Knö­cheln ab­wärts, und Chri­stoph Pech­lin stand vor ihm, und sah ihm zu und konn­te zu­letzt auch wei­ter nichts tun, als sich sei­ner­seits et­was zu rei­ben, näm­lich den Hin­ter­kopf und eine, wie wir ziem­lich be­stimmt wis­sen, nur den ein­ge­weih­tes­ten und ge­bil­dets­ten Ph­re­no­lo­gen be­kann­te Ge­gend hin­ter den Ohren. –

      Und wäh­rend die­ses al­les auf dem Gip­fel des Ber­ges ver­han­delt wur­de, schrit­ten die bei­den so sehr tief in ih­ren Ge­füh­len ge­kränk­ten Frau­en­zim­mer den Berg im­mer noch wei­ter hin­ab, ohne sich um­zu­se­hen, we­nigs­tens fürs ers­te. So­lan­ge sie sich von den bei­den Un­ge­heu­ern auf dem Gip­fel ge­nau be­ob­ach­tet glau­ben konn­ten, gin­gen sie wür­dig, ei­sern, auf­ge­rich­tet: zwei ho­hen­stau­fen­sche Prin­zes­sin­nen auf ei­nem Abend­gan­ge zur Abend­mes­se in der Dorf­kir­che hät­ten nicht statt­li­cher und ma­je­stä­ti­scher da­hin­ge­hen kön­nen, vor­züg­lich auf ei­nem so stei­len und hol­prich­ten Pfa­de.

      Als je­doch durch und in der Ent­fer­nung und der im­mer stär­ker wer­den­den Däm­me­rung ziem­lich be­ru­hi­gend die Ge­wiss­heit vor­han­den war, dass selbst dem bes­ten Au­gen­gla­se es un­mög­lich sei, sich auf Spe­zia­li­tä­ten der Hal­tung und Ge­bär­de ein­zu­las­sen, ließ auch die Wür­de und Hal­tung bei­der Da­men be­deu­tend nach.

      Die Baro­nin fing an zu seuf­zen, und, ge­wich­ti­ger auf die schlan­ke Freun­din sich stüt­zend, im­mer wei­ner­li­cher über den gräss­li­chen Weg zu kla­gen. Und Miss Chri­sta­bel Ed­dish stütz­te sich hin­kend auf ih­ren Son­nen­schirm und rief:

      »Bless me, ich füh­le mich auch­falls sehr an­ge­grif­fen; aber es freut mich, dass wir sie ha­ben las­sen ste­hen al­lein. Auch sind wir nun bald im Ho­tel, was eine Trös­tung ist.«

      »Im Ho­tel?!« ächz­te die Baro­nin. »O Chri­s­ty, je dunk­ler es wird, de­sto un­heim­li­cher wird mir die Vor­stel­lung, in die­sem ent­setz­li­chen Dorf­wirts­hau­se über­nach­ten zu müs­sen. Dir nicht?«

      »O no!« sprach die Eng­län­de­rin ener­gisch. »Auch war­tet ja Vir­gi­ny mit dem Tee.«

      »Be­sä­ße ich doch dei­ne Kraft, mein mu­ti­ges Mäd­chen, mein star­kes Herz! Was mich an­be­trifft, so muss ich die letz­ten Res­te mei­ner kör­per­li­chen und geis­ti­gen Fä­hig­kei­ten zu­sam­men­neh­men, um den Ge­dan­ken an das uns Dro­hen­de er­tra­gen zu kön­nen. Frei­lich ist mir die Vor­stel­lung, den bei­den Un­menschen dort oben hin­ter uns auf dem kah­len Pla­teau neu­en Stoff zu neu­em Hohn, neu­em Hohn­la­chen und neu­en Ex­tra­va­gan­zen zu ge­ben, noch un­er­träg­li­cher. Vir­gi­ny wird doch hof­fent­lich nicht ver­ges­sen ha­ben, die Schach­tel mit In­sek­t– mit dem Blü­ten­staub der per­si­schen Ka­mil­le, mit dem nö­ti­gen Pul­ver ein­zu­pa­cken? Ach, Chri­sta­bel, ich saß schon ziem­lich häu­fig auf mei­nem Bet­te auf­recht, nach dem Mor­gen in Trä­nen mich seh­nend; aber wie ich in die­sem Au­gen­bli­cke nach der nächs­ten Mor­gen­rö­te ver­lan­ge, das lässt sich nicht ein­mal durch Trä­nen und Hän­de­rin­gen deut­lich ma­chen.«

      »Was die zwei Gent­le­men an­geht, so hast du recht, Lucy«, sprach die bri­ti­sche Jung­frau mit ei­nem et­was un­ge­dul­di­gen Zu­sam­men­zie­hen der Ach­seln.


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