Dr. Daniel Staffel 7 – Arztroman. Marie Francoise

Dr. Daniel Staffel 7 – Arztroman - Marie Francoise


Скачать книгу
keinen«, antwortete Dr. Daniel schlicht. »Dazu wirst du nämlich nicht in der Lage sein, oder willst du über sein künftiges Leben entscheiden?«

      »Ich möchte nur, daß er gesund wird«, murmelte Dr. Metzler.

      Dr. Daniel schwieg. Hierin waren die beiden Ärzte einig.

      *

      Stefan, der Sohn von Dr. Daniel, erreichte den Steinhausener Kindergarten in letzter Minute. Da ging nämlich auch schon die Tür auf, und die Kinder liefen freudestrahlend ihren Müttern, Vätern, Omas oder Opas entgegen, die gekommen waren, um sie abzuholen.

      »Stefano!«

      Mit einem fröhlichen Jauchzer sprang die kleine Tessa Daniel ihrem Stiefbruder entgegen und stürzte sich in seine Arme. Es war für sie jedesmal ein kleiner Festtag, wenn sie von Stefan abgeholt wurde, denn normalerweise kam Irene Hansen, Dr. Daniels ältere, verwitwete Schwester, die der Familie den Haushalt führte, zum Kindergarten.

      »Hallo, kleine Springmaus.«

      Stefan fing das quirlige Mädchen auf und hob es hoch über seinen Kopf. Tessa quietschte vor Vergnügen, dann schlang sie ihre Arme um Stefans Nacken und drückte einen innigen Kuß auf seine Wange.

      Seit fast einem Jahr gehörte Tessa nun zur Familie, und mittlerweile dachte niemand mehr daran, welchen Wirbel es einst um ihre Adoption gegeben hatte. Für die Allgemeinmedizinerin Steinhausens – Manon Carisi – war damals, kurz nach ihrer Verlobung mit Dr. Daniel, eine Welt zusammengebrochen, als sie hatte erfahren müssen, daß ihr verstorbener Mann Angelo auf Sardinen eine uneheliche Tochter hatte. Allerdings hatte die kleine Tessa, die kurz nach der Geburt ihre Mutter verloren und seitdem bei dem recht betagten Monsignore Antonelli gelebt hatte, ihr Herz und auch das von Dr. Daniel im Sturm erobert. Unmittelbar nach der Hochzeit hatten sie die kleine Tessa adoptiert, und seitdem wirbelte die kesse Italienerin Dr. Daniels Haushalt gehörig durcheinander.

      »Wieso bist du heute hier, Stefano?« fragte Tessa und streichelte dabei zärtlich durch seine dichten Locken.

      Er lächelte sie an. »Weil ich ausnahmsweise keinen Dienst habe und weiß, wie sehr sich mein geliebtes Schwesterchen freut, wenn ich es vom Kindergarten abhole.«

      Tessa strahlte übers ganze Gesicht. Sie liebte ihre Adoptiveltern über alles, aber Stefan war ihr ganz großer Held. Deshalb benutzte sie auch grundsätzlich die italienische Form seines Namens, obwohl sie schon fließend Deutsch sprach.

      Weder Tessa noch Stefan bemerkten die traurigen Blicke der kleinen Julia Merkl, die ein wenig abseits stand und darauf wartete, von der Sekretärin ihres Vaters abgeholt und für den restlichen Nachmittag zur Tagesmutter gebracht zu werden.

      »Julia, du hast ja immer noch deine Hausschuhe an!« erklang in diesem Moment die tadelnde Stimme von Doris Beckmann. Ungeduldig schaute sie auf die Uhr. »Beeil dich, Kind. Ich muß zusehen, daß ich wieder ins Büro komme. Dein Vater braucht mich.«

      Stumm schlüpfte Julia aus ihren Hausschuhen und in die schwarzen Lackstiefelchen. Dabei wanderte ihr sehnsüchtiger Blick zu Tessa, die an der Hand ihres Bruders zum Ausgang hüpfte. Jetzt drehte sie sich um.

      »Julia!« rief sie. »Kommst du heute zu mir?«

      »Ich… ich weiß nicht«, stammelte Julia und warf Doris Beckmann einen bittenden Blick zu.

      »Beeil dich endlich!« mahnte diese nur.

      Tessa war zurückgelaufen und sah nun mit treuherzigem Blick die junge Frau an, die ungeduldig neben Julia wartete.

      »Darf Julia zu mir kommen, Fräulein Beckmann?«

      »Das kann ich nicht bestimmen, Kleine«, wich Doris aus. Sie hatte keine Lust, sich hier länger als nötig aufhalten zu lassen. Das Abholen vom Kindergarten war ihr ohnehin schon lästig genug. Sie sagte nur deshalb nichts dazu, weil sie das gute Verhältnis mit ihrem Chef auf keinen Fall belasten wollte.

      »Julia kann gleich mit uns mitgehen«, bot Stefan an, der seinem kleinen Schwesterchen gefolgt war. »Ich rufe Herrn Merkl an und sage ihm Bescheid, daß er Julia heute abend bei uns abholen kann.«

      »Ich weiß nicht…«, murmelte Doris zögernd. »Wir werden ja eigentlich von Frau Simmer erwartet… das ist die Tagesmutter, die Julia betreut«, fügte sie hinzu. Viel mehr als das wurmte sie jedoch, daß sie möglicherweise umsonst zum Kindergarten gegangen war.

      »Kein Problem«, urteilte Stefan. »Auch da kann ich anrufen.« Er lächelte Julia an. »Na, was ist? Hast du Lust mitzukommen?«

      Das Mädchen nickte glücklich. »Ja, Stefan, natürlich.«

      »Herr Daniel, heißt das«, belehrte Doris die Kleine streng.

      Doch Stefan schüttelte den Kopf. »Nein, nein, Stefan war schon ganz richtig. Herr Daniel – das ist mein Vater.« Er grinste entwaffnend. Ohne weiter mit der jungen Sekretärin zu diskutieren, nahm er Tessa und Julia bei der Hand. »In so charmanter Begleitung war ich ja schon lange nicht mehr.«

      Die beiden Mädchen kicherten. Von Julias Traurigkeit war kaum noch etwas zu spüren. Sie würde heute einen herrlichen Tag verbringen, und das entschädigte das kleine Mädchen für so manches.

      *

      Es war schon kurz nach sieben Uhr abends. Dr. Daniel war gerade im Begriff, seine Praxis zu verlassen, als es an der Haustür klingelte. Er öffnete und sah sich dem jungen Ingenieur Harald Merkl gegenüber.

      »Guten Abend, Herr Merkl«, grüßte Dr. Daniel mit dem ihm eigenen herzlichen Lächeln. »Sie kommen sicher, um Ihr Töchterchen abzuholen.«

      Harald nickte und wurde dabei ein wenig verlegen. »Ihr Sohn hat mich heute aber ziemlich überrumpelt.« Er schwieg kurz. »Ich muß gestehen, es ist mir recht unangenehm, daß Julia den ganzen Tag hier verbracht hat… ich meine… sie ist manchmal recht lebhaft und schließlich…«

      »Ich bitte Sie, Herr Merkl«, fiel Dr. Daniel ihm ins Wort. »Julia hat uns überhaupt nicht gestört, und Tessa ist überglücklich, wenn sie eine Freundin bei sich hat.«

      »Na ja, trotzdem…« Harald wand sich sichtlich. »Wissen Sie, ich kann mich da nicht revanchieren. Ich bin praktisch den ganzen Tag außer Haus und…« Hilflos zuckte er die Schultern. »Ich müßte wieder heiraten, aber… es ist nun mal nicht so einfach, eine Frau zu finden, die…« Er stockte. Die mich liebt und bereit ist, Mutter für ein sechsjähriges Mädchen zu sein, hatte er sagen wollen, doch er brachte die Worte nicht über die Lippen – schon gar nicht einem eher Fremden gegenüber. Sicher, seine verstorbene Frau war Patientin von Dr. Daniel gewesen, aber er selbst hatte mit dem Arzt bisher kaum ein Wort gesprochen – von ein paar Höflichkeitsfloskeln, wenn man sich in Steinhausen begegnete, einmal abgesehen.

      Impulsiv legte Dr. Daniel jetzt eine Hand auf Haralds Schulter. Er wußte nur zu gut, was der junge Mann durchgemacht hatte, schließlich war er bei Julias Geburt ja dabeigewesen… hatte miterleben müssen, wie Simone Merkl unter seinen Händen weggestorben war. Er hatte sich damals schrecklich hilflos gefühlt, hatte sich eine Weile sogar Vorwürfe gemacht – ungerechtfertigterweise, denn ihn hatte am Tod der Patientin wirklich keine Schuld getroffen. Ein Aneurysma, das sich so versteckt gebildet hatte, daß es bei keiner Untersuchung entdeckt worden war, war unter den Anstrengungen der Geburt gerissen. Simone Merkl war innerlich verblutet, bevor man sie vom Kreißsaal ins OP hatte bringen können.

      »Es ist immer schlimm, wenn man so früh Witwer wird«, meinte Dr. Daniel teilnahmsvoll. »Und als alleinerziehender Vater hat man es besonders schwer.«

      »Ich habe einfach zu wenig Zeit für Julia«, seufzte Harald, dann blickte er zu Boden. »Ich habe für viele Dinge zu wenig Zeit.«

      Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »So dürfen Sie das nicht sehen, Herr Merkl. Sie können Julia nicht Vater und Mutter gleichzeitig sein, Sie können nur versuchen, das Beste aus Ihrer Situation zu machen, und das tun Sie meines Erachtens schon.«

      Wieder seufzte Harald. »Ich weiß nicht… dieser Meinung bin ich leider überhaupt nicht. Manchmal fühle ich mich so… so unfähig.


Скачать книгу