Dr. Daniel Staffel 7 – Arztroman. Marie Francoise

Dr. Daniel Staffel 7 – Arztroman - Marie Francoise


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er, dann legte er sich im Ärztezimmer auf die Untersuchungsliege, doch die Sorge um Franz Baumgartner ließ auch ihn keine Ruhe finden.

      *

      Als Dr. Scheibler die Intensivstation betrat, saß Annemarie an Franz’ Bett.

      »Ich muß mit Ihnen sprechen«, begann der Oberarzt, und sein ernstes Gesicht verriet bereits, daß es kein angenehmes Gespräch werden würde. Er sah, wie Franz die Hand seiner Verlobten fester umklammerte. Die Frage, ob Annemarie hierbleiben durfte, erübrigte sich daher.

      »Ich habe keine guten Nachrichten«, gestand Dr. Scheibler, während er auf der anderen Sei-te von Franz’ Bett Platz nahm. »Die Untersuchung hat bestätigt, daß Sie an akuter Leukämie leiden.«

      Franz biß sich auf die Lippen, konnte ein schmerzvolles Aufstöhnen aber trotzdem nicht unterdrücken. Aus den Tiefen seiner Erinnerungen kehrte das schreckliche Wort zurück, und nun betraf es ihn selbst.

      Er schloß die Augen, seine Lippen zitterten.

      »Nein«, flüsterte er heiser. »O Gott, nein…«

      Impulsiv griff Dr. Scheibler nach der anderen Hand seines Patienten und hielt sie fest, so wie auch Annemarie eine Hand ihres Verlobten hielt.

      »Herr Baumgartner, Leukämie muß heute kein Todesurteil mehr sein«, erklärte er eindringlich. »Ich werde sofort veranlassen, daß Sie in die Thiersch-Klinik verlegt werden. Professor Thiersch ist der absolut Beste auf diesem Gebiet.«

      Langsam öffneten sich Franz’ Augen. Er sah Dr. Scheibler an, und der Oberarzt erkannte die schreckliche Hoffnungslosigkeit darin.

      »Meine Mutter…«, flüsterte Franz. »Sie starb an Leukämie… ich war damals erst acht Jahre alt, aber… ich erinnere mich noch an ihren Leidensweg, als wäre es erst gestern gewesen… an ihre Schmerzen… ihre Schreie… Herr Doktor, ich habe Angst. Ich will nicht sterben… nicht jetzt schon und nicht so… nicht auf diese grauenhafte Art und Weise…«

      Dr. Scheibler wußte genau, wie es jetzt in dem jungen Mann aussah. Er durchlitt Franz’ Leid, als wäre es wieder sein eigenes.

      »Professor Thiersch wird alles menschenmögliche für Sie tun«, versicherte er, doch seine Stimme klang etwas heiser. Nur zu gut erinnerte er sich an die Machtlosigkeit des Professors angesichts der aggressiven Form von Leukämie, an der er selbst gelitten hatte. Und doch hatte Professor Thiersch ihm letztlich das Leben gerettet… er und Dr. Metzler, der Chefarzt der Waldsee-Klinik, hatten es getan, indem sie das gefährliche Risiko eingegangen waren, ihn mit einem noch nicht zugelassenen Medikament zu behandeln.

      Wieder hatte der Oberarzt Mühe, diese Gedanken abzuschütteln. Plötzlich war alles wieder so gegenwärtig, und es nützte auch überhaupt nichts, wenn er sich einzureden versuchte, daß Franz Baumgartners Leukämie nicht zwangsläufig so aggressiv sein müßte. Es war, wie er vorhin zu ihm gesagt hatte – Leukämie war heutzutage durchaus heilbar. Warum konnte nur er selbst nicht daran glauben?

      *

      Dr. Robert Daniel, der hiesige Gynäkologe und Direktor der Waldsee-Klinik, lag noch im Bett, als ihn das Klingeln des Telefons unsanft aus dem Schlaf riß.

      »Meine Güte, was ist denn jetzt los?« murmelte seine Frau Manon, die neben ihm hochschreckte.

      Dr. Daniel tastete in der Dunkelheit nach dem Telefonhörer, dann meldete er sich.

      »Parker«, gab sich der Anrufer zu erkennen. »Tut mir leid, wenn ich Sie aus den Federn gescheucht habe, Robert, aber ich glaube, Ihre Anwesenheit in der Klinik wäre jetzt nicht ganz verkehrt.«

      Schlagartig war Dr. Daniel hellwach. »Ist etwas passiert, Jeff?«

      »Gerrit hatte Nachtdienst«, erzählte Dr. Parker hastig. »Es kam zu einem Verkehrsunfall, der zunächst ganz harmlos aussah, doch dann stellte sich heraus, daß der Patient Leukämie hat. Ich glaube, Gerrit könnte ein bißchen Unterstützung brauchen, und von Ihnen nimmt er sie sicher auch an.«

      »Ich bin schon unterwegs«, versprach Dr. Daniel, warf einen kurzen Blick auf die Uhr und stellte fest, daß es erst kurz nach fünf war.

      »Ich denke, daß ich bis zur Sprechstunde wieder hier sein werde«, sagte er zu seiner Frau, während er bereits in Hemd und Hose schlüpfte. Duschen mußte im Moment ausfallen; dazu war später sicher noch Zeit. Er küßte Manon flüchtig, dann verließ er das Schlafzimmer und Sekunden später auch seine Villa.

      Als er die Klinik erreichte, wurde er dort von Dr. Parker bereits erwartet.

      »Was tun Sie eigentlich um diese Zeit schon hier?« wollte Dr. Daniel wissen, als er dem jungen Anästhesisten zur Intensivstation folgte.

      »Gerrit hat mich vor gut zwei Stunden wegen der Knochenmarkbiopsie aus dem Bett geworfen«, erzählte Dr. Parker. »Ich habe mich danach für ein paar Minuten auf die Untersuchungsliege im Ärztezimmer gelegt, aber an Schlaf war wirklich nicht mehr zu denken.« Er schwieg kurz. »Der Junge ist vielleicht fünfundzwanzig und hat Leukämie. Ich bin zwar kein Krebsspezialist, aber ich weiß, was diese Diagnose bedeuten kann… was sie sogar mit grausamer Sicherheit bedeuten wird. Der Allgemeinzustand des Patienten ist verheerend, und Gerrit weiß das. Deshalb hat er es ja mit den Untersuchungen so eilig, aber ich fürchte, daß er sich selbst damit auch noch schadet. Sie wissen besser als ich, was er während seiner Krankheit durchgemacht hat. Die seelische Belastung, die jetzt zu der Sorge um seinen Patienten noch dazukommt, ist nicht zu unterschätzen.«

      Dr. Daniel nickte. »Ich werde mich darum kümmern.« Er legte Dr. Parker sekundenlang eine Hand auf die Schulter. »Es war gut, daß Sie mich angerufen haben.«

      Dann betrat er eiligst die Intensivstation, während der junge Anästhesist zurückblieb. Wieder sah er auf die Uhr. Eine knappe Stunde würde er sich noch ausruhen können, ehe er sich für die anstehende Lumbalpunktion bereit machen mußte.

      *

      Auf der Intensivstation herrschte eisiges Schweigen. Dr. Scheibler fühlte sich ausgelaugt und am Ende seiner Kraft. Er war nicht mehr imstande, den beiden jungen Menschen Trost zu spenden, ganz abgesehen davon, daß es in einer solchen Situation ohnehin keinen Trost gab.

      Franz steckte in seinen Erinnerungen fest, die das Bild seiner leidenden Mutter heraufbeschworen. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß sein Leben auch so enden würde – geprägt von Leid und Schmerz. Seine Mutter war zu jener Zeit nur drei Jahre älter gewesen, als er es jetzt war. Achtundzwanzig… in der Blüte ihres Lebens… sie hatte gekämpft wie eine Löwin, doch der Tod war stärker gewesen… er hatte sie mit unerträglichen Schmerzen bezwungen.

      Unwillkürlich schluchzte Franz auf. Annemarie, die noch immer seine Hand hielt, zuckte erschrocken zusammen. Seit Dr. Scheibler die schreckliche Diagnose ausgesprochen hatte,

      herrschte in ihrem Kopf nur noch Leere. Sie konnte nichts denken und nichts fühlen… nicht einmal Tränen brachte sie heraus. Da war nur ein dumpfer, pochender Schmerz, der von ihrem Herzen aus immer höher stieg, bis er ihren Kopf erreichte. Es war wie eine Explosion. Annemarie bäumte sich auf, ihre Hände fuhren an die Schläfen, dann sackte sie bewußtlos zu Boden.

      Erschrocken sprang Dr. Scheib-ler auf, und genau in diesem Moment trat auch Dr. Daniel herein. Er stellte keine einzige Frage, sondern kniete sofort neben der ohnmächtigen jungen Frau nieder, tastete nach ihrem Puls und hob sie schließlich hoch.

      Inzwischen hatte Dr. Scheibler schon eine fahrbare Trage gebracht, auf die Dr. Daniel die junge Patientin legte.

      »Was ist mit Annemie?« fragte Franz, und seine besorgte Stimme überschlug sich beinahe.

      »Keine Sorge, Herr Baumgartner, wir kümmern uns um sie«, versprach Dr. Scheibler, doch als er mit Dr. Daniel hinausgehen wollte, hielt dieser ihn zurück. »Bleiben Sie bei Ihrem Patienten, Gerrit. Ich glaube, gerade jetzt sollte er nicht allein sein.«

      Dann schob er die fahrbare Trage in den nächsten Untersuchungsraum, doch während er noch Blutdruck und Reflexe kontrollierte, kam Annemarie schon wieder zu sich. Hastig wollte sie sich aufrichten, doch


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