Leni Behrendt 6 – Liebesroman. Leni Behrendt

Leni Behrendt 6 – Liebesroman - Leni Behrendt


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sich zusammenreißen mit aller Kraft, was dann auch gelang. Rasch überflog sie das Notenblatt.

      »Danke, Herr Graf, es wird gehen«, sprach sie leise in die Stille hinein. Erst zaghaft, dann immer sicherer glitten die Finger über die Tasten. Zweimal spielte sie die Melodie durch, dann setzte die Stimme ein. Nicht sehr geschult, doch ungemein einschmeichelnd in ihrer betörenden Süße, die so recht zu der zarten, sehnsüchtigen Weise paßte:

      Ich sprach zur Taube:

      Flieg und bring im Schnabel das Kraut mir heim,

      das Liebesmacht verleiht.

      Am Ganges blüht es, in dem Land der Fabel –

      die Taube sprach:

      Es ist zu weit.

      Ich sprach zum Adler:

      Spanne dein Gefieder und für das Herz,

      das kalt sich mir entzog,

      hol einen Funken Glut vom Himmel nieder –

      der Adler sprach:

      Es ist zu hoch.

      Da sprach zum Geier ich:

      Reiß aus dem Herzen den Namen mir, der eingegraben steht,

      vergessen lernen will ich und – verschmerzen –

      der Geier sprach:

      Es ist zu spät –.

      Wohl noch nie hatte Almut mit so herzwarmer Innigkeit gesungen wie dieses schwermütige Lied. Tränen perlten in ihrer Stimme. Die Hände glitten wie müde von den Tasten, die Augen schauten sehnsüchtig wie in unerreichbare Ferne.

      Sie hätte weinen mögen, wild und hemmungslos.

      Lautlose Stille war um sie her, bis die Gräfin zu ihr trat, sie an beiden Händen zu sich hochzog.

      »Ich danke Ihnen, mein liebes Kind«, sagte sie mit tränendunkler Stimme. »Sie haben mir mit Ihrem Gesang einen Wunsch erfüllt. So wie Sie konnte dieses unvergessene Lied nur noch – einer singen –«

      Verstohlen wischte sie die Tränen fort, drückte einen Kuß auf die zarte Mädchenstirn und wandte sich dann den andern zu, die tief erschüttert waren. Die beiden Grafen um das, was sie verloren und das der herzbewegende Gesang des Mädchens wieder aufgewühlt hatte – und Adele aus Mitleid mit den Menschen, die das Schicksal so hart getroffen.

      »So, nun seid wieder lustig –«, zwang Gräfin Erdmuthe ihre Stimme zu fröhlichem Ton. »Laßt uns anstoßen auf die kleine Nachtigall hier.«

      Sie zog Almut in den Kreis der andern, die Gläser klangen zusammen – und langsam wagte sich die Fröhlichkeit wieder hervor.

      »Jetzt hätte ich noch Lust zu einem Tänzchen«, verriet die Gräfin, der nichts mehr von Traurigkeit anzumerken war. »Aber es müßte ein Walzer sein, und zwar: ›Gold und Silber‹ von Lehar.«

      »Damit kann ich dienen«, sagte Adele. »Den Walzer kriege ich noch zurecht.«

      Jetzt nahm sie am Flügel Platz und entlockte dem Instrument in meisterhafter Fertigkeit die süßklingende Weise. Kein Wunder, daß Almut bei dieser Lehrerin so viel gelernt hatte, zumal sie noch musikalisch über den Durchschnitt begabt war.

      Der Hausherr verneigte sich vor seinem jungen Gast und wiegte sich mit ihm im Walzertakt. Dasselbe tat Marbod mit seiner Mutter. Prüfend sah er in das stolze Antlitz, um dessen Mund ein Schmerzenszug lag.

      »Muttchen, wie konntest du nur so unvernünftig sein«, sagte er vorwurfsvoll. »Um das Lied unbeschadet hören zu können, muß dein Herz erst viel ruhiger geworden sein –.

      Und überhaupt: Hüt vor dem Alltag, was du Heiliges hast –«

      »Es war kein Alltag, mein lieber Junge. Ich wußte genau, was ich tat, als ich das Mädchen bat, das Lied unseres armen Veit zu singen, das ich sonst wohl wie ein Heiligtum hüte. Und ich habe mich nicht getäuscht – es wurde eine Feierstunde für mich. Es hat nicht weh getan, Marbod, ganz gewiß nicht. Diese herz­innige Stimme war eine zärtliche Hand, die Balsam auf meine Herzwunde legte.«

      »Dann hättest du aber nicht hinterher zum Tanz animieren dürfen, Mutter.«

      »Hast du die tränenschweren Augen des Mädchens nicht gesehen, Marbod? Man hat nicht das Recht, sein Leid in so viel unbeschwerte Jugend zu tragen –«

      »Die Paare wechseln –!« rief Graf Veit hinüber, was dann auch geschah. Das Gespräch, das er nun mit der Gattin führte, war ungefähr dasselbe, wie es Mutter und Sohn vorhin getan. Nur noch inniger waren die Worte, die er für seine tapfere Ehekameradin fand.

      Als Marbod den Arm um Almut legte, zuckte sie zusammen. Er schien jedoch nichts davon gemerkt zu haben, wie sie aufatmend feststellen konnte. Sein Antlitz hatte den gewohnt gelassenen Ausdruck, seine Augen blickten in ruhiger Freundlichkeit zu ihr nieder. Nichts Zärtliches stand in den blauen Männeraugen, nichts in seiner Haltung verriet, daß er dem bezaubernden Menschenkind in seinem Arm auch nur ein wenig zugetan war, dem das Herz wie ein schwerer Stein in der Brust lag.

      Jetzt erst merkte die sonst so kühle Almut Fahrenroth, daß sie überhaupt ein Herz besaß. Und das war bis zum Rande mit Liebe erfüllt für diesen stolzen Mann, der bereits an eine Frau gefesselt war.

      Es mußte doch eine Seligkeit ohnegleichen sein, bei ihm weilen zu dürfen. Seiner sonoren Stimme zu lauschen, sein warmes Lachen zu hören. In dieses rassige Antlitz, in diese blitzenden Augen zu schauen. Selbst sein ironisches Lächeln konnte man sehr wohl liebgewinnen.

      »Flieg und bring im Schnabel das Kraut mir heim, das Liebesmacht verleiht«, schoß es ihr qualvoll durch die Gedanken.

      Es ist zu weit.

      »Danke, Herr Graf, ich bin müde«, sprach sie leise zu ihm empor. Sofort löste sich sein Arm von ihrer Mitte.

      »Schade, gnädiges Fräulein, Sie tanzen fabelhaft. Das habe ich bereits im ›Wilden Jäger‹ feststellen können.«

      »Wissen Sie auch, Herr Graf, daß Sie mir soeben eine Schmeichelei sagten?« blitzte sie ihn an – und schon hockte in seinen Mundwinkeln wieder das von ihr so gefürchtete und zugleich geliebte Lächeln.

      »Schmeichelei? Ach so, weil ich sagte, daß Sie gut tanzen? Das ist keine Schmeichelei, sondern nur die Feststellung einer Tatsache.«

      »Danke, das beruhigt mich ungemein. Und nun werde ich mein gutes ›Möpschen‹ ablösen, damit auch sie das Tanzbein schwingen kann, was sie für ihr Leben gern tut.«

      Ehe er noch antworten konnte, war sie schon an den Flügel geeilt.

      »Liebes Möpschen, Ablösung vor –!« meldete sie strammstehend wie ein Soldat. »Walze also mit dem Herrn Grafen davon, ich werde für schneidige Tanzmusik sorgen.«

      »Ja, was hast du denn?« sah das Fräulein sie erstaunt an. »Sonst bist du unersättliche Tänzerin doch kaum vom Parkett zu bekommen. Bist du etwa krank? Blaß genug siehst du aus.«

      »Nicht krank, nur ein wenig müde von der ungewohnten Strickarbeit. Kannst du das verstehen?«

      »Nein«, kam es trocken zurück. »Aber bei dir ist ja alles möglich.«

      Die andern waren dem Geplänkel amüsiert gefolgt. Lachten dann auf, als Adele zu Marbod trat und ihn anblinzelte: »Denn man los, Herr Graf. Ist ja egal, wer Ihnen auf die Füße tritt.«

      Dreimal noch wechselten die Paare, dann war die Tanzlust gestillt. Man setzte sich wieder an den Kamin, trank den Rest des Sekts und begann zu plaudern. Kam dabei auch auf das erste Zusammentreffen im »Wilden Jäger« zu sprechen, von den lustigen Stunden, die man dort verlebt.

      »Wie der Zufall doch manchmal spielt«, lachte Adele gemütlich. »Als wir uns verabschiedeten, hat wohl keiner damit gerechnet, daß wir uns so bald wiedersehen würden.«

      Befremdet bemerkte sie die lächelnden Blicke, die die Gastgeber miteinander tauschten. Eine Ahnung stieg


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