Dr. Daniel Staffel 7 – Arztroman. Marie Francoise
»Ich habe von Jeff schon viel über Sie gehört.«
»Hoffentlich nur Angenehmes«, entgegnete Dr. Daniel mit einem freundlichen Lächeln, dann wurde er ernst. »Jeff sagte mir bereits, daß Sie Frau Wieland besuchen möchten. Soweit ich informiert bin, sind Sie ihr allerdings nicht bekannt.«
»Das ist richtig«, stimmte Billy zu. »Allerdings ist das, was ich Frau Wieland zu sagen habe, für sie von großer Bedeutung.«
Dr. Daniel seufzte. »So vage Andeutungen habe ich nicht besonders gern, vor allem, wenn es um eine frisch operierte Patientin geht.«
Während Billy noch mit sich rang, ob er Dr. Daniel sagen sollte, was er wußte, hatte Nadine schon die Initiative ergriffen.
»Frau Wielands Verlobter hat Sissi ganz offensichtlich geschlagen«, erzählte sie.
Dr. Daniel war zutiefst betroffen, dann sah er Billy an. »In diesem Fall halte ich es für wichtig, Frau Wieland zu informieren, allerdings muß ich darauf bestehen, dabeizusein.«
»Kein Problem«, urteilte Billy. »Ich will nur, daß sie weiß, in welcher Gefahr ihr Kind schwebt.«
Zusammen gingen sie ins erste Stockwerk hinauf. Billy hielt sich im Hintergrund. Sissi sollte die erste sein, die ihre Mutter begrüßte. Erst als Mutter und Tochter ausgiebig miteinander geschmust hatten, traten Dr. Daniel, Nadine und Billy ein. Billy schloß die Tür hinter sich, dann sah er sich um. Im selben Moment ging Dr. Daniel ein wenig zur Seite, und nun konnte Billy einen ersten Blick auf Diana werfen. Er hatte das Gefühl, als würde ihm das Herz stehenbleiben.
Wie in Trance schritt er auf das Bett zu und glaubte noch immer zu träumen. Da war sie… die Frau, nach der er sich seit fünf Jahren sehnte. Er hörte, wie Dr. Daniel mit ihr sprach, und wußte, daß von Alex die Rede war, doch er konnte kein Wort verstehen. Er konnte auch nichts mehr sehen – nur sie.
Er bemerkte das Erschrecken in ihrem Gesicht und sah den dankbaren Blick, mit dem sie ihn jetzt anschaute. Ihre Lippen bewegten sich, sie sprach mit ihm, doch er konnte sie nicht hö-
ren.
»Fühlen Sie sich nicht wohl?«
Das waren die ersten Worte, die bis zu seinem Gehirn vordrangen. Er schluckte schwer und war sicher, keinen vollständigen Satz hervorbringen zu können.
»Sie erinnern sich nicht mehr an mich, nicht wahr?« Er hörte sich selbst sprechen, doch seine eigene Stimme klang ihm fremd in seinen Ohren.
Erstaunt sah Diana ihn an. »Sollte ich das?«
Billy nickte, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, vermutlich nicht.« Impulsiv griff er nach ihrer Hand. »Vor fünf Jahren… auf dem Weg von San Francisco nach Hawaii… Sie waren bei mir im Cockpit…«
Ein Hauch von Melancholie huschte über Dianas Gesicht, dann erinnerte sie sich an den jungen, sympathischen Piloten, der sie mit seinen himmelblauen Augen so lange angeschaut hatte. Jetzt lächelte sie ihn an.
»Von San Francisco nach Steinhausen ist es ein weiter Weg«, stellte sie fest, dann wurde sie ernst. Voller Dankbarkeit ergriff sie seine Hand. »Ich stehe tief in Ihrer Schuld, Herr…« Sie stockte.
»Billy«, meinte er. »Einfach nur Billy.«
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Billy«, erwiderte
Diana. »Sissi war gestern so verstört, aber… ich habe Alex geglaubt. Es gab für mich keinen Grund, es nicht zu tun. Allerdings ist das, was mir Dr. Daniel jetzt gesagt hat, sehr viel einleuchtender, und wer weiß, wie lange ich gebraucht hätte, um das herauszufinden, wenn Sie nicht gewesen wären.«
»Es war Zufall«, murmelte Billy. »Eigentlich war ich im Begriff abzureisen. Ich wollte mir eine Fahrkarte nach München holen, und morgen früh sollte mein Flug nach San Francisco gehen.«
»Dann waren Sie nur zu Besuch hier?« wollte Diana wissen.
Billy zögerte. Es war jetzt der falsche Zeitpunkt, das spürte er. In Dianas Blick stand Traurigkeit. Sie hatte gerade etwas ganz Schreckliches über ihren Verlobten erfahren… hatte eine Liebe verloren, die zwar sicher nur einseitig bestanden hatte, aber der Schmerz war für sie deswegen nicht geringer. Andererseits hatte Billy Angst, nie wieder eine solche Chance zu bekommen.
»Ich war auf der Suche nach einer Frau, die ich nur ein einziges Mal gesehen hatte, aber nie wieder vergessen konnte«, begann er leise. Er bemerkte nicht, wie Dr. Daniel Nadine einen Wink gab, das Zimmer zu verlassen. Der Arzt hatte mit einer solchen Wendung natürlich nicht gerechnet, doch jetzt hatte er bemerkt, daß hier auch noch eine tiefe Herzensangelegenheit vorlag.
»Ich wußte weder ihren Namen noch ihren Aufenthaltsort, und im Grunde rechnete ich nicht damit, sie jemals wiederzusehen«, fuhr Billy fort.
Erstaunt sah Diana ihn an. Sie wußte nicht, weshalb er ihr das erzählte. Vielleicht hätte sie einen Zusammenhang gesehen, wenn ihr das Herz nicht so schwer gewesen wäre. Sie verstand nicht, wie Alex so etwas hatte tun können, und sie wußte, daß sie ihn zur Rede stellen mußte, wenn es auch kein angenehmes Gespräch werden würde. Mühsam zwang sie ihre Gedanken wieder zurück in dieses Krankenzimmer.
»Mir scheint, Sie sind ein Mensch, der zu tiefen Gefühlen fähig ist«, meinte sie. »Wie lange liegt diese Begegnung zurück?«
»Fünf Jahre«, antwortete Billy. Sein Blick war eindringlich. »Die Frau war damals frisch verheiratet und mit ihrem Mann auf Hochzeitsreise. Während des Fluges von San Francisco nach Hawaii baten sie mich über die Stewardeß, einen Blick ins Cockpit werfen zu dürfen.« Er blickte zu Boden. »Sie trat herein und landete mitten in meinem Herzen.«
»Billy«, flüsterte Diana ergriffen. »Meine Güte… bin ich diese Frau?«
Er nickte, dann brachte er ein schiefes Grinsen zustande. »Beinahe wäre ich wieder zu spät gekommen… das heißt. vielleicht ist es für mich sowieso immer zu spät… ich meine…« Er zuckte die Schultern. Gedankenlos griff er nach einer von Sissis Haarsträhnen und ließ sie durch seine Finger gleiten. Die Kleine hatte die ganze Zeit über mucksmäuschenstill auf Dianas Bett gesessen und sich nur zärtlich an ihre Mutter geschmiegt.
»Billy, wirst du mich jetzt immer beschützen?« fragte sie nun mit ihrem hellen Kinderstimmchen. »Damit Alex mich nicht mehr verhauen kann?«
Voller Innigkeit schloß Diana ihr Töchterchen in die Arme. »Nie wieder wird Alex dich verhauen, mein Mäuschen. Dafür werde ich schon sorgen.«
Billy drehte sich um. Er hatte das Gefühl, hier überflüssig zu sein. Diana hatte ein eigenes Leben… ein Leben, in dem er nichts verloren hatte.
»Billy!«
Ihre Stimme hielt ihn zurück. Er sah sie an – unsicher, fast ängstlich.
»Du kannst jetzt nicht einfach gehen, Billy«, meinte sie und registrierte dabei sehr wohl, daß sie ihn duzte.
»Was soll ich hier denn noch?« fragte er zurück.
»Sissi und ich brauchen jemanden, der uns beschützt… der dafür sorgt, daß wir nicht wieder an den Falschen geraten.«
Billys Herz vollführte einen Luftsprung. »Heißt das…?«
Dianas Kopfschütteln unterbrach ihn. «Nein, Billy, vorerst heißt das noch gar nichts. Schau mal, du hast von mir geträumt, aber im Grunde kennst du mich doch gar nicht. Und ich… ich will ehrlich sein. Ich hatte dich bereits vergessen, als ich das Flugzeug in Honolulu verließ. Ich war damals glücklich verheiratet und bis über beide Ohren verliebt. In meinem Herzen gab es keinen Platz für einen anderen Mann. Und jetzt… Alex hat meine Tochter geschlagen, und das ist so ungefähr das Schlimmste, was er mir antun konnte. Aber ich habe ihn geliebt, und das kann ich auch nicht einfach vergessen.«
Billy verstand. Sie brauchten Zeit – beide. Sie mußten sich kennenlernen, einander näherkommen, aber dann würde ihnen vielleicht die Tür zu einer gemeinsamen Zukunft offenstehen.
*
In