Dr. Daniel Staffel 7 – Arztroman. Marie Francoise

Dr. Daniel Staffel 7 – Arztroman - Marie Francoise


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dann begleitete er sie zu der Kunststoffbank zurück, auf der sie vorhin gesessen hatte. Er wußte nicht, wie er sie trösten sollte… vermutlich gab es gar keinen Trost. Die Knochenmarkbiopsie würde nur noch bestätigen, was für Dr. Scheibler eigentlich schon klar war. Franz Baumgartner litt an akuter Leukämie. Es käme einem Wunder gleich, wenn die Biopsie ein anderes Ergebnis bringen würde. Normalerweise wür-de Dr. Scheibler den ohnehin schon geschwächten Patienten gar nicht mehr mit dieser Untersuchung quälen, aber er beabsichtigte, Franz in die Thiersch-Klinik

      zu überweisen, und Professor Thiersch bestand grundsätzlich auf der Vollständigkeit der Unterlagen – vor allem, um mögliche Fehldiagnosen zu vermeiden.

      »Ich werde für Ihren Verlobten tun, was ich kann«, versprach Dr. Scheibler leise. Es war das einzige, was er Annemarie guten Gewissens zusichern konnte.

      Aus brennenden Augen sah sie ihn an. »Hier?«

      Dr. Scheibler schüttelte den Kopf. »Ich nehme nur die nötigen Untersuchungen vor. Die Behandlung muß in der Thiersch-Klinik durchgeführt werden. Professor Thiersch ist führend, wenn es um Krebserkrankungen geht.«

      Hoffnungslos schüttelte Annemarie den Kopf. »Ich kenne die Thiersch-Klinik und weiß, wie gut sie ist, aber… die Wartelisten sind endlos lang.«

      »Das ist richtig«, stimmte Dr. Scheibler zu, dann brachte er ein kaum sichtbares Lächeln zustande. »Ich habe beste Beziehungen zur Thiersch-Klinik, weil ich früher als Stationsarzt dort gearbeitet habe. Aber auch wenn das nicht so wäre… einen dringenden Fall würde Professor Thiersch niemals abweisen – mögen die Wartelisten auch noch so lang sein.«

      »Hoffentlich«, flüsterte Annemarie, dann griff sie nach Dr. Scheiblers Hand und drückte sie, während in ihrem Gesicht offene Verzweiflung stand. »Franz darf nicht sterben. Ich habe doch nur ihn.«

      Der Oberarzt fühlte grenzenloses Mitleid, und am liebsten hätte er ihr versprochen, daß Professor Thiersch ihren Verlobten retten würde, doch als verantwortungsbewußter Arzt durfte er das nicht tun. Er durfte ihr keine Hoffnungen machen, die sich wahrscheinlich nicht erfüllen würden.

      *

      Franz Baumgartner war wach, als Dr. Scheibler den Operationssaal betrat.

      »Was haben Sie mit mir vor?« fragte er, und seine Stimme bebte ein wenig. Instinktiv fühlte er, daß sein andauernder schlechter Zustand einen ernsten Grund haben mußte.

      »Ich muß eine Knochenmarkbiopsie vornehmen«, antwortete Dr. Scheibler. »Wissen Sie, was das ist?«

      Franz schüttelte den Kopf.

      »Sie bekommen von Dr. Parker eine Vollnarkose«, erklärte der Oberarzt. »Dann werde ich mit einer speziellen Spritze aus ihrem Brustbein ein bißchen Knochenmark ansaugen, das ich anschlie-ßend im Labor untersuchen muß.«

      Franz schluckte schwer. »Was… was ist mit mir?«

      »Das wird die Untersuchung ergeben«, wich Dr. Scheibler aus. Das dringend nötige Gespräch mit seinem Patienten wollte er nicht unbedingt im Operationssaal führen.

      Der Anästhesist Dr. Jeffrey Parker, den der Oberarzt für diese Untersuchung mitten in der Nacht aus dem Bett gescheucht hatte, leitete jetzt die Narkose ein, dann sah er Dr. Scheibler an.

      »Auf Dauer werden Sie um die Wahrheit doch nicht herumkommen«, meinte er.

      »Das weiß ich, Jeff«, erwiderte Dr. Scheibler ernst. »Aber es muß ja nicht hier sein. Ich finde, er hat ein Recht darauf, die schreckliche Nachricht wenigstens in einer annehmbaren Atmosphäre zu erfahren.«

      »Sie denken dabei an das, was Sie selbst durchlitten haben«, vermutete Dr. Parker.

      Erstaunt sah der Oberarzt ihn an. »Woher wissen Sie das? Als ich Leukämie hatte, waren Sie doch noch gar nicht an der Klinik.«

      »Man hört so dies und das«, entgegnete der junge Anästhesist.

      Sinnend blickte Dr. Scheibler durch ihn hindurch.

      »Diese Krankheit und die Liebe zu meiner Frau haben das aus mir gemacht, was ich heute bin«, erzählte er, und Dr. Parker hatte das Gefühl, als würde der Oberarzt dabei zu sich selbst sprechen. »Ich war karrieresüchtig und immer oberflächlich in meinen Gefühlen… ein Casanova, der hinter jedem Rock her war – bis ich Steffi kennenlernte und an Leukämie erkrankte. Da habe ich gemerkt, wie wertvoll das Leben wirklich ist und wie sinnlos das Streben nach Karriere. Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, Freunde zu haben… Menschen, auf die man sich blind verlassen kann.« In diesem Moment war es, als würde er aus einem Traum erwachen. Er schüttelte den Kopf. »Meine Güte, was rede ich denn da?«

      Er griff nach einer Hohlnadel und führte sie in den Knochen des Brustbeins ein, dann schob er ein Stilett durch die Nadel und bohrte es mit kurzen, drehenden Bewegungen durch die Knochenrinde. Dabei arbeitete er mit einer ruhigen Gelassenheit, der man nicht hätte anmerken können, wie angespannt er war… wie er sich der unsinnigen Hoffnung hingab, die Biopsie könnte ein anderes Ergebnis bringen als das von ihm erwartete. Er entfernte nur das Stilett und saugte das Knochenmark mit Hilfe einer Spritze ab.

      »So, das war’s«, murmelte er. »Sie können ihn wieder auf Intensiv bringen, Jeff.«

      Dr. Parker nickte, dann hielt er den Oberarzt, der jetzt das OP verlassen wollte, zurück.

      »Gerrit, ich bin nicht schlecht im Labor«, erklärte er. »Ich meine… wenn die Belastung für Sie zu groß ist… wenn Sie zu sehr an Ihre eigene Krankheit erinnert werden…«

      Dr. Scheibler mußte lächeln. »Danke, Jeff. Ich weiß Ihre Sorge um mich zu schätzen, aber derartige Untersuchungen gehören nun mal zu meinem Beruf. Keine Angst, ich schaffe das schon.«

      »Das weiß ich«, entgegnete Dr. Parker schlicht, dann brachte er Franz zur Intensivstation, blieb bei ihm, bis er das erste Mal zu sich kam, und überließ ihn schließlich der Obhut der Nachtschwester. Er wußte, daß er jetzt wieder nach Hause fahren und weiterschlafen könnte, doch statt dessen fand er den Weg zum Labor. Er wollte gerade die Tür öffnen, als Dr. Scheibler heraustrat. Sein ernstes Gesicht beantwortete eigentlich jede Frage.

      »Wie sieht’s aus?« wollte Dr. Parker dennoch wissen.

      »Böse«, antwortete der Oberarzt. »Akute lymphoblastische Leukämie.« Er schwieg kurz. »Halten Sie sich morgen früh… nein, es ist ja schon heute… also, heute gleich nach Dienstantritt bereit, Jeff. Ich muß zur Sicherung der Diagnose noch eine Lumbalpunktion vornehmen.«

      »Der arme Kerl«, urteilte Dr. Parker.

      Dr. Scheibler seufzte. »Ich muß das machen. Wenn ich sie ihm erspare, bekomme ich von Professor Thiersch gehörig den Kopf gewaschen, und Herr Baumgartner müßte die Punktion in der

      Thiersch-Klinik über sich ergehen lassen.«

      Aufmerksam sah der junge Anästhesist ihn an. »Wann werden Sie es ihm sagen?«

      »Jetzt«, antwortete Dr. Scheibler. »Die Punktion wird an der grundsätzlichen Diagnose Leukämie nichts ändern.«

      »Wenn es nun nicht die lymphoblastische, sondern die myeloblastische ist?« wollte Dr. Parker wissen.

      »Dann stehen seine Überle-benschancen noch ein paar Prozent schlechter«, antwortete Dr. Scheibler finster.

      »Hat er denn überhaupt eine Chance? Ich meine… sein Allgemeinzustand ist ja schon bedenklich genug.«

      Dr. Scheibler nickte. »Das ist richtig, aber in der Thiersch-Klinik hat er eine Chance, weil der Professor die größte Erfahrung auf diesem Gebiet besitzt.« Er nickte Dr. Parker verabschiedend zu. »Seien Sie bitte pünktlich, Jeff. Ich möchte nach der Lumbalpunktion sofort nach München fahren.«

      »Sie sind verrückt, Gerrit«, entfuhr es dem Anästhesisten. »Sie hatten Nachtdienst und…« Er schwieg, denn Dr. Scheibler hatte ihm gar nicht mehr zugehört, sondern war einfach gegangen.

      Dr. Parker seufzte, dann sah er auf die Uhr. In eineinhalb Stunden


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