Dr. Daniel Staffel 7 – Arztroman. Marie Francoise
grinste wieder, weil er sein Ziel erreicht hatte. Zwei Minuten später stand er im Cockpit.
»Wie sieht’s aus, Roger?« wollte er wissen. »Hast du Lust, dich ein bißchen zu entspannen?«
»Das tue ich gerade«, entgegnete dieser schmunzelnd, weil er genau wußte, worauf sein Kollege hinauswollte. »Vor fünf Minuten habe ich den Autopiloten eingeschaltet, der uns sicher nach Frankfurt bringen wird.« Dabei lehnte er sich auf dem Pilotensitz zurück, schlug die Beine übereinander und verschränkte die Arme. Der riesige Jumbo-Jet flog vollautomatisch, aber das hatte Billy natürlich gewußt, und jetzt, wo er im Cockpit stand, fühlte er sich seltsamerweise völlig sicher. Vermutlich war es das Gefühl, im Notfall eingreifen zu können, obwohl das bei so erstklassigen Piloten wie Roger Benton und Derek McCormick wirklich nicht nötig gewesen wäre. Sie hatten mehr Flugstunden auf dem Buckel als Haare auf dem Kopf.
Roger grinste herausfordernd. »Was ist los, Billy? Willst du bis zur Landung hier im Cockpit stehenbleiben? Das wird anstrengend für dich, alter Junge.«
Billy seufzte händeringend. »Womit habe ich nur soviel Boshaftigkeit verdient?« Mit Dackelblick sah er Roger an. »Ich kann doch auch nichts für meine Flug-angst.«
Lachend schüttelte Roger den Kopf. »Ein Pilot mit Flugangst. Meine Güte, Billy, das laß bloß keinen hören.«
Mit dem Kinn wies Billy zum Pilotensitz. »Wenn ich da vorne sitze, kenne ich keine Flugangst. Ich vertraue mein Leben eben nur ungern anderen Piloten an.«
»Was treibt dich überhaupt nach Frankfurt?« wollte Derek nun wissen, um Roger von seinen Neckereien abzubringen, damit Billy nicht ständig wieder mit seiner Flugangst konfrontiert wurde.
Billy zuckte die Schultern. »Meine Eltern stammten ursprünglich aus Deutschland, sind aber schon Jahre vor meiner Geburt nach San Francisco ausgewandert. Jetzt will ich mir meine Beinahe-Heimat mal ein bißchen anschauen.«
Das war jedoch nur die halbe Wahrheit. Billys Eltern, die vor mittlerweile zehn Jahren kurz nacheinander gestorben waren, stammten zwar wirklich aus Deutschland, doch der Heimat seiner Eltern galt Billys Interesse nicht. Die Liebe war der Grund für seine Reise – eine unglückliche und völlig aussichtslose Liebe, denn die Frau, die vor fünf Jahren wie ein Wirbelsturm in sein Herz gefegt war, hatte sich damals gerade auf der Hochzeitsreise befunden.
Billy klappte den Notsitz herunter und setzte sich.
»Darf ich hierbleiben?« fragte er.
Roger grinste wieder. »Wenn dir das nicht zu unbequem ist – bitte.«
Billy schüttelte den Kopf, dann fuhr er sich mit gespreizten Fingern durch die dichten blonden Locken. Er war verrückt, diese Reise ins Ungewisse zu unternehmen. Er kannte drüben in Deutschland keine Menschenseele, hatte keine Wohnung und keine Arbeit Und die Chance, dort die Frau zu finden, die selbst nach fünf Jahren noch in seinem Kopf und vor allem in seinem Herzen herumspukte, war äußerst gering. Außerdem… selbst wenn er sie tatsächlich finden sollte, dann war sie ja vermutlich noch immer verheiratet.
Sicher ist sie inzwischen glückliche Mutter und mit ihrem Leben restlos zufrieden, dachte Billy, und plötzlich bereute er, daß er sich zu dieser Reise entschlossen hatte. Es war der pure Wahnsinn gewesen, für eine völlig unrealistische Hoffnung in den Staaten alles zurückzulassen und in einem fremden Land völlig von vorn beginnen zu wollen…
*
»Mami, gehst du schon wieder aus?«
Schmollend zog die vierjährige Sissi ihre Unterlippe hoch und sah ihre Mutter vorwurfsvoll an.
»Immer muß ich mit Nini allein bleiben«, fügte sie hinzu, und bei diesen Worten rollten zwei Tränen über ihre runden Pausbäckchen.
Spontan ging Diana Wieland in die Hocke und nahm ihr Töchterchen zärtlich in die Arme.
»Aber, Mäuschen«, entgegnete sie tröstend, »ich dachte, du hättest immer viel Spaß mit Nadine, wenn ich ausgehe. Soviel ich weiß, hat sie ein ganz neues Spiel mitgebracht.«
Doch damit konnte Diana ihre kleine Tochter heute nicht aufmuntern. Normalerweise war Sissi ja ganz vernarrt in ihr Kindermädchen Nadine, das sie der Einfachheit halber zärtlich Nini nannte, doch heute wollte sie ihre Mutter nicht hergeben. Instinktiv spürte sie wohl, daß Diana zu keinem Geschäftsessen gehen würde.
»Ich will kein neues Spiel«, wehrte Sissi energisch ab. »Ich will, daß du mich ins Bett bringst und mir eine Geschichte vorliest.«
Diana seufzte leise. Sie ging nur selten einmal privat aus, weil Sissi ohnehin oft genug auf ihre beruflich sehr eingespannte Mutter verzichten mußte, und Diana wollte ihrem Kind so viel Zeit wie möglich widmen, mußte sie für Sissi ja Mutter und Vater zugleich sein. Doch heute…
»Morgen bringe ich dich ins Bett, Schatzele«, versprach sie. »Und dann lese ich dir auch eine ganz lange Geschichte vor, einverstanden?«
Doch Sissi schüttelte den Kopf, daß die hellbraunen Locken nur so flogen.
»Nein, heute«, beharrte sie.
Diana zögerte, war aber schon drauf und dran, ihre Verabredung abzusagen, weil sie es nicht ertragen hätte, Sissi weinend bei dem Kindermädchen zurückzulassen. Der Abend mit Alex würde ihr ja doch keinen Spaß machen, wenn sie wußte, daß ihr Töchterchen traurig war.
»Sissi, ich habe eine ganz tolle Idee«, mischte sich in diesem Moment Nadine ein. »Wenn deine Mami ausgeht, dann gehen wir beide einfach auch aus.« Vertraulich zwinkerte sie dem kleinen Mädchen zu. »Mein Idefix muß unbedingt noch mal Gassi geführt werden. Ich nehme die große Taschenlampe mit, und dann werden wir beide so lange mit Idefix draußen herumlaufen, bis es dunkel ist. Was glaubst du, wie lustig das wird.«
In Sissis Gesichtchen ging die Sonne auf. Nadines Hund, eine liebenswerte Promenadenmischung, war ihr ein und alles. Dazu noch eine Nachtwanderung mit Taschenlampe… etwas besseres hätte dem Kindermädchen gar nicht einfallen können. Diana warf ihr einen dankbaren Blick zu und verabschiedete sich dann sehr zärtlich von Sissi, die es jetzt kaum noch erwarten konnte, bis ihre Mutter endlich das Haus verlassen hatte.
Diana bestieg ihren schnittigen Sportwagen und fuhr zu dem kleinen Weinlokal am Ortsrand von Steinhausen. Als sie ausstieg und auf die schwere Eingangstür zuging, bekam sie heftiges Herzklopfen. Seit dem Tod ihres Mannes vor mehr als vier Jahren hatte es in ihrem Leben nur noch Sissi und ihre Arbeit gegeben – für die Liebe sollte da kein Platz mehr sein, denn ein Teil ihres Herzens war mit Michael gestorben. Doch nun war Alex in ihr Leben getreten, und Diana fühlte, daß es auch für sie noch Liebe gab… eine Liebe, so groß und gewaltig, wie sie sie vorher nur bei Michael kennengelernt hatte.
»Diana.«
Mit einem charmanten Lächeln kam er ihr entgegen, und wieder fielen Diana die seltsam kalten, smaragdgrünen Augen auf, die so gar nichts von den Gefühlen preisgaben, zu denen er fähig war. Voller Herzlichkeit erwiderte sie sein Lächeln.
»Alex.«
Er nahm sie in die Arme und küßte sie, bevor er sie zu dem verschwiegenen kleinen Nischentisch begleitete, den er zuvor bereits ausgewählt hatte.
»Ich dachte schon, du würdest gar nicht kommen«, erklärte er, und in seiner Stimme schwang leiser Vorwurf mit.
Diana seufzte. »Ach, weißt du, Alex, es ist nicht immer leicht für mich, von zu Hause wegzukommen. Durch das riesige Unternehmen, das ich nach Michaels Tod geerbt habe, bin ich beruflich viel unterwegs. Sogar jetzt, nach mehr als vier Jahren, habe ich mich noch immer nicht restlos eingearbeitet, weil es so viel ist, worum ich mich kümmern muß. Und ich will Sissi wegen des Unternehmens keinesfalls vernachlässigen. Wenn ich dann auch noch privat ausgehe…« Sie schütelte den Kopf. »Ich will Sissi nicht ständig allein lassen. Sie hat ja nur mich. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt…« Sie stockte. Die Erinnerung an den schrecklichen Unfall, bei dem Michael damals ums Leben gekommen war, tat noch immer weh. Zu dieser Zeit war sie mit Sissi im siebten Monat schwanger gewesen, und wenn sich ihr Frauenarzt Dr. Robert Daniel nicht so rührend um sie