Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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die­sem Au­gen­blick klopf­te der Kut­scher är­ger­lich an das Fens­ter, und Pechle klopf­te zärt­lich auf das Bänd­chen in dun­kel­grü­ner Lein­wand mit ab­ge­grif­fe­nem Gold­schnitt, schob es in den Sack zu­rück und sag­te:

      »Du wür­dest mich in dei­ner jet­zi­gen Stim­mung doch nicht nach Ver­dienst fas­sen und wür­di­gen. Stei­gen wir ein und fah­ren wir ab; aber da hast du mei­ne Hand drauf, ich wer­de im rich­ti­gen Mo­ment mit dem Stie­fel­knecht auf­po­chen. Ja, du bist mein Freund und sollst auch mor­gen von neu­em er­ken­nen, was du an mir wie­der­ge­fun­den hast.«

      »O Gott, o Gott!« stöhn­te der Baron und nahm den Arm, den ihm sein hei­te­rer Be­ra­ter und Ver­mitt­ler bot und, schwer ge­stützt auf ihn, wank­te er dem Wa­gen zu und ließ sich hin­ein­he­ben.

      Sie fuh­ren ab und sämt­li­ches Per­so­nal des Wirts­hau­ses zur Kro­ne in Owen dräng­te sich in der Tür und sah ih­nen kopf­schüt­telnd nach.

      »Das eine Men­sche’kind sollt i wohl ken­ne, aber das an­de­re ischt si­cher kei’ Lan­des­ge­wächs, und es ischt mer scho’ recht, wenn d’r Jäck­le vor­sich­tig fährt, – so was muss ma’ ja kon­ser­vie­re, dass noch lan­ge auch an­de­re Leut ihre Freud dra’ habe«, sag­te der Kro­nen­wirt.

      Über die Fahrt von Owen nach Kirch­heim ist nichts zu be­rich­ten. Der Baron lag mit ge­schlos­se­nen Au­gen in der einen Wa­gen­e­cke, und Chri­stoph lag in der an­de­ren, blin­zelnd durch die Staub­wir­bel der Land­stra­ße und den hel­len Mor­gen­son­nen­schein, mit sei­nen ly­ri­schen Ge­dich­ten hin­ten in der Rock­ta­sche und ei­ner Wein­fla­sche vorn zwi­schen den Kni­en. Auch von der Ei­sen­bahn­fahrt über Plo­chin­gen nach Göp­pin­gen ist we­nig zu er­zäh­len. Mit zwei Leu­ten, die län­ger als eine Wo­che in der schwä­bi­schen Alb her­um­lie­fen, ist im Ei­sen­bahn­wa­gen über­haupt we­nig an­zu­fan­gen; aber wenn Fer­di­nand im un­ru­hi­gen Schlum­mer den Weg ver­schlief und sich selbst beim Wa­gen­wech­sel in Plo­chin­gen kaum er­mun­ter­te, so war Chri­stoph we­nigs­tens doch im­stan­de, auch das Ge­tränk die­ser Sta­ti­on zu pro­bie­ren und ihm die ge­büh­ren­de Ehre zu ge­ben.

      In Göp­pin­gen speis­te man zu Mit­tag, und hier schlief Pechle einen ge­sun­den Nach­mit­tags­schlaf und wach­te der Baron; das Ge­fühl, die Ge­wiss­heit, sich auf dem Heim­we­ge zu be­fin­den, die Aus­sicht, mor­gen zu Hau­se zu sein, er­mor­de­ten dem letz­te­ren jeg­li­chen Ge­dan­ken an Schlum­mer und Schlaf. Mit kur­z­en, auf­ge­reg­ten, un­si­chern Schrit­ten lief er auf und ab im Saal, hör­te den Rei­se­ge­fähr­ten schnau­fen, fried­lich bla­sen und at­men und blieb nur von Zeit zu Zeit vor ihm ste­hen, um ihn mit ei­nem Ge­misch von Hass und Schutz­be­dürf­tig­keit an­zu­schau­en und so­fort sei­nen Marsch in ver­dop­pel­ter Ru­he­lo­sig­keit von neu­em auf­zu­neh­men.

      Nach drei Uhr er­wach­te Pechle, gähn­te, reck­te und dehn­te sich, rieb die Au­gen und schnarr­te ver­drieß­lich:

      »Was? Bist du schon wach?«

      »O ja! – Ja ge­wiss!«

      »Dann lass den Kaf­fee brin­gen und zah­le die Rech­nung. Ver­zeih mir, ich glau­be, ich habe von dir ge­träumt und wer­de wahr­schein­lich erst un­ter­wegs mei­ne Fas­sung und mei­nen Gleich­mut wie­der ge­win­nen. O Sechser­le, wie kannst du’s nur übers Herz brin­gen, dei­nem bes­ten, dei­nem ein­zi­gen Freun­de die­se kur­ze Ru­he­stun­de so ge­spens­tisch zu stö­ren?«

      »Ich gebe dir mein Ehren­wort –« rief der Baron im höchs­ten Gra­de ver­blüfft; aber Pechle ließ ihn den Satz nicht vollen­den.

      »Sei still! Sei nur ganz still!« sag­te er vor­wurfs­voll ab­wei­send. »Du bist mir er­schie­nen und zwar mit dei­ner Frau am einen Arm und der großen Un­be­kann­ten, der eng­li­schen Miss am an­de­ren! Zah­le und lass uns wie­der ins Freie. Ich hof­fe, die fri­sche Luft wird mir gut tun!«

      Die fri­sche Luft tat ihm gut. Sie übte selbst auf den Baron noch ein­mal einen be­le­ben­den Ein­fluss, und als der Schur­wald die bei­den Tou­ris­ten in sei­nen Schat­ten auf­nahm, da dreh­te sich un­ter den ers­ten Bäu­men des Ge­höl­zes Herr Chri­stoph Pech­lin auf ei­nem Bein drei­mal im Krei­se, schwang den Hut und stieß ein weit­hin schal­len­des Lust­ge­schrei aus. Dann sag­te er:

      »Das ist mir doch zum ers­ten Mal in mei­nem Le­ben pas­siert, dass mich der Alp am hel­len Tage im Mit­tags­schlaf ge­drückt hat. Nimm es mir nicht übel, Sechser­le, aber du hast dich mir schwer auf die Brust ge­legt. Eine süße Last wa­rest we­der du noch dei­ne Gat­tin, und dann – dann, wie konn­test du es wa­gen, mir Miss Chri­sta­bel Ed­dish im Trau­me vor­zu­stel­len?«

      »Ich ver­si­che­re dich, Chri­stoph –«

      »Sei ganz ru­hig! Ich ver­zich­te auf alle dei­ne Ver­si­che­run­gen, Be­teue­run­gen und Ent­schul­di­gun­gen; al­lein, wie es mir dem­nächst mög­lich sein wird, mich der Dame per­sön­lich zu prä­sen­tie­re, das weiß ich in die­sem Au­gen­blick wirk­lich nicht, und dich, – ehr­lich ge­stan­den, – sehe ich, bis die Vor­stel­lung statt­ge­fun­den hat, mit nicht zu bän­di­gen­dem Wi­der­wil­len, um nicht zu sa­gen Ekel und Ab­scheu an.«

      Sie wan­der­ten für­bass durch den Schur­wald, hü­gel­auf und hü­gel­ab bis un­ter den stei­len Ke­gel des Ho­hen­stau­fen. Auf die­sem Wege hat­ten sie die Land­stra­ße stets zu ih­rer rech­ten Hand, bald nah, bald wei­ter ab, jetzt voll­stän­dig zu über­se­hen, jetzt teil­wei­se oder gänz­lich durch das Ge­büsch oder die Baum­stäm­me ih­ren Au­gen ver­deckt. Es konn­te ih­nen also nicht ent­ge­hen, dass die zwei Gäu­le ei­nes Kutschwa­gens ziem­lich glei­chen Schritt mit ih­nen hiel­ten, ih­nen zur Zeit einen Vor­sprung ab­ge­wan­nen, um dann wie­der hin­ter ih­nen zu­rück­zu­blei­ben.

      »Wir wer­den Ge­sell­schaft beim Nachtes­sen im Lamm ha­ben«, sag­te Pechle. »Ich pfei­fe zwar dar­auf, denn der er­lauch­te Berg zieht son­der­bar lang­wei­li­ges Volk an; al­lein es kit­zelt mich doch im­mer. Hä, ihr Sach­sen, ihr Ober­sach­sen, ihr Meiß­ner, ihr Ein­wan­de­rer auf sla­vi­sches Ge­biet, da sitzt ihr mit eu­rem an­ge­maß­ten Stam­mes­na­men und eu­rem Hau­se Wet­tin und är­gert euch gren­zen­los, wenn wir euch von hier aus eine Nase zu­dre­hen.«

      »Was mich an­be­trifft, gar nicht!« sag­te der Baron Fer­di­nand von Ripp­gen, kö­nig­lich säch­si­scher As­ses­sor au­ßer Dienst. »Üb­ri­gens habe ich über die Sa­che auch noch gar nicht nach­ge­dacht.«

      Da­rauf sah ihn der schwä­bi­sche Ex-Theo­lo­ge eine Wei­le an und sprach dann treu­her­zig:

      »Siehscht du, Al­ter­le, das ischt auch ei­ner der Grün­de, wes­we­gen wir zwei deut­sche Brü­der im­mer so gut zu­sam­men aus­ge­kom­men sind! Da ist der Wa­gen wie­der – na­tür­lich voll Frau­en­zim­mer! Und hier sind wir am Ende des Wal­des, der Weg nach dem Dor­fe hin­auf ist noch ein schwe­res Stück Ar­beit. Ein halb Stünd­le im Schat­ten wirft mei­ne Uhr noch ab. Nimm Platz und er­lau­be mir als Au­to­chtho­nen, dich am Fuße die­ses al­ler­höchs­ten ger­ma­ni­schen Berg­ke­gels noch­mals herz­lich will­kom­men zu hei­ßen.«

      »Ei ja frei­lich, hier sit­ze ich!« seufz­te der Frei­herr, den Schweiß von der er­hitz­ten Stirn trock­nend, und der im Son­nen­bran­de den Weg zum Dorf Ho­hen­stau­fen hin­auf­krie­chen­den Kut­sche nach­bli­ckend.

      Süß wa­ren die­se letz­ten Mo­men­te der Ruhe im Schat­ten, selbst für den Baron. Die Auf­re­gun­gen, Ver­wir­run­gen und Kämp­fe,


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