Griechische Mythologie. Ludwig Preller
Oder wie Kallimachos dieses Wunder schildert: Heilige Schwäne kommen gezogen und ziehen ihre Kreise siebenmal um die Insel. Da wird Apollo geboren als das Kind des siebenten Monatstages, da singen die delischen Nymphen das heilige Lied der Eileithyia. Da war Alles golden auf Delos, der ganze Boden der Insel und alle die heiligen Stätten503: ein schönes Bild für den dichten Schimmer des zuerst ausstrahlenden Lichtes und Sonnenglanzes, der in den südlichen Ländern bei so feiner Luft in der That wie eine starke Vergoldung auf den beleuchteten Gegenständen aufliegt. Der siebente Tag war in allen Monaten dem Apollo heilig, weil Leto ihn am siebenten geboren (daher Ap. ἐβδομαγενής, ἐβδόμειος), und zwar nach delischer Ueberlieferung am siebenten Thargelion, welcher von Jahr zu Jahr als sein Geburtstag gefeiert wurde, wie in Delphi der siebente Tag des Monates Bysios504. Außerdem waren dem Apollo, wie dem Licht- und Sonnengotte Ianus in Rom, alle ersten Tage der Monate d. h. die des von neuem erscheinenden Mondes heilig505.
Auf Apollons Geburt folgt die Stiftung seines Orakels zu Delphi und der Tod des Drachen Python, den er mit den ersten Pfeilen seines Bogens niederstreckte506: ein Kampf welcher dem Drachenkampfe Siegfrieds in der deutschen und nordischen, dem des h. Georg in der christlichen Mythologie entspricht und als symbolische Grundlage der meisten Feste und Legenden von Delphi durch Musik, Poesie und bildende Kunst weit und breit verherrlicht wurde. Man nannte diesen Drachen, den man sich bald männlich bald weiblich dachte, gewöhnlich Python, nach späterer Tradition aber auch Delphyne oder Delphynes507. Immer ist er ein Symbol der sich dem Lichte entgegensetzenden Finsterniß, sowohl im physikalischen als im ethischen Sinne des Worts, unter dem Bilde einer wilden Ueberfluthung, einer faulenden Verwesung, wie sie sich im Thale von Krisa und in den Umgebungen von Delphi in der wüsten Zeit des Jahres darstellen mochte. Die Dichter beschreiben diesen Drachen als ein dem Typhon verwandtes, von der Erde gebornes Ungethüm, welches vom Gebirge und dem oberen Pleistosthale in die fruchtbare Ebene von Krisa hinabkriechend die Felder verheert, die Nymphen verjagt, Menschen und Vieh würgt, die Bäche schlürft, die Berge in furchtbaren Windungen rings umkreist508: ein schlangenartig gebildetes Ungeheuer, wie sie die Sagen aller Völker so oft schildern. Sobald Apollo bei Delphi erschien hat er es gleich mit seinem Pfeile getödtet und der Verwesung anheimgegeben, wovon gewöhnlich der Name Python abgeleitet wird, desgleichen der Name des gleich nach dem Siege gestifteten Heiligthums Πυϑὼ509 und der dadurch bestimmte, von Delphi aus allgemein verbreitete Beiname des Apollo Πύϑιος. Auch erscholl nach diesem Kampfe zuerst das helle Lied des Sieges und des triumphirenden Lichtes ἰὴ ἰὴ παιῆον, das seitdem von Ort zu Ort und von Jahr zu Jahr gesungen wurde, bis es für alle Welt zum gewöhnlichen Jubel des Sieges und alles höchsten Preises und Dankes geworden war510: ursprünglich ein Cultuslied des Apollinischen Dienstes, wie denn auch Apollo selbst in Folge dieser herkömmlichen Anrufung und als der allgemeine Helfer und Heiler Ἰήιος und Παιήων und Παιὰν genannt zu werden pflegte.
Eine zweite und gleichartige Erzählung ist die von dem erdgebornen Riesen Tityos, welcher Leto anzutasten gewagt hatte und deshalb von ihren Kindern getödtet wird, denn hier ist Artemis immer mit bei dem Triumphe betheiligt: eine Sage welche sowohl auf der Insel Euboea erzählt wurde und hier schon der Odyssee bekannt ist511, als in der Gegend von Delphi wo Tityos als ein den Frieden der heiligen Straße bei Panopeus störender, von Zeus mit der Nymphe Elara erzeugter, aber von der Erde geborner Recke gewaltthätigen Sinnes erscheint512. Viele Lieder und Denkmäler verewigten auch dieses Ereigniß, wie Leto von dem lüsternen Riesen angetastet wurde und wie er dann gleich den Pfeilen ihrer göttlichen Kinder erlag, worauf er in die Unterwelt gebannt wurde um dort für immer ein Sinnbild böser Lust zu sein.
Endlich das Kommen und Gehen des Apoll, mit dem die Sage bei dem schönen Mythus von den Hyperboreern anknüpft, deren zuerst Hesiod und das Gedicht von den Epigonen gedacht und von denen besonders der alte Lykier Olen in seinen delischen Hymnen gesungen hatte513. Boreas ist Winter und Sturm, sein Sitz das nördliche Grenzgebirge der Rhipaeen. Jenseits desselben dachte man sich ein Land und Volk voll seliger Ruhe und Klarheit, wobei eine dunkle Kunde von den hellen Nächten des Nordens mitwirkte, die sich in der mythischen Geographie zur Dauer eines halben Jahres, während dessen immer lichter Tag sei, erweitert haben514. Also sind die Hyperboreer ein Volk das hoch im Norden im ewigen Lichte wohnt, deshalb das geliebte priesterliche Volk Apollons, den sie unausgesetzt feiern und in heiligen Gesängen preisen515. Auch seine eigentliche Wohnung und Heimath ist bei ihnen, wie die der Leto und der Artemis, daher auch die diesen Göttern dienenden Priester und Priesterinnen sammt andern ihrer Verehrung geweiheten oder sie verbreitenden Personen nicht selten aus dem wunderbaren Lande der Hyperboreer abgeleitet werden. Immer gehören zu diesem ferner die Schwäne, als schimmernde und singende Vögel des Lichts, die man auf dem Okeanos heimisch dachte, weil das Land der Hyperboreer mit seinem Eridanosstrome an den Okeanos grenzte516. Aber auch die orientalische Fabel von den goldhütenden Greifen (denn Gold und Licht sind homogene Gedanken) und den einäugigen Arimaspen wurde mit der Hyperboreersage in Verbindung gebracht, namentlich durch Aristeas von Prokonnesos, welcher selbst ein Priester des Apoll und ganz von Wundern umgeben die Sage in dieser Gestalt in einem Gedichte ausgeführt hatte (Herod. 4, 13 ff.). So wurden nun auch die Greife zu heiligen Thieren des Apoll und zu Symbolen seines Dienstes, so daß er oder Artemis mit ihnen fährt, oder sie werden von Greifen getragen, oder auch von fliegenden Schwänen517. Andre suchten jenes Wunderland geographisch zu bestimmen, indem sie sich die Hyperboreer als Nachbarn der frommen Skythen dachten, daher der hyperboreische Apollonspriester Abaris, auch ein wunderbarer Mann, als Skythe auftrat518. Oder man suchte sie in den fabelhaften Donaugegenden, wohin bei Pindar die heilige Hirschkuh der Artemis flüchtet. (Ol. 3, 30), oder dort wo man sich den Eridanos und die Heimath des Bernsteins dachte. In Delos erzählte man sogar von Sendungen der Erstlinge von der Erndte, welche aus hohem Norden und auf unbekannten Wegen nach Dodona und von dort durch Thessalien ans Meer, dann über Euboea nach Delos gelangt wären519. Der wahre Grund dieser sinnbildlichen Ueberlieferungen aber hatte sich im Cultus erhalten. Man feierte nehmlich Apollo zu Delos und Milet, auch zu Delphi und zu Metapont in Italien als einen mit der bösen Jahreszeit in ferne Gegenden Abreisenden (ἀποδημία) und bei Erneuerung des Jahres Wiederkehrenden (ἐπιδημία) und gab ihm dabei förmlich das Geleite mit sogenannten Entlassungsgesängen, wie man ihn im Frühjahre mit Einladungsgesängen wieder herbeirief520. Die größten Meister der Lyrik hatten solche Gesänge gedichtet, unter ihnen Alkaeos einen sehr schönen von welchem Himerios or. 14, 10 eine Skizze erhalten hat. Zeus schmückt den Apoll nach seiner Geburt mit goldner Mitra und Lyra und giebt ihm einen Schwanenwagen, auf daß ihn nach Delphi trage, wo er Prophet und Richter über alle Griechen sein soll. Aber die Schwäne eilen in die Heimath des Lichtes, zu den Hyperboreern, von wo die Delpher den Gott nun alljährlich, wenn der Sommer kommt, mit Paeanen und schönen Chorgesängen herbeirufen. Auch heißt Apollo, nachdem er ein Jahr bei den Hyperboreern geweilt, seinen Schwänen ihn nach Delphi zu führen, damit der heilige Dreifuß auch dort ertöne. Es war um die Mitte des Sommers, als Alkaeos