Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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dem bie­de­ren Rei­se­ge­nos­sen auf sei­nen fei­nen We­gen durch die­se, je­den Theo­lo­gen und vor al­lem je­den vor­ma­li­gen In­sas­sen des Stif­tes zu Tü­bin­gen höch­lichst in­ter­es­sie­ren­den Fra­gen mit dem nö­ti­gen Ver­ständ­nis zu fol­gen. Er, der Baron, ging ein­fach hin­ter dem Ex­stift­ler her, stand still, wenn je­ner still stand, folg­te mit den Au­gen der deu­ten­den Hand des Freun­des und wand­te sich ohne Teil­nah­me mit, als Chri­stoph Pech­lin dem ur­al­ten Got­tes­hau­se den Rücken kehr­te. Wi­der­wil­lig und doch auch ohne Wil­len stol­per­te er dann auch dem Füh­rer nach, als die­ser den auf die Höhe des Burg­ber­ges füh­ren­den Fuß­pfad wei­ter be­schritt.

      »Bei Ba­pho­met! wird der im­pe­ra­to­ri­sche Fuchs je­des Mal ge­sagt ha­ben, wenn er ir­gend­wo in Apu­li­en das An­stel­lungs­pa­tent sei­nes hie­si­gen schwä­bi­schen Hair­le un­ter­schrieb. Ich wüss­te nicht, was er sonst ge­sagt ha­ben könn­te, Ripp­gen!« brumm­te Chri­stoph Pechle im Berg­auf­stei­gen.

      Gründ­li­cher als die­se Stau­fen­burg ist wohl nie ein Feu­dal­sitz vom Erd­bo­den weg­ge­fegt wor­den. Man hat auf dem Gip­fel des Ber­ges den schran­ken­lo­ses­ten Spiel­raum für Erin­ne­rung, Ge­fühl und Ein­bil­dungs­kraft; denn er ist voll­stän­dig kahl. Und in un­se­rem be­son­dern Fal­le kann uns das nur im höchs­ten Gra­de an­ge­nehm sein, denn im höchs­ten Gra­de ver­drieß­lich wäre es, wenn ir­gend­ein zer­trüm­mer­tes Ge­mäu­er von Palas, Wall oder Turm die Aus­sicht nach ir­gend­ei­ner Sei­te hin hin­der­te. Aber die Aus­sicht ist frei nach al­len Sei­ten, so­wohl von oben den Ke­gel hin­un­ter, wie von un­ten den Berg hin­auf. Das we­ni­ge, kunst­gärt­ne­risch an­ge­pflanz­te Ge­büsch hält sich be­schei­den am Bo­den, und man braucht sich kei­nes­wegs auf die Ze­hen zu stel­len, um über es weg den Ho­hen­zol­lern, das Stamm­haus je­nes an­de­ren frei­geis­ti­gen zwei­ten Fried­richs zu er­bli­cken.

      Um die­sen Kö­nig und je­nen Kai­ser küm­mer­ten sich die bei­den, in die­sem Au­gen­blick in tiefer Ein­sam­keit auf dem Gip­fel des Zucker­hu­tes ste­hen­den Da­men na­tür­lich nicht. Ohne sich ein­ge­hend mit Phi­lo­so­phie der Ge­schich­te zu be­fas­sen, stan­den sie auf­ein­an­der­ge­stützt, wie die bei­den Leo­no­ren auf dem be­kann­ten Düs­sel­dor­fer Bil­de und fan­den schon dar­an al­lein ihr see­li­sches Ge­nü­gen; – doch dar­an nicht al­lein, wie wir so­gleich aus ih­rer Un­ter­hal­tung er­fah­ren wer­den.

      Sie stan­den, die eine schlank und die an­de­re in et­was üp­pi­ger Be­leibt­heit, vor al­lem in der si­che­ren Ge­wiss­heit, dass die gan­ze Herr­lich­keit der Ho­hen­stau­fen von Kon­rad bis zu Kon­ra­din ih­nen und ih­ren Rei­zen Platz ge­macht habe; und im letz­ten Grun­de war dem auch so. Selbst die Abend­son­ne, wel­che glän­zend auf der schö­nen Land­schaft, über Tä­lern und Ge­bir­gen lag, schi­en ein­zig und al­lein ih­ret­we­gen sich so hold­se­lig ge­gen die Ber­ge im Wes­ten zu sen­ken, und auch die­se Mei­nung hat­te ihre un­um­stöß­li­che Be­rech­ti­gung. Die gol­de­ne Son­ne hielt es mit Ver­gnü­gen für ihre Ehren­pflicht, die bei­den schö­nen Frau­en auf dem ro­man­ti­schen Ber­ges­gip­fel vor al­lem üb­ri­gen zu ver­klä­ren und sie in die rech­te Be­leuch­tung zu stel­len. Wie sie auch sonst dann und wann dem un­be­fan­ge­nen Be­trach­ter er­schei­nen moch­ten, in die­sem Mo­ment und in die­sem wun­der­vol­len Schei­ne re­prä­sen­tier­ten sie doch das Wir­kungs­volls­te in al­ler Nähe und Fer­ne und muss­ten je­dem vom Dor­fe her den Berg Erklim­men­den als sol­ches ins Auge fal­len.

      Weich schmieg­te sich der Schat­ten der bei­den Da­men – näm­lich der Freifrau Lu­cia von Ripp­gen und der eng­li­schen Miss Chri­sta­bel Ed­dish an den wei­chen Gras­tep­pich un­ter und zu ih­ren Fü­ßen.

      Sie wa­ren es! Ja, sie wa­ren es, die Baro­nin und Miss Chri­sta­bel! Da wa­ren sie, da stan­den sie im gol­de­nen Abend­son­nen­schein auf dem Gip­fel des Ho­hen­stau­fen­ber­ges und blick­ten hin auf das Her­zog­tum Schwa­ben: das eng­li­sche Fräu­lein still und ziem­lich un­an­ge­foch­ten, die Baro­nin aber im hef­ti­gen Kampf mit den un­end­li­chen Mücken­schwär­men, wel­che sich vor­zugs­wei­se an sie, die deut­sche Frau und Hel­din hiel­ten, sie im­mer nä­her und nä­her um­tanz­ten und im­mer un­ver­schäm­ter ih­ren Rei­zen hul­dig­ten!

      Die bei­den Da­men blick­ten au­gen­blick­lich nicht auf den nach dem Dor­fe hin­ab­füh­ren­den Fuß­weg, son­dern, wie ge­sagt, auf die in ab­ge­stuf­tem Blau sich hin­deh­nen­de Ket­te der Alb.

      »Sieh, Teu­re, wie schön, wie herr­lich, wie er­ha­ben – o die­se ent­setz­li­chen Mücken!« rief die Baro­nin. »Welch ein Eden ist die­se Welt – könn­te die­se Welt sein, ohne so vie­les, vie­les – die­se Mücken sind un­er­träg­lich! was nicht hin­ein­pas­sen will! Chri­sta­bel, fas­sest du mich denn? Ja, ja, wir füh­len uns voll­kom­men eins in die­sen un­aus­sprech­li­chen Ge­füh­len! Schau doch jene Ge­bir­ge, wie sie uns hold lä­chelnd zu­win­ken! Er­re­gen sie dir auch die­ses süße, na­men­lo­se Heim­weh nach ei­ner noch bes­sern Welt – nach un­se­rer Welt, un­se­rer ei­ge­nen wirk­li­chen, wah­ren Welt?«

      »O yes, it is very fine, in­de­ed!« seufz­te die Eng­län­de­rin, ohne ihr in­ten­si­ves An­star­ren der Land­schaft zu un­ter­bre­chen.

      »Ach, die­se Ber­ge, die­se herr­li­chen Ber­ge«, fuhr die Baro­nin fort, mit dem duf­ten­den Ta­schen­tuch den ver­geb­li­chen Kampf ge­gen die Scha­ren ih­rer ge­flü­gel­ten Fein­de fort­set­zend, »die­se herr­li­chen Ber­ge, mit ih­ren lieb­li­chen, von hier nur ge­ahn­ten, idyl­li­schen Tä­lern; welch einen tiefe­ren, ob­jek­ti­ver­en, ru­hi­ge­ren, won­ni­ge­ren Ein­druck wür­den sie auf mein Herz ma­chen, ohne die be­drücken­de Vor­stel­lung, dass au­gen­blick­lich jene bei­den herz­lo­sen, see­len­lo­sen Men­schen auf und in ih­nen um­her­schwei­fen! Ich weiß es ja, Chri­sta­bel, du siehst al­les nicht nur mit mei­nen Au­gen, son­dern auch mit mei­ner See­le; aber es ist doch – mein Mann, den dort in je­ner duf­tig ent­zücken­den Fer­ne der wi­der­li­che Mensch, die­ser – Pech–le, die–­ser Ver–­füh­rer hin­ter sich her­schleppt! Hin­ter sich her­schleppt? O Gott nein, aus frei­en Stücken ist er mit­ge­gan­gen und läuft er viel­leicht ihm vor­aus, der Ab­scheu­li­che – mein Fer­di­nand!«

      »Wel­ches ich doch nicht glau­be«, sag­te die Eng­län­de­rin.

      »Du glaubst es nicht?!«

      »No! Weil ich es ihm nicht zu­traue, dass er vor­geht dem an­de­ren. Es ist nicht sein Cha­rak­ter.«

      »Vi­el­leicht! Aber das ist doch gleich­gül­tig und ent­schul­digt ihn gar nicht – die Mücken sind fürch­ter­lich! – und wer weiß, ob nicht viel­leicht ge­ra­de in die­sem Au­gen­blick, dort auf je­nem mir dem Na­men nach nicht be­kann­ten Gip­fel im Abend­duft die bei­den har­ten Un­ge­heu­er wie wir hier Arm in Arm ste­hen und hier­her her­über­schau­en, wie wir dort­hin. O, un­ge­zähl­te Schät­ze für ein ein­zi­ges Zu­cken aus un­se­rer Ge­müts­welt durch die ro­hen Ge­mü­ter je­ner bei­den! Ach, Chri­sta­bel, Chri­sta­bel, du kennst die zwei Pa­tro­ne nicht! Ach Süße, was ist doch der Mensch, wenn ihm für das Be­wusst­wer­den der ei­ge­nen Nich­tig­keit, – und wenn ihm für – un­ser Seh­nen nach der ewi­gen, un­ge­stör­ten Sab­bats­ru­he des Le­bens jeg­li­ches Or­gan fehlt?!«

      »O–i, Sab­bats­ru­he!« mur­mel­te die Eng­län­de­rin, die Au­gen­brau­en zu­sam­men­zie­hend und mit ei­nem schau­dern­den


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