Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Be­tre­ten die­ser sel­te­nen Stät­te scheint nicht den ge­wünsch­ten be­le­ben­den Ein­druck auf dich zu ma­chen, Fer­di­nand. Da set­ze ich denn mei­ne letz­te Hoff­nung auf das Lamm. Au­ßer­ge­wöhn­lich un­an­ge­nehm wär’s, wenn wir das Quar­tier be­reits be­legt fän­den.«

      Das hat­te ganz den An­schein, denn als die bei­den Wan­de­rer, im­mer noch bergan stei­gend, das Lamm in Sicht be­ka­men, hielt der Göp­pin­ger na­tür­lich schon un­ter der Hau­stür­trep­pe, sei­ner schö­nen Last ent­le­digt, und Pechle kratz­te sich nach­denk­lich hin­ter dem Ohr und sprach weh­mü­tig-ver­drieß­lich:

      »Mei­ne Ah­nun­gen trü­gen mich doch nie. Da un­ten im Och­sen ist Mu­sik und setzt es heu­te Abend si­cher­lich Hie­be, und hier ins Lamm hat sich dicht vor un­se­rer Nase das an­de­re Ge­schlecht ein­ge­legt, und nennt das wahr­schein­lich auch, Ro­sen ins ir­di­sche Le­ben win­den. Das muss i sage! Na, wie ischt’s, Lamm­wirt?«

      Von der Trep­pe sei­nes Hau­ses her­ab zuck­te der Wirt zum Lamm in Ho­hen­stau­fen selbst­ver­ständ­lich die Ach­seln, wäh­rend flachs­haa­ri­ge Dorf­ju­gend, zu Hau­fen um die bei­den An­kömm­lin­ge ver­sam­melt, sich kein Wort und kei­nen Ges­tus der Ver­hand­lun­gen ent­ge­hen ließ, son­dern mit auf­ge­sperr­tem Maul und Ohr al­les in sich hin­ein­schlang.

      »Auf dem Tanz­saal kann ich Ihne noch a Bett hin­stel­le. Das Lum­pen­volk, für wel­ches da der rech­te Platz wär, hält sei­ne Bet­tel­hoch­zeit ja doch im Och­se. Tre­te die Her­re ein, die frem­den Stadt­da­me sind schon auf den Berg ’nauf – wie ge­wöhn­lich!«

      Also sprach der Wirt zum Lamm in Ho­hen­stau­fen von sei­ner Hau­stür­trep­pe her­ab, und Pechle rief: »Was Bes­se­res hab’ ich mir nim­mer ge­wünscht. Es gilt für den Tanz­saal, Lamm­wirt. Mu­tig, Sechser­le – noch einen Schop­pen Ro­ten, und dann gleich­falls den Berg hin­auf – wie ge–wöhn­lich!«

      Ge­folgt vom Baron er­stieg er die Trep­pe und trat in die nie­de­re Ho­no­ra­tio­ren­stu­be zur Lin­ken der Tür, und sämt­li­che flachs­haa­ri­ge ho­hen­stau­fen­sche Dorf­ju­gend mach­te den Ver­such, eben­falls mit ein­zu­tre­ten, und konn­te nur mit Mühe vom Wirt be­wo­gen wer­den, den Ver­such auf­zu­ge­ben.

      In dem Gast­zim­mer stütz­te Fer­di­nand von Ripp­gen so­fort wie­der bei­de El­len­bo­gen auf den Tisch und den Kopf auf bei­de Hän­de; Pechle je­doch, al­les Le­bens­durs­tes voll, be­stell­te den Ro­ten, rieb sich mun­ter auf- und ab­lau­fend die Hän­de und mur­mel­te:

      »Im­mer ver­gnüg­ter wird man! Jetzt fehlt mir nur noch der Alte vom Kyff­häu­ser, um auf der Stel­le Brü­der­schaft mit ihm zu ma­chen. Das wäre et­was! Nach­her käme man auch zu ei­nem ver­nünf­ti­gen Ge­spräch, er­füh­re die Mei­nung des Al­ten über die Zu­kunft Deutsch­lands, und – dann gin­gen wir alle drei zu­sam­men auf den Berg, und den As­ses­sor da näh­men wir in die Mit­te und hö­ben ihn, wo es nö­tig wäre, und be­zeug­ten ihm die Hau­seh­re, wie es sich ge­bührt! Du, Baron, zum Son­nen­un­ter­gang kom­men wir im­mer noch früh ge­nug; greif mit bei­den Hän­den ans Glas – auch die bei­den ro­man­ti­schen Frau­en­zim­mer­le wer­den uns nicht ent­ge­hen: ich bin fest über­zeugt, sie sind in ih­rem his­to­ri­schen Ge­fühls­aus­tausch eben erst bei – Phil­ipp und Ire­ne traut – an­ge­kom­men, und das hält sie fest, bis wir kom­men.«

      »Lie­ber Freund«, seufz­te der Baron, »am liebs­ten wäre es mir, wenn du al­lein gin­gest: was mich an­be­trifft, so möch­te ich schla­fen ge­hen. Ich kom­me mir sel­ber vor wie eine Art Bar­ba­ros­sa im Kyff­häu­ser. Ich füh­le mich wie fest­ge­wach­sen, wenn auch nicht mit dem Bar­te am Tisch, so doch mit den Fü­ßen und Bei­nen am Bo­den. Au­ßer­dem ist mein Kopf sehr ein­ge­nom­men –«

      »Du soll­test wirk­lich noch einen Schop­pen zu dir neh­men.«

      Fer­di­nand von Ripp­gen schau­der­te.

      »Ich weiß fest, dass das mir den Rest ge­ben wür­de. O Chri­stoph, Chri­stoph, du bist mein Freund, aber of­fen ge­stan­den, dass ich dir zu mei­nem Be­ha­gen wie­der in die Hän­de ge­ra­ten sei, glau­be ich nicht mehr. Lie­ber Pech­lin, ich bit­te dich herz­lich, über­lass mich mir, mei­ner Er­mü­dung und mei­nem Schick­sal, we­nigs­tens für heu­te Abend. Erklim­me al­lein je­nen un­heim­li­chen kah­len Gip­fel, du kannst mir ja nach­her er­zäh­len, was du da oben ge­se­hen, er­fah­ren und er­lebt hast.«

      »Das wür­de dei­ne Frau mir in ih­rem gan­zen Le­ben nicht ver­zei­hen. Ich habe mir ver­spro­chen, dich ihr bes­ser, sitt­li­cher und ver­stän­di­ger zu­rück­zu­lie­fern, und ich wer­de mir Wort hal­ten. Ripp­gen, ich ver­las­se dich nicht, aber auch du wirst bei mir blei­ben, wirst mit mir ge­hen, und wirst vor al­len Din­gen nach fünf Mi­nu­ten, die ich dir noch zur Samm­lung dei­ner Le­bens­geis­ter ge­stat­te, mit mir den Fleck be­se­hen, wo die Burg dei­ner größ­ten Kai­ser stand.«

      »Pechle, mor­gen sind wir wie­der in Stutt­gart!« Ohne zu ah­nen, wie sehr er sich täusch­te, er­wi­der­te der Ex­stift­ler:

      »Umso mehr soll das Heu­te uns ge­hö­ren. Da steht der Rote, ver­scheu­che die bleich­gel­be Möre durch ihn und tu mir den Ge­fal­len, und sperr dich nicht län­ger. Weischt du, ich habe mich um den Mor­gen nie ge­küm­mert und bin stets gut da­bei ge­fah­ren.«

      »Ja, du auch!« seufz­te der Freund aus Sach­sen, und er hob sich müh­se­lig von sei­ner Bank hin­ter dem Tisch im Lamm zu Ho­hen­stau­fen.

      Es ist für einen den­ken­den, mit et­was po­li­ti­schem Sinn und vor al­len Din­gen mit Fan­ta­sie be­gab­ten Men­schen im­mer­hin et­was, die stei­le Gas­se des Dor­fes Ho­hen­stau­fen ge­gen den Burg­berg hin zu durch­wan­dern. Es liegt, ab­ge­se­hen von man­chem an­de­ren ein ziem­li­cher Trost für un­serei­nen in der For­texis­tenz die­ses Dor­fes mit dem be­rühm­ten Na­men. Die­se Bau­ern­häu­ser und Hüt­ten und das Volk in ih­nen ha­ben vie­ler­lei über­dau­ert, was vor­dem, wenn nicht mit Ver­ach­tung, so doch mit lä­cheln­der Ge­ring­schät­zung auf sie her­ab sah, und sie je­den­falls beim Auf­bau und Aus­bau sei­ner stol­zen Plä­ne we­nig in Rech­nung zog. Die ho­hen Zin­nen sind ge­fal­len, die Fürs­ten, die ge­wal­ti­gen Herr­scher der Welt zer­sto­ben; aber die Hüt­ten ste­hen noch auf­recht, und die Bau­ern von Ho­hen­stau­fen schla­gen heu­te noch wie vor tau­send Jah­ren auf den Tisch, hal­ten ihr Da­sein für et­was ganz Selbst­ver­ständ­li­ches und ha­ben si­cher­lich über die Be­rech­ti­gung die­ses ih­res Da­seins noch nie nach­ge­dacht.

      Es ist eine große Merk­wür­dig­keit, und wer ein­mal an­ge­fan­gen hat, dar­über nach­zu­den­ken, oder gar münd­lich oder schrift­lich et­was dar­über von sich zu ge­ben, der fin­det nicht leicht das Ende sei­ner Be­trach­tun­gen. An­ge­fan­gen ha­ben wir lei­der; aber wir wis­sen uns zu mä­ßi­gen und bre­chen kurz ab, in der fröh­li­chen Aus­sicht, heu­te Abend im Och­sen mit der kai­ser­lich-ho­hen­stau­fen­schen Hin­ter­sas­sen­schaft von neu­em zu­sam­men­zu­tref­fen. –

      Die bei­den Freun­de, Fer­di­nand und Chri­stoph, Wet­tin und Beu­tels­bach – stie­gen, nach­dem sie vor­her das Quar­tier im Tanz­saal in Au­gen­schein ge­nom­men und an­nehm­bar ge­fun­den hat­ten, jetzt der al­ten Kir­che zu, und – be­trach­te­ten sie von au­ßen. Hin­ein ging Pechle nicht, be­haup­tend, das kön­ne man von ihm, als frü­he­ren Tü­bin­ger Stift­ler, nicht ver­lan­gen. Da­für


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